Als „one trick pony“ bezeichnet man im Englischen ein Zirkustier von eingeschränkter Nützlichkeit und Lernfähigkeit. Es taugt halt nur für einen einzigen Trick. Das trifft oft auch auf sogenannte „Mockumentary“-Filme zu, eine Art gefälschter Dokumentarfilme, in denen sich gerade durch die Fiktivität über die Inszenierungsregeln des Genres lustig gemacht wird, aber der eine Effekt bis zum Ende des Films redundant wird und verpufft. Oft wird mit solchen „Mockumentarys“ auf humorvolle Unterhaltung abgezielt („Zelig“, „This is Spinal Tap“), viel weiter verbreitet ist mittlerweile aber die Variation, über angebliche Dokumente („found footage“) einen Realitätsanspruch herzustellen, durch den gemeinsam mit beabsichtigten Auslassungen gerade in Horrorfilmen eine besondere Intensität erzielt werden soll („Blair Witch Project“, „Cloverfield“). In „5 Zimmer Küche Sarg“ verbinden die neuseeländischen Komiker Taika Waititi und Jemaine Clement nicht nur diese beiden Ansätze (wobei der Humor überwiegt), sondern parodieren nebenbei ein Reality-TV-Format, bieten eine eigentümliche Variante von „Coming-of-Age“-Geschichten und liefern einen Überblick über den Vampirfilm im Wandel der Zeit, kurzum: Das sonst so eingeschränkte Mockumentary-Genre wird hier zur Hülle für einen veritablen Tausendsassa.
Vladislav (Jemaine Clement), Viago (Taika Waititi) und Deacon (Jonathan Brugh) leben gemeinsam in einer Wohngemeinschaft im neuseeländischen Wellington. Doch sie sind keine normalen Bürger der Stadt, sie sind allesamt Vampire. Durch eine Unbedachtsamkeit vergrößert der mit 8000 Jahren schon etwas senile Petyr (Ben Fransham), der zumeist im Keller in einer Kiste abgestellt wird, die Gruppe um Neuzugang Nick (Cori Gonzalez-Macuer). Der macht sogleich seinen besten Kumpel Stu (Stuart Rutherford), einen „Sterblichen“, mit seiner neuen „Familie“ bekannt…
Wie in der einstigen MTV-Serie „The Real Life“ werden in „5 Zimmer Küche Sarg“ von einem zumeist außerhalb des Bildes fungierenden Kamerateam (man weiß Bescheid und trägt Kruzifixe) die alltäglichen Vorkommnisse einer Wohngemeinschaft eingefangen. Ganz so trendy, hip und attraktiv wie im Fernsehvorbild sind die Bewohner aber nicht: Die aus dem alten Europa stammenden Blutsauger sind seit diversen Jahrhunderten tot bzw. untot und mit modernen Errungenschaften von Discotheken bis sozialen Medien oft überfordert. Einige WG-Probleme sind aber universell, und so gibt es auch Streitereien, zum Beispiel weil Deacon seit fünf Jahren seinen Geschirrspül-Dienst vernachlässigt hat.
Wie in jeder Wohngemeinschaft unterscheiden sich die Bewohner durch unterschiedliche Charaktermerkmale. Deren Darstellung ist in „5 Zimmer Küche Sarg“ zugleich eine Art Streifzug durch die Geschichte des Vampirfilms: der uralte Petyr erinnert an Murnaus Stummfilmklassiker „Nosferatu, eine Symphonie des Grauens“; Vladislav (862 Jahre untot) hat nicht nur denselben Namen wie „Vlad der Pfähler“, sondern auch sonst ein paar Ähnlichkeiten mit dem Vorbild, das man in der Coppola-Fassung von Bram Stokers Romanklassiker „Dracula“ kennenlernte; Viago (379) ist eher ein um sein Aussehen besorgter Schönling (ein Problem, wenn man kein Spiegelbild hat) vom Schlage Christopher Lee oder George Hamilton (was ihm auch den Spitznamen „Fagula“ einbringt); und Deacon (183) erinnert an den Widersacher aus „Fright Night“. Da ist es nur konsequent, wenn Neuzugang Nick eher „Twilight – Biss zum Morgengrauen“-beeinflusst daherkommt.
Wie in einem „richtigen“ Dokumentarfilm gibt es nicht nur Aufnahmen vom WG-Alltag und den unterschiedlichen Lebens- und Ernährungsstilen, sondern auch Interviews und altes Bildmaterial, mit dessen Hilfe der Zuschauer mehr über den Hintergrund der Vampire erfährt. So gibt es beispielsweise eine tragische Liebesgeschichte oder auch eine Nazi-Vergangenheit. Da das Vampirgenre Unmengen von Variationen und Interpretationen liefert, konnten die Filmemacher dabei auf einen reichen Fundus an Material zurückgreifen, das sie grandios in die Geschichte eingearbeitet haben. Selbst kleine Handlungsstränge, die sich eher am Rande abspielen, etwa mit einer menschlichen „Dienerin“, die sich abmüht, um irgendwann auch in den Status der Unsterblichkeit erhoben zu werden, sind so interessant, dass sie das Zeug hätten, einen ganzen Film zu füllen.
Bei „5 Zimmer Küche Sarg“, dessen Prämisse übrigens auf einem Kurzfilm-Vorläufer aus dem Jahr 2005 basiert, machen Taika Waititi („Eagle vs Shark“) und „Flight Of The Conchords“-Mitglied Jemaine Clement nicht den Fehler, ihr Konzept aus den Augen zu verlieren und sich am Ende nur noch um Gags oder Gruselmomente zu scheren. Stattdessen ist das „unsichtbare“ Kamerateam, über das wir die Geschichte in bester „Stromberg“-Manier zu sehen bekommen, immer spürbar - selbst, wenn es mal eine blutige Auseinandersetzung mit einer halbstarken Werwolf-Gang gibt oder man bei einer feierlichen Zusammenkunft mit anderen Untoten unangenehm auffällt. Trotz des Humors wird sich nicht über die Figuren lächerlich gemacht, sondern ihre Schwierigkeiten werden ernst genommen. Es verwundert daher nicht, dass „5 Zimmer Küche Sarg“ auf der Berlinale 2014 in der Jugendfilm-Reihe „Generation 14plus“ lief. Hinter einigen Blutfontänen wird nämlich offensichtlich, dass ein Vampirbiss nicht nur sexuell konnotiert ist (wie Genrekenner längst wissen), sondern es bei den Folgen einige Parallelen zum Übergang zum Erwachsensein gibt.
Fazit: Ein urkomisches Muss für jeden Freund des Vampirfilms.