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    The Critic
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    The Critic

    Nur Gandalf-Legende Ian McKellen als rücksichtsloser Egomane begeistert!

    Von Oliver Kube

    Seit der eher mauen RomCom „Verlobung auf Umwegen“ im Jahr 2010 hatte „Shopgirl“-Regisseur Anand Tucker keinen Spielfilm für die große Leinwand mehr inszeniert, sondern ausschließlich im TV gearbeitet. Mit dem im London der 1930er-Jahre verankerten Thriller-Drama „The Critic“, einer Adaption des Romans „Curtain Call“ von Anthony Quinn, meldet er sich nun zurück. Die Titeländerung gegenüber der Vorlage hat dabei ihren Grund. Drehbuchautor Patrick Marber („Closer“) hat sich nämlich nur Teile der sich im Roman in Richtung einer Serienkillerhatz entwickelnden Handlung herausgepickt und daraus eine eigene Story um einen Theaterkritiker entwickelt. Der daraus resultierende Film wirkt jedoch thematisch und erzählerisch unfokussiert.

    „The Critic“ schlingert zwischen Anlehnungen an klassische Tragödien und einem boulevardesken Schwank hin und her. Dabei werden Themen wie journalistisches Ethos, die damalige Kriminalisierung von Homosexualität sowie die zu diesem Zeitpunkt bedrohlich immer relevanter werdenden faschistischen Tendenzen innerhalb der britischen Gesellschaft aufgegriffen. Allerdings wird nicht wirklich etwas damit angefangen, was am Ende einen eher fahlen Eindruck hinterlässt. So lebt das Krimi-Drama nahezu ausschließlich vom hinterlistigen Charisma seiner von „Der Herr der Ringe“-Star Ian McKellen mit merklicher Wonne an ihrer Arroganz und Bosheit dargestellten Titelfigur. Doch selbst das verblasst nach einem furiosen, letztlich falsche Hoffnung auf ein aufregendes Finale machenden Mittelteil leider irgendwann.

    Jimmy Erskine freut sich beim Theaterbesuch schon auf das Schreiben seines Verrisses. Universal Pictures
    Jimmy Erskine freut sich beim Theaterbesuch schon auf das Schreiben seines Verrisses.

    London im Jahre 1934: Seit mehr als vier Dekaden ist Jimmy Erskine (Ian McKellen) der Theaterkritiker des The Daily Chronicle. Die Leser der Zeitung lieben seine bissigen, oft geradezu vernichtenden Rezensionen über alles, was auf den Bühnen des Westends geboten wird. Als der Herausgeber des Blattes dann jedoch verstirbt, übernimmt dessen Sohn David Brooke (Mark Strong) das Steuer. Der auch schon nicht mehr blutjunge Junior ist von Jimmys Artikeln längst nicht so amüsiert, wie sein alter Herr es war. Er wartet nur darauf, den Egozentriker feuern zu können – nicht zuletzt deshalb, weil sich der Kritiker verstärkt auf die Schauspielerin Nina Land (Gemma Arterton) eingeschossen hat. Während Jimmy jeden ihrer Auftritte mit Wonne in der Luft zerreißt, verehrt der verheiratete Brooke nämlich heimlich die attraktive, von den anhaltend vernichtenden Rezensionen mental bald schwer gezeichnete Actrice.

    Als Jimmy mitsamt seines Assistenten und gelegentlichen Lovers Tom (Alfred Enoch) von der Sittenpolizei in verfänglicher Situation aufgegriffen wird, hat Brooke endlich einen Grund, den ungeliebten Angestellten abzuservieren. Doch er denkt nicht daran, sich kampflos zurückzuziehen. Er verspricht Land, sie zukünftig nur noch lobend zu beurteilen, sollte sie mit Brooke ins Bett steigen. So will er seinen verheirateten und sich integer gebenden Boss erpressen, ihm seinen Job zurückzugeben. Verkompliziert wird dieser Plan durch Lands Beziehung zu Brookes Schwiegersohn Stephen Wyley (Ben Barnes).

    Nur dank Ian McKellen gibt es Sympathie für den Kritiker

    Ian McKellen gibt einen aufgeblasenen, narzisstischen und manipulativen Fatzke, der es liebt, die Arbeit anderer mit Worten wie Pfeilen runterzumachen. Ein weniger talentierter Darsteller hätte wohl kaum einen Hauch von Sympathie für die Titelfigur erzeugen können. Und trotzdem schlagen wir uns als Zuschauer auf seine Seite – zumindest eine Weile lang.

    Nach einem Aufbau, der zu viel Zeit darauf verwendet, den sofort offensichtlichen Charakter der Figur und die um sie kreisenden anderen Parts zu etablieren, nimmt der Film im Mittelteil endlich Fahrt auf. Es ist faszinierend, dabei zuzusehen, wie Jimmy sein wunderbar abscheuliches Netz aus schmutzigen Intrigen spinnt und Menschen an den Abgrund (und darüber hinaus) treibt – alles nur, um seinen extravaganten Lebensstil und vor allem seine gesellschaftliche Position als Londons Geschmackspapst Nummer eins wahren zu können.

    Um seinen Job zu retten, schließt Jimmy einen Deal mit Schauspielerin Nina Land. Universal Pictures
    Um seinen Job zu retten, schließt Jimmy einen Deal mit Schauspielerin Nina Land.

    Im finalen Akt, wenn das Kartenhaus des Protagonisten aufgrund einer von ihm nicht erwarteten Reaktion seines Gegenspielers in sich zusammenzubrechen droht, verliert das Ganze dann aber wieder an Schwung. Anstatt zu eskalieren, beginnt die Story ab diesem Moment einfach nur noch auszutrudeln. Die Figuren von Ben Barnes und Alfred Enoch, die bis dahin lediglich als nützliche Trottel in Jimmys Spiel involviert waren, rücken in den Mittelpunkt und schwingen sich zum moralischen Gewissen der Geschichte auf – ohne dass das Publikum sich wirklich mit ihnen identifizieren kann. Schließlich ist ihr Hintergrund bis dahin arg dünn beschrieben und bleibt es auch bis zum Ende.

    Noch mehr Pech mit dem Drehbuch hat lediglich die 2018 mit „Der seidene Faden“ für einen Oscar nominierte Lesley Manville. Sie ist als Mutter der von Gemma Arterton verkörperten, unglücklichen Schauspielerin glatt verschenkt. Die Edelmimin hat gerade einmal drei größere Szenen, in denen sie lediglich als glorifizierte Stichwortgeberin für McKellen, Arterton beziehungsweise Barnes agieren darf.

    Jimmy Erskine hätte diesen Film gehasst!

    Visuell bleibt „The Critic“ ebenfalls hinter den wegen seines prominenten Casts auf ihn gesetzten Erwartungen zurück. Echtes Kinofilm-Feeling mag einfach nicht aufkommen. Sowohl die Ausstattung als auch die eher hausbacken daherkommende Inszenierung und Kameraarbeit erinnern eher an – zugegebenermaßen höherwertige – TV-Produktionen. Dank des historischen Settings und der begrenzten Anzahl der Schauplätze dürften diverse Zuschauer*innen hier unwillkürlich an Serien wie „Agatha Christie's Poirot“ oder die vor ein paar Jahren entstandenen „Kommissar Maigret“-Adaptionen mit Rowan Atkinson denken.

    Am spannendsten ist am Ende so ein Gedankenexperiment. Was wohl die Hauptfigur des Films von „The Critic“ gehalten hätte? Die Antwort ist wohl recht naheliegend. Jimmy Erskine hasst nichts mehr als Mittelmäßigkeit. Deshalb hätte er wahrscheinlich kaum ein gutes Haar an diesem Film gelassen....

    Fazit: Nicht einmal ein Ian McKellen, der genüsslich gegen sein Gandalf-Image spielt, kann dieses Krimi-Drama vor der Belanglosigkeit retten. Weder die Story noch die visuelle Umsetzung setzen genügend Akzente.

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