Zwischen berührendem Kinofilm und missionarischer Predigt
Von Susanne GietlDie Real Life Guys machen auf ihrem YouTube-Kanal mit rund zwei Millionen Abonnent*innen das scheinbar Unmögliche wahr: Im vergangenen Juni haben sie wie im Pixar-Animationsfilm „Oben“ mit der Hilfe von Hunderten von Heliumballons einen Jungen samt (Styropor-)Haus zum Fliegen gebracht. Doch hinter der Do-It-Yourself-Traummaschine der Real Life Guys steckt eine traurige Wahrheit.
Fans wissen schon lange, dass von den Zwillingen Johannes und Philipp Mickenbecker, die den YouTube-Kanal 2016 gemeinsam mit Eric Westphal gegründet haben, nur noch einer lebt. Von diesem tragischen Weg erzählt „Leben ist jetzt - Die Real Life Guys“ unter der Regie von Maria Anna-Westholzer und Stefan Westerwelle. Dabei wird der Film nie rührselig, sondern zeigt, wie nah Freud und Leid beieinander liegen, oft sogar gleichzeitig stattfinden.
Dass der Spielfilm aber auch einen missionarischen Charakter hat, wirkt beim Schauen befremdlich, verwundert aber nicht. Die Real Life Guys sind Anhänger einer evangelikalen Freikirche, die stark um Mitglieder wirbt. Bereits die Doku „Philipp Mickenbecker – Real Life“ (2023) über die letzten drei Monate des YouTube-Zwillings war mit vielen Liedern über Gott und Zitaten über den Glauben stark bekehrend. Relativ am Ende sieht man darin Philipp Mickenbecker blutend am Sterbebett. Solche drastischen Szenen spart der Spielfilm aus. Der Glaubensaspekt spielt aber weiterhin eine große Rolle.
Philipps Mickenbeckers Buch „Meine Real Life Story – und die Sache mit Gott“ ist eine der Inspirationsquellen für das Drehbuch von „Leben ist jetzt - Die Real Life Guys“. Im Film ist es vor allem die tiefgläubige Mutter (Victoria Mayer), die christliche Botschaften einstreut („Da wo der Herr ist, da ist Freiheit“), der Vater (Alexander Hörbe) gibt sich zurückhaltender.
Philipp Mickenbecker findet durch den Glauben an Gott Trost - sogar, als die Schwester der Mickenbecker-Brüder bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommt. So wird hier die Glaubensfrage zum großen Konfliktpunkt zwischen den beiden Brüdern. Johannes wirft Philipp auf der Beerdigung vor, nicht „richtig“ um seine Schwester zu trauern. Sie prügeln sich in der Kirche und finden später doch wieder zueinander. Am Ende von „The Real Life Guys“ wird dazu quasi als Leitfaden eine Webseite eingeblendet, die Jugendlichen den Glauben nahebringen soll. Diese Mission irritiert gewaltig, denn eigentlich ist „The Real Life Guys“ eine klassische Coming-of-Age-Geschichte.
Im Zentrum des Spielfilms stehen die Mickenbecker-Zwillinge Johannes (Anton Fuchs) und Philipp (Richard Fuchs) sowie ihre Schwester Elli (Kya-Celina Barucki), die gemeinsam im hessischen Bickenbach aufwachsen. Von ihrer Schwester, die am Anfang im Off zu hören ist, werden die Zwillinge als zwei Menschen beschrieben, die sich wahrscheinlich „eine Seele teilen“. Umso tragischer ist es, als einer von ihnen an Lymphdrüsenkrebs erkrankt. Philipp Mickenbecker unterzieht sich einer Chemotherapie und schließt einen Pakt mit seinem Bruder: Sie wollen fortan das Leben auskosten, damit jeder Tag aufs Neue der schönste Tag ist. Ziemlich bald steht der Plan, auch andere für verrückte Projekte zu begeistern und ihre DIY-Basteleien als „Real Life Guys“ und Vertreter des „echten Lebens“ auf YouTube zu stellen. Dann kommt der Krebs zurück…
Eine der prägnantesten Szenen: Auf einer Überraschungsparty für Johannes und Philipp erfahren die Zwillinge, dass YouTube Interesse an ihnen hat. Den Deal hat ihre Schwester hinter ihrem Rücken eingefädelt. Während Philipp Mickenbecker seiner Freundin Nele (Samirah Breuer) anvertraut, dass er wieder einen Knoten in seiner Brust entdeckt hat, feiert sein Bruder Johannes ausgelassen mit seiner neuen Liebe Ava (Janina Fautz) zu treibenden Elektrobeats. Die Bilder wechseln sich ab. Nele nimmt Philipp tröstend in die Arme, während Johannes wild tanzt. Er ist glücklich.
Diese inhaltliche Verdichtung passiert mehrmals, weshalb der Film nie wirklich lang in einer Emotion verharrt. Fast jede Szene ist musikalisch unterlegt, sei es mit einem Gute-Laune-Musikbett oder ernster Klaviermusik. Es gibt kaum Raum, damit die Dialoge für sich stehen können. Dadurch wirkt der Film wie ein Videostream für die Generation Z: Erfinderische Jungs basteln mit der Hilfe von alten Badewannen, Teile einer Waschmaschine oder alten Fahrrädern ein neues Gefährt für Land oder Wasser. Highlights der echten Real Life Guys wie das aus zwei Badewannen zusammengesetzte knallgelbe U-Boot, die fliegende Badewanne, motorisierte Bobbycars und auch die Achterbahn im Baumarkt kommen auch in Form von YouTube-Schnipseln der echten Real Life Guys vor. Man kann sie gut von den Spielfilmschnipseln unterscheiden, weil die Zwillinge im Film den echten Real Life Guys nicht im Entferntesten ähnlichsehen.
Regisseur Stefan Westerwelle, der das Projekt von der ursprünglichen Regisseurin Maria-Anna Westholzer übernahm, intensivierte durch einige Nachdrehs das Zwillingsthema. Die Bilder von Kameramann Martin Schlecht zeigen die Mickenbeckers als harmonische Einheit in ländlicher Idylle zum Beispiel beim Mähdreschen. Leider ist die Nachsynchronisation mangelhaft, weshalb die beiden Schauspieler an Glaubwürdigkeit verlieren.
Als Kontrast zu den Zwillingen steht Kya-Celina Barucki, die die blondgelockte Mickenbecker-Schwester Elli mit großer Leidenschaft spielt. Bei ihrer letzten Begegnung lächelt sie. Diese Zuversicht zieht sich dank Philipp Mickenbecker, der seinen Optimismus nicht verliert, durch den ganzen Film. Im Schlussbild stehen die Real Life Guys mit ihren Freund*innen Schulter an Schulter, Arm in Arm auf einem Berg in Island. Gemeinsam sind sie gewappnet für das nächste Abenteuer.
Fazit: Auch, wenn der „Streaminglook“ dem Spielfilm wenig Raum für eigene Gefühle gibt, spürt man das „Real Life Guy-Feeling“, in dem nur der pure Moment zählt. Das fühlt sich keineswegs banal, sondern zumindest real an. Die missionarischen Untertöne des Films sind hingegen zumindest befremdlich.