Hört einfach auf, wenn die eigentlich spannende Phase beginnt
Von Michael Meyns„Selbstbildnis des Banditen als junger Mann“ heißt – in Anlehnung an James Joyce – einer der vielen autobiografischen Romane des russischen Schriftstellers Eduard Weniaminowitsch Limonow, dessen wildes, exzessives, widersprüchliches Leben wie gemacht für einen biografischen Film erscheint. Den hat nun Kirill Serebrennikov („Tchaikovsky's Wife“) gedreht, in seinem typischen barocken Stil, der sich impressionistisch in sein Thema stürzt und sich leider über weite Strecken auf den frühen Limonow konzentriert. Diese Phase von „Limonov: The Balad“ könnte man auch als „Porträt des Künstlers als Klischee“ bezeichnen, bevor erst im letzten Drittel, der Zeit nach 1989, die eigentlich interessante Phase im Leben des Anarcho-Berserkers beginnt. Der wird übrigens von Ben Whishaw („James Bond 007 – Skyfall“) gespielt – und zwar auf Englisch.
Eduard, Eddie, Edichka: Viele Namen hatte der 1943 geborene Eduard Weniaminowitsch Sawenko, der sich den Künstlernamen Limonow gab, Gerüchten zufolge auch, weil eine in Russland besonders beliebte Handgranate als limonka, also als kleine Limone, bezeichnet wird. Damit ist schon viel über einen Mann gesagt, der sich als Bergarbeiter, Gauner und Tellerwäscher durchschlug, Gedichte und Romane schrieb und vor allem anecken wollte. Als er damit seine Ausweisung provozierte und in New York landete, begann Limonows internationaler Ruhm. Er wurde zu einer Art Vorzeige-Dissidenten, der immer für eine derbe Aussage über seine Heimat, seine wechselnden Wohnorte und die Welt im allgemeinen gut war. Nach dem Fall der Mauer und dem Ende der Sowjetunion kehrte Limonow schließlich nach Russland zurück – und wurde zu einem irrlichternden Politiker, der Stalin verteidigte und eine faschistische Schläger-Partei gründete, bevor er 2020 an Krebs starb.
Es fällt nicht schwer zu verstehen, warum Limonow den Filmemacher so gereizt hat. Exzentrische, exzessive Figuren hat der inzwischen im Berliner Exil lebende Kirill Serebrennikov schließlich schon oft in den Mittelpunkt seiner ausufernden, überbordenden Filme gestellt, am erfolgreichsten in „Leto“, seinem Porträt des russischen Musikers Viktor Tsois. Bilder von verrauchten Wohnungen, in denen junge, aufstrebende Künstler*innen trinken und flirten, finden sich auch in „Limonow: The Balad“, anfangs noch im schmalen 4:3-Format, das zum Breitformat wechselt, sobald Limonow und seine Model-Partnerin Elena (Viktoria Miroshnichenko) nach New York migrieren. Hier führen sie die 70er Jahre hindurch ein typisches wildes Leben voller Alkohol und Drogen, unterlegt unter anderem mit dem allzu offensichtlichen Lou-Reed-Song „Walk On The Wild Side“.
Ohnehin bestimmt in dieser Phase die Offensichtlichkeit das Geschehen. Serebrennikow hakt geradezu die Klischee-Stationen einer Künstlerbiografie ab, von Abweisungen durch ignorante Verleger über Eifersuchtsattacken, wenn die schöne Freundin langsam genug hat, bis zu Nahaufnahmen von aufs Papier hämmernden Lettern der Schreibmaschine. Dass die Buchstaben auf dem Papier in Russisch sind, lässt es übrigens nur noch absurder erscheinen, dass die Figuren Englisch mit aufgesetzten russischen Akzenten sprechen, so als wären sie in einem schlechten Gangsterfilm. Zum ersten Mal in seiner Karriere hat Serebrennikow mit dem Engländer Ben Whishaw einen internationalen Star als Hauptdarsteller, was dem diesmal deutlich höheren Budget geschuldet ist, mit dem er arbeiten konnte. Doch diese Entscheidung beraubt Serebrennikov der russischen Sprache, die in seinen Filmen entscheidend für jene ganz eigene Atmosphäre verantwortlich war, die Filme wie „Leto“ oder „Petrov's Flu - Petrow hat Fieber“ so besonders machten.
Filme ohne straffe Handlung waren das, Filme, die um impressionistische, teils auch surreale Momente gebaut waren und sich langsam zu einem großen Ganzen formten. Das gelingt in „Limonov: The Balad“ lange nur im Ansatz, erst spät findet Serebrennikov zu seinem besonderen Stil. Besonders eine Szene, die auf den Straßen von New York beginnt, ragt heraus: In einer ungeschnittenen Plansequenz folgt die Kamera Limonow von der Straße in ein Gebäude und wieder heraus, vorbei an Postern und Graffiti, die den Verlauf der 80er Jahre nachzeichnen. Bilder von Thatcher, Reagan und Gorbatschow sind zu sehen, ein Plakat von „Terminator“, auf die Wände sind Schriftzüge wie AIDS oder Tschernobyl gesprayt, dazu ein Graffiti des berühmten „sozialistischen Bruderkusses“ zwischen Breschnew und Honecker. Voller Unrat und Schnee ist die Straße, die Limonow schließlich durch eine Tür in eine Gasse verlässt. Der Blick zurück offenbart eine Kulisse, eine Fassade, eine Art Potemkin’sches Dorf.
Nach dem Fall der Mauer und dem Ende des Kommunismus kehrt Limonow in seine Heimat zurück, allerdings keineswegs als Dissident, der dabei helfen will, ein neues, ein demokratisches Russland aufzubauen. Erst in den letzten Minuten des Films widmet sich Serebrennikov dem eigentlich faszinierenden Aspekt von Limonows Leben, den Widersprüchen eines Charakters, der sich als Anarchist, Rebell und Punk gerierte, sich später aber zu einem Faschisten wandelte. Als rechter Demagoge bezeichnete er Stalin oder Mussolini als starke Männer, die nur missverstanden wurden.
Eine rechtspopulistische Partei namens „NBP - Neue Bolschewistische Partei“ gründete Limonow, ließ sich von glatzköpfigen Neonazis hofieren, landete in Sibirien in der Strafkolonie und verachtete so ziemlich alle und alles. Über diesen späten Limonow hätte man gerne mehr erfahren, über einen Zyniker, der vielleicht gerade dadurch erkannte, auf welchen Irrweg sein Land geriet, der aber ebenso irrige Alternativen auswählte. Doch Serebrennikov begnügt sich viel zu lange mit einem mäßig originellen Künstlerporträt, in dem ein selbsternanntes Genie mit sich und der Welt hadert, bis sich endlich der Erfolg einstellt.
Fazit: In seiner typischen, stilistisch barocken, erzählerisch mäandernden Art widmet sich Kirill Serebrennikov in „Limonov: The Balad“ dem Leben des Schriftstellers, Rebellen und Politikers Eduard Limonow. Lange liegt der Fokus dabei auf einem wenig originellen Künstlerporträt, bevor der Fokus erst sehr spät auf Limonows widersprüchliche politische Haltungen gelegt wird. Dabei wäre das der weitaus interessantere Teil gewesen.
Wir haben „Limonov: The Balad“ beim Cannes Filmfestival 2024 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.