Nach „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ und „Rogue One: A Star Wars Story“ hatten wir eigentlich schon geglaubt zu wissen, wo der Hase aus einer weit, weit entfernten Galaxis lang läuft: Während die neuen Filme der Hauptreihe weiterhin den klassischen Abenteuer-Gestus der ursprünglichen Sternenkrieg-Trilogie bedienen, darf in den Spin-offs gerne auch mal etwas Neues ausprobiert werden – so erwies sich „Rogue One“ etwa als waschechter (Sternen-)Kriegsfilm mit einem Finale, das man Disney in dieser Konsequenz nicht unbedingt zugetraut hätte.
Allerdings hätten wir mit dieser Einschätzung wohl kaum weiter danebenliegen können, denn schon im zweiten Anlauf ist die Rollenverteilung zwischen Kernreihe und Ablegern genau umgekehrt: Während Rian Johnson die Skywalker-Saga mit „Die letzten Jedi“ in eine düstere neue Richtung manövriert hat, die den meisten Kritikern zwar ausgesprochen gut gefiel, aber zugleich bei vielen Fans gar nicht gut ankam, erweist sich Ron Howards energiegeladenes Spin-off-Prequel „Solo: A Star Wars Story“ nun als „Star Wars“-Abenteuer nach klassischem Muster.
Bei dem Versuch, gemeinsam mit Qi'ra (Emilia Clarke) von seinem Heimatplaneten Corellia zu entkommen, wird der junge Schmuggler Han (Alden Ehrenreich) im letzten Moment von seiner Geliebten getrennt. In seiner Not meldet er sich freiwillig zur Imperialen Armee, um sich dort zum Piloten ausbilden zu lassen. Aber auch das haut nicht hin, weil er wegen Ungehorsams schnell wieder von der Fliegerakademie geschmissen wird. Stattdessen robbt Han auch noch drei Jahre später als Infanterist durch den Schlamm, um immer mehr Planeten für das Imperium zu erobern. Da kommt die Möglichkeit gerade recht, sich der Gaunertruppe von Beckett (Woody Harrelson) und Val (Thandie Newton) anzuschließen und mit ihnen gemeinsam einen Zug zu überfallen, der bis obenhin mit dem extrem wertvollen Raumschifftreibstoff Coaxium beladen ist…
Die zentrale Frage: Wie ist Alden Ehrenreich als junger Han Solo?
Über den Umstand, dass die ursprünglich angeheuerten Regisseure Phil Lord und Chris Miller („The LEGO Movie“, „21 Jump Street“) von Lucasfilm-Präsidentin Kathleen Kennedy wegen Unstimmigkeiten über die Ausrichtung des Projekts gefeuert wurden, obwohl große Teile der geplanten Dreharbeiten bereits abschlossen waren, wurde im Vorfeld des Kinostarts von „Solo: A Star Wars Story“ lang und breit spekuliert. Die zentrale Befürchtung war dabei natürlich, dass der Film enden könnte wie „Justice League“, bei dem man am Ende bei fast jeder Szene ganz genau sagen konnte, ob sie nun vom ursprünglichen Regisseur Zack Snyder („Man Of Steel“) oder von dem für die Nachdrehs eingesprungenen Joss Whedon („Avengers“) stammt.
Aber zumindest diese Sorge war zum Glück unnötig. Schon vor einigen Wochen ist ja durchgesickert, dass der kurzfristig eingesprungene Oscarpreisträger Ron Howard („Apollo 13“, „A Beautiful Mind“) wohl etwa 70 Prozent des Films neu gedreht hat. Von Lord und Miller stammt demnach also nur noch ein knappes Drittel – und nicht einmal das merkt man der finalen Fassung an. „Solo – A Star Wars Story“ wirkt von der ersten bis zur letzten der 135 Minuten wie aus einem Guss. Schon das ist bei dieser bewegten Produktionsgeschichte absolut keine Selbstverständlichkeit und allein dafür gebührt Howard großer Respekt.
Trotzdem ist der Auftakt von „Solo: A Star Wars Story“ ziemlich ernüchternd, denn solange die neuen Nebenfiguren noch nicht eingeführt sind und Alden Ehrenreich den Film somit mehr oder weniger alleine tragen muss, will der Funke einfach nicht überspringen. Es gibt bereits in den ersten 45 Minuten eine Trennung und einen Todesfall – aber während beide Ereignisse eigentlich supertragisch sein müssten, lassen sie das Publikum vollkommen kalt. Statt Emotionen gibt es hier Antworten auf Fragen, die wohl niemand ernsthaft gestellt hat: Woher hat Han seinen Namen? Wie ist er an seinen Blaster gekommen?
Offenbar sind „Star Wars: Das Erwachen der Macht“-Autor Lawrence Kasdan und sein Sohn Jonathan einfach alles durchgegangen, was an Harrison Fords Han Solo in irgendeiner Weise ikonisch ist und was man vielleicht noch genauer „erklären“ könnte. Das ist Fanservice der plumpen Sorte und in den allermeisten Fällen ist die nun (nach-)gelieferte Antwort noch nicht mal besonders clever oder spannend. Wirklich gelungen ist in dieser Hinsicht eigentlich nur das unerwartete erste Treffen zwischen Han und seinem späteren besten Kumpel Chewbacca (Joonas Suotamo), der auch mit dem jungen Solo bereits bestens harmoniert.
Eine der gelungenen Action-Szenen: Ein Western-artiger Zugüberfall im Weltall.
Aber keine Sorge, denn mit dem Dazustoßen immer neuer Figuren nimmt auch der Film selbst immer mehr an Fahrt auf, bis er sich in der zweiten Hälfte schließlich zu einem durchweg unterhaltsamen Action-Heist-Thriller mausert, bei dem zwar der eigentliche Plot kaum der Rede wert ist, in bester Genre- und „Star Wars“-Manier aber jeder jeden ständig übers Ohr haut. Abenteuer, Action, Wendungen, Humor – es dauert eine ganze Zeit, aber „Solo: A Star Wars Story“ findet schließlich einen stimmigen Mix aus diesen Elementen, von dem wir in den bereits angedachten Fortsetzungen gerne mehr – und dann gerne auch von Anfang an – sehen würden.
Ähnlich viel wie über den Wechsel auf dem Regiestuhl wurde vorab über die Performance von Alden Ehrenreich („Hail, Caesar!“) getratscht. So wurde etwa böswillig kolportiert, dass er kaum eine Dialogzeile ohne die Hilfe eines Schauspiellehrers richtig hinbekommen würde. Aber wie dem auch sei, das Ergebnis ist echt okay. An das Jahrhundertcharisma von Harrison Ford reicht der Newcomer zwar erwartungsgemäß nicht heran, aber zumindest Hans unvergleichliches Schmunzeln hat Ehrenreich inzwischen schon so sicher drauf, dass man immer mal wieder für einen Augenblick glauben könnte, dort auf der Leinwand doch gerade das Original zu sehen.
Ehrenreich ist also kein schlechter Han, selbst wenn er aktuell noch zu sehr imitiert statt eigene Akzente zu setzen. Aber obwohl er nun der neue Pilot des Millennium Falken ist, stehlen ihm die anderen Mitglieder seiner Crew immer wieder die Show. Allen voran „Atlanta“-Star Donald Glover, der den Schmuggler Lando Calrissian mit einem solch unglaublich lässigen Charme verkörpert, dass er den Vergleich mit dem Originaldarsteller Billy Dee Williams absolut nicht zu scheuen braucht. Ein noch fleißigerer Szenendieb ist nur die im Original von der britischen Komikerin Phoebe Waller-Bridge („Fleabag“) gesprochene Droidin L3-37, die vehement und mit jeder Menge trockenhumoriger Oneliner nach gleichem Recht für Roboter verlangt.
Verglichen mit seinen sonstigen Blockbuster-Rollen der vergangenen Jahre agiert Woody Harrelson („Planet der Affen: Survival“) hier spürbar mit angezogener Handbremse. Das hat womöglich auch damit zu tun, dass seine Rolle der von Han Solo in der Originaltrilogie schon ziemlich nahe kommt – und da wäre es wohl eher kontraproduktiv, wenn er sich an Ehrenreich vorbei allzu sehr in den Vordergrund spielen würde.
Szenendieb aus Metall: Alle Macht den Droiden!
Sichtbar Spaß an seinem Part hat hingegen „Avengers 3“-Star Paul Bettany als ausgewiesener Soziopath Dryden Vos, der seinen Gegenübern stets mit einer eklig-schleimigen Freundlichkeit begegnet, die dann aber auch sehr schnell tödlich enden kann. Noch nicht endgültig einschätzen lässt sich die Leistung von „Game Of Thrones“-Drachenmutter Emilia Clarke („Ein ganzes halbes Jahr“). Woran genau das liegt, kann man allerdings ohne Spoiler nur schwer erklären. Deshalb an dieser Stelle dazu nur so viel: Wir sind angefixt…
Auch die reichlich vorhandene Action ist typisch „Star Wars“ ohne echte Überraschungen - mit einem Zugüberfall als Höhepunkt. Obwohl Han ja eigentlich der Draufgänger unter den klassischen „Star Wars“-Helden ist, gehen die Verantwortlichen nun also ausgerechnet bei seinem Spin-off lieber auf Nummer sicher. Allenfalls der dreckigere, naturalistischere Look, den der oscarnominierte Kameramann Bradford Young („Selma“, „Arrival“) speziell in den Actionsequenzen kreiert, ist eine wirkliche Neuerung für das Sternenkrieg-Universum.
Das Konzept geht jetzt noch mal auf, weil ein „Star Wars“-Film auch drei Jahre nach „Das Erwachen der Macht“ noch immer etwas ganz Besonderes ist. Aber das muss ja nicht zwingend so bleiben. Wenn die Verantwortlichen bei den nächsten Spin-offs nicht wieder mehr Risiken eingehen, könnten die jährlichen „Star Wars“-Starts irgendwann auch mal ihren Status als außergewöhnliche Kinoevents verlieren und stattdessen wie ganz normale Blockbuster wahrgenommen werden. Und das wäre doch sehr schade.
Fazit: Ein nach verhaltenem Start schließlich doch noch sehr unterhaltsames „Star Wars“-Abenteuer alter Schule, in dem Donald Glover als Lando Calrissian und Phoebe Waller-Bridge als L3-37 dem Titelhelden immer wieder gehörig die Schau stehlen.
Wir haben „Solo: A Star Wars Story“ bei den Filmfestspielen in Cannes 2018 gesehen, wo er als Special Screening gezeigt wurde.