Diesmal wird’s persönlich – Die wohl bisher härteste Prüfung der Avengers
Auf welcher Seite stehst du? Dieser Frage konnte man sich nach der vergangenen Filmpremiere im April 2016 beim Kinobesuch zu „Captain America 3 – Civil War“ kaum entziehen. Schließlich schreit der neue Film geradezu nach einer parteiischen Positionierung. Wobei sich die Antwort auf diese brisante Frage hier nicht einfach auf Gut oder Böse reduzieren lässt, sondern schon etwas komplizierter ist. Aber beginnen wir doch erstmal ganz am Anfang.
Äußerst fulminant und ambitioniert lenkten die Marvel Studios damals schon mit dem ersten Iron Man Film aus 2008 ihr visionär geplantes Megaprojekt in eine klare Richtung. Als die Hintermänner Nick Fury und Phil Coulson derzeit mit knappen, kryptischen Andeutungen von der Geheimdienst-Organisation S.H.I.E.L.D. und dem Avengers Projekt, der sogenannten Rächer Initiative, faselten, ahnten die wenigsten, was für große Pläne man zu dem Zeitpunkt, mit dem 1963 von Stan Lee und Jack Kirby ins Leben gerufenen Comic-Franchise, noch so alles vorhatte. Erstrecht ahnte keiner, wie gut ihr Plan vier Jahre später aufginge und in welch unumstößlicher Stringenz das ganze gipfeln würde. Nach mehreren Solofilmen mit Thor, Captain America, Iron Man und Hulk wurden die ungleichen Superhelden 2012 mit „The Avengers“ spektakulär zusammengeführt und der kommerzielle Erfolg blieb mit einem weltweiten Einspielergebnis von ca. 1,5 Milliarden Dollar bei Weitem nicht aus. Abgesehen von den kundigen Comicsammlern wurden sich die meisten Zuschauer erst allmählich dem vielschichtigen und eng mit einander verwobenen Handlungskontext bewusst, der sich hinter dem effektgewittrigen Marvel Cinematic Universe (kurz: MCU)verbirgt. Durch die Produktion mehrerer Marvel TV-Serien wie Agents of S.h.i.e.l.d. oder der leider abgesetzten Agent Carter Miniserie, die in ihren Folgen regelmäßig Bezug zu den großen Spielfilmen nehmen, wurde das ganze sogar noch komplexer. Längst dürfte den meisten klar sein, welch riesigen Fundus die Marvel Comics für etliche grandiose Leinwandadaptionen zu bieten haben und dass es mittlerweile keinen Comicstoff mehr gibt, der sich nicht ordentlich verfilmen ließe. Dennoch tun viele die Marvel-Filme als übertriebene und sinnfreie Krawallparade ab oder betrachten sie einzig und allein als hübsch anzusehende State of the Art-Actionperle. Dies ist aber etwas zu oberflächlich und wird dem tollen Stoff einfach nicht gerecht.
„Ein Sieg auf Kosten unschuldiger Menschen ist letzten Endes doch kein Sieg!“ reichlich unverblümt kommentiert King T`Chaka, seines Zeichens König des fiktiven, afrikanischen Staates Wakanda, den letzten Einsatz der frisch zusammengewürfelten Avengers Heldentruppe in Lagos. Und beschreibt damit sehr treffend, dass selbst die noch so gut gemeinten Absichten einer so mächtigen Spezialeinheit auch eine große Gefahr für die zivile Bevölkerung darstellen und in einer regelrechten Tragödie enden können. Und so haben die Taten der Avengers nicht zuletzt durch den Vorfall von Sokovia in „The Avengers 2“ auf der Welt so ihre Spuren hinterlassen. Dies veranlasste die führenden Mitgliedsstaaten der Welt dazu, das selbstjustizielle Handeln der Superhelden nicht nur skeptisch zu hinterfragen, sondern auch zukünftig maßgeblich darauf Einfluss zu nehmen. Mit dem sogenannten Sokovia-Abkommen sollen die Avengers dem Regierungsapparat der Vereinten Nationen unterstellt werden und so dem zweifelhaften Ruf einer unberechenbaren Privatorganisation entledigt werden. Repräsentiert wird dieses Vorhaben unter anderem durch Außenminister Thaddeus Ross, gespielt von William Hurt. Da diese gravierende Maßnahme jedoch auch gewisse Risiken birgt und schlimmstenfalls auch für niedere Zwecke missbraucht werden könnte, stößt sie unter den Helden nicht gerade auf allgemeine Befürwortung. Vielmehr wirft sie einige höchst kontroverse Fragen auf und macht die angespannte Situation dadurch noch deutlich komplizierter als sie es eh schon ist. Diese brisante Ausgangslage ist somit schon spannend genug und regt die Zuschauer durchaus zum Diskutieren und Nachdenken an. Zu allem Ärgernis ergeben sich im Verlauf der Story aber noch weitere interne Differenzen, welche die Helden schließlich unabwendbar in zwei Lager aufspalten und das einstige Gespann zu unfreiwilligen Kontrahenten machen. Team America und Team Iron Man werden geboren und ein erbitterter Kampf (der sogenannte Bürgerkrieg)um die Zukunft der Avengers entbrennt.
Im Vergleich zu den stark überzeichneten Konfliktthemen aus „Batman v Superman“ kommt „Civil War“ aber weniger bedeutungsschwanger daher und schafft es wesentlich glaubhafter die Beweggründe von Cap und Co. mitreißend zu erzählen. Die sich unvermeidbar hochschaukelnde Antipathie beider Teams wird durch plausible Gründe greifbar und spitzt sich sehr viel dramatischer zu als dies bei der Konkurrenz der Fall war. Man fiebert förmlich mit den Figuren mit, wobei man sich niemals wirklich für eine Seite entscheiden kann (was auch nicht nötig ist) und es gelegentlich schon fast weh tut die einstigen Freunde aufeinander losstürmen zu sehen. Damit kann „Civil War“ abstandslos als wohl emotionalster Teil der Reihe bezeichnet werden. Hier nutzen die Macher auch den klaren Vorteil gegenüber DC, auf wichtige Ereignisse und Figuren aus der mühsam aufgebauten MCU-Chronologie zurückgreifen zu können, deren Zusammenhang vor Allem die Fans der ersten Stunde begreifen werden.
Wer die letzten Avengers Filme verfolgt hat, sollte mitbekommen haben, dass sich das Charakter-Line up im Laufe der Zeit sichtlich erweitert hat. Neben Iron Man und Captain America (Hulk und Thor sind im aktuellen Film nicht mit dabei) bekommen speziell Jeremy Renner als Hawkeye und Scarlett Johansson als Natasha Romanov gerade in den neuesten Filmen sehr viel mehr Bedeutung und Bühnenpräsenz zugesprochen. Was größtenteils Robert Downey Jrs. kameradschaftlichem Verhandlungseinsatz bei den Marvel Studios zu verdanken war. Das ging sogar soweit, dass er sich weigerte, ohne neue Vertragsbedingungen überhaupt noch einmal Iron Man zu spielen. Dies führte gerechterweise zu einer deutlichen Verbesserung der Gagen seiner Kollegen, welche vorher massiv unterbezahlt waren. Des Weiteren werden fast sämtliche, akribisch integrierte Helden vergangener Marvel Filme in diesem Teil vorbildlich zusammengeführt, was bei Insidern für freudige „Ah den kenn ich doch“-Momente sorgen dürfte. Während die telekinetisch begabte Scarlet Witch zusammen mit Black Widow für ordentlich verbale als auch physische Frauenpower sorgt, tauchen ebenso ein paar komplette Neuzugänge auf, welche sehr gut ins MCU eingeführt werden und höchst verheißungsvoll den Weg für weitere Solofilme ankündigen. Aber seht selbst! Zweifellos punktet „Civil War“ mit beachtlichem, topbesetztem Figurenzuwachs, wobei jeder Held respektabel porträtiert wird und so seine besonderen Auftritte bekommt. Die Russo-Brüder beweisen nach Mastermind Joss Whedon wieder mal, dass es durchaus möglich ist, trotz gigantischer Figurendichte jeden Charakter mit seinen persönlichen Eigenschaften erzählerisch eindrucksvoll unterzubringen.
Besticht der Film noch so sehr durch seine kritischen Untertöne handelt es sich dennoch um einen waschechten Actioner der obersten Klasse. Wo gerade die jüngsten Marvel Ableger längst das Stunt- und Inszenierungsniveau der aktuellen Bond Filme übersteigen, welche im Gegensatz zu früher immer bodenständiger daherkommen, ist selbst innerhalb der internen Marvel Filmreihe eine ständige Steigerung zu erkennen. Sei es alleine die starke Eröffnungssequenz in Lagos oder eine rasante Verfolgungsjagd durch einen Straßentunnel in Bukarest. All diese Szenen sind höchst turbulent, wirken aber niemals abgehackt oder unnötig gestreckt. Ganz im Gegenteil sind sie sehr ausführlich, was beim Actionfan für anhaltende Adrenalinausschüttung sorgt und den Puls freudig in die Höhe treibt. Neben den neuen schicken Gadgets sind auch die obligatorischen Team Attacken wieder mit dabei und nun sogar noch ein Tick weiter ausgearbeitet als noch in „The Avengers 2“. Es macht einfach Spaß zu sehen, über wie viel Kreativität die Stunt-Choreografen verfügen und wie gut das ganze Schauspiel vom Kamerateam eingefangen wird. Ein absolutes Highlight stellt die fast schon überbordende Kampfszene am Leipziger Flughafen dar. Ohne zu viel zu verraten sei gesagt, dass man ein derart bahnbrechend inszeniertes Spektakel mit diesem Ensemble noch nie zuvor gesehen hat.
Positiv fällt auch auf, dass sich an der Schauspielerfront über all die Jahre fast ausnahmslos nichts geändert hat. Abgesehen von den Hulk Darstellern und Terence Howard, der sich längst nach Iron Man 1 verabschiedete und die Rolle von War Machine, aufgrund von vertraglichen Unstimmigkeiten (ja, er wollte mehr Geld) an Don Cheadle weiterreichte, wurde nahezu jede Figur bis in die kleineren Nebenrollen mit denselben Darstellern der alten Filme besetzt. Diese strenge Konstante ist in solch großen Reihen nicht immer selbstverständlich und schafft eine gewisse Vertrautheit.
Da der bestehende Hauptcast und deren Rollen demnach größtenteils bekannt sein dürften und man sich auf gewohnt gutes Schauspiel freuen kann, bedarf es eher bei den Neuzugängen einer genaueren Ausführung. Eine besondere Hervorhebung verdient zum einen Newcomer Chadwick Boseman. Seine Performance des rachegetriebenen T`Challa, die er samt tollem afrikanischen Akzent mit wehmütiger Ernsthaftigkeit spielt ist authentisch und unterstreicht die Logik in den Motiven der unterschiedlichen Mitstreiter glaubhaft. Außerdem fügt er sich mit seiner exotischen Eigenständigkeit dennoch homogen in die bunte Riege der Protagonisten ein und wirkt gerade durch die kompetente Charakterzeichnung der Autoren niemals deplatziert.
Deutschlands Schauspielexport Daniel Brühl, der hier nicht zum ersten Mal mit den ganz Großen mitmischt, hat mit seinem geheimnisvollen Part das ganz große Los gezogen und ist sowas wie der heimliche Star im neuesten Marvel-Streich. Nachdem er sich in Filmen wie „Inglourious Basterds“ oder „Rush“ längst in die Traumfabrik Hollywoods hochgespielt hat, schlüpft er diesmal in die Rolle des intriganten Drahtziehers Baron Zemo. Auch wenn er hauptsächlich im Hintergrund taktiert, hinterlässt er durch seine gut akzentuierten Auftritte stets einen allgegenwertigen, undurchschaubaren Eindruck. Die gefährliche Präsenz die er zweifellos ausstrahlt definiert sich aber nicht durch seine Physis, sondern eher durch seinen genialen Verstand. Seine Besessenheit und die Bereitschaft zu jeglichen Methoden zur Erreichung seiner Ziele spielt er nicht zu überheblich sondern zurückhaltend finster und entgeht so dem Risiko eines Overactings.
Auch wenn es bis zum nächsten vollwertigen Avengers Zweiteiler „Infinity War“ noch über ein Jahr hin ist, werden uns die Marvel Studios schon vorher gewohnt hochwertig mit vielen weiteren MCU- Filmen versorgen und unterhalten. Welche Solos unter anderem das sein werden ergibt sich bereits aus dem aktuellen Film. Natürlich ist es wieder selbstredend den Abspann aufmerksam bis ganz zum Ende zu verfolgen, da diesmal sogar gleich zwei Post-Credit Szenen auf alle Insider warten.
Abschließend lässt sich sagen, dass „Civil War“ eine weitere Lücke im MCU großartig schließt und für jeden Marvel-Fan Pflichtprogramm ist. Gleichzeitig ist er deutlich emotionaler als seine Vorgänger, und stellt einen der besten Solo Spin-offs der Reihe dar. Unbestreitbar ist er sehr viel anspruchsvoller und tiefgründiger als sein Ruf ihm vorauseilt. Zuschauer ohne hinreichende Vorkenntnisse kommen aber bei den komplexen Figuren- und Storyhintergründen zumindest inhaltlich zu kurz.