Erwachsenwerden: Was heißt das eigentlich? Wann genau hat man die Jugend hinter sich gebracht und muss mit beiden Beinen fest im Leben stehen? Mit dem Erreichen der Volljährigkeit? Mit dem ersten Wahlgang? Der ersten eigenen Wohnung? Dem ersten Kind? Der US-Amerikaner Noah Baumbach widmet sich dieser vielseitigen Fragestellung in seinen Drehbüchern bereits mehrfach - nicht selten von seinem Kumpel Wes Anderson als verschrobene Kinderfilme für Kindgebliebene inszeniert. Sowohl „Die Tiefseetaucher" als auch „Der fantastische Mr. Fox" handelten nicht zuletzt von großen Jungs (ob Mensch oder Fuchs), denen es gelingt, das Erwachsenwerden auf diesen und jenen Wegen weiter aufzuschieben. Auch bei seinen eigenen Regiearbeiten widmet Baumbach sich Irrungen und Wirrungen nicht mehr ganz so junger Zöglinge. Mit „Greenberg" ließ er einen ungewohnt antriebslosen Ben Stiller auf der Suche nach sich durch die Welt flanieren. Und auch mit seinem neuen Wurf „Frances Ha" bleibt Baumbach seinen thematischen Wurzeln treu. In melancholischem Schwarz-Weiß und mit einer großartigen Greta Gerwig als As im Ärmel gelingt ihm hier das, was beim drögen und uninspirierten „Greenberg" noch nicht funktionierte: ein wundervoller Film über die Umbruchsphasen des Lebens und die verspätete Adoleszenz.
Die 27-jährige Frances (Greta Gerwig) will Tänzerin werden. Irgendwie will es damit aber einfach nicht klappen. Entweder tritt sie auf der Stelle oder bewegt sich zurück. Dennoch lebt sie in ihrer New Yorker Wohngemeinschaft mit ihrer alten Freundin Sophie (Mickey Sumner) fröhlich in den Tag hinein und denkt gar nicht daran, sich vom Leben verbiegen zu lassen. Dann jedoch mehren sich die Hiobsbotschaften. So zieht Sophie aus ihrem kleinen Nest aus und auch im Tanzkurs läuft einiges schief. Während Frances von einer WG in die nächste zieht und miese Jobs annimmt, fühlt sie sich immer mehr, als wäre sie überall die älteste und würde von ihren Mitmenschen in nahezu jedem halbwegs lebenspraktisch bedeutsamen Bereich überrundet. Auch ein Selbstfindungstrip nach Paris wird zu einem frustrierenden Moment des Stillstands, der ihr nicht wirklich Halt gibt. Doch egal wie oft Frances bei ihren Bemühungen auch über ihre eigenen Füße stolpert – sie steht immer wieder auf...
Mit „Frances Ha" beackert Baumbach ein gut bestelltes Feld. So erinnert sein Film thematisch etwa an die HBO-Serie „Girls", die ebenfalls vom umtriebigen Leben junger Frauen in New York handelt und Mumblecore-Ikone Greta Gerwig war mit „Lola gegen den Rest der Welt" jüngst in einer ähnlichen Rolle zu sehen. Auch der Berliner Instant-Kultfilm „Oh Boy !" mit seiner wunderschönen Schwarz-Weiß-Ästhetik mag einem hier in den Sinn kommen – zumal sich Regisseur Jan Ole Gerster ähnlich wie Baumbach deutlich an Woody Allens legendäre Großstadtballade „Manhattan" anlehnt. „Frances Ha" ist aber trotzdem ganz sicher genauso wenig zusammengeklaubtes Patchwork-Kino wie ein großstädtischer Problemfilm über eine vom Leben überforderte Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs. Für letzteres liebt Baumbach das Leben, die Stadt, seine Figuren und auch schlichtweg den Spaß zu sehr.
Vor allem aber ist „Frances Ha" schnell, komisch und ungeheuer musikalisch – und dies auf seine ganz eigene Weise. Ständig ertönt ein - mit Verlaub - saugeiler Feelgood-Hit, der den Fuß wippen, den Kopf nicken und die Mundwinkel nach oben gehen lässt. Egal wie oft sich Frances in die Bredouille bringt, bei einem so heiter-melancholischen Erzählfluss ist immer klar, dass diese starke, etwas verstrahlte und verplante, aber doch keineswegs dumme Frau schon irgendwie auf den Füßen landen wird. Dabei ist „Frances Ha" – der Titel wird erst in der letzten Einstellung auf wunderbar saloppe Art erklärt – nie ein Film, der von seinem Drehbuch sondern vielmehr von Stimmungen, verquerem Rhythmus und vor allem von seiner Hauptdarstellerin lebt. Greta Gerwig, die bereits in „Greenberg" und „From Rome with Love" Akzente setzte, sich aber noch nicht in die erste Reihe vorspielen konnte, verzaubert mal wieder von der ersten Sekunde an.
Wie sie hier stets ein wenig tollpatschig durch die Szenen stolpert und dabei immer doch auch Zuversicht, Selbstvertrauen, Zweifel und leise Angst ausdrückt, fasziniert ungemein. Immer wirkt sie ein wenig schüchterner, ein wenig unbeholfener und fremder als die anderen und immer hat man vor dem Hintergrund ihrer Lebensumwelt das Gefühl, in ihr einen Fremdkörper zu erkennen, der sich noch nicht so ganz einfügen durfte, konnte oder wollte. Beschwingt wie sonst nur selten verlässt man nach „Frances Ha" das Kino mit der Gewissheit, im Angesicht des Erwachsenwerdens so manchen Traum hinter sich lassen zu müssen, ebenso aber auch noch so manche schöne Überraschung und immer wieder auch tragikomische Schönheit im Leben finden zu können. Und damit ist Baumbach nach dem zerfahrenen „Greenberg" eine echte Überraschung gelungen – ein Film, der sanft auf unangenehme Themen aufmerksam macht, ohne aufgesetzte Schwere.
Fazit: „Frances Ha" ist ein trauriger und dennoch mitreißender Film über die Erfahrungswelt der späten Twenty-Somethings, über eine Zeit, in der alte Träume begraben und neue Chancen aufgetan werden.