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    The Voices
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Voices
    Von Christoph Petersen

    In gewisser Weise ist „The Voices“ genau wie „Silver Linings“ eine Wohlfühl-Komödie über eine psychische Erkrankung, schließlich endet der neue Film der für ihr Debüt „Persepolis“ oscarnominierten Marjane Satrapi mit einer absurd gutgelaunten Gesangsnummer irgendwo zwischen ABBA und Bollywood. Aber im Gegensatz zu Bradley Cooper, der als bipolarer Pat Solatano im Müllsack joggen geht und mit Jennifer Lawrence einen Tanzwettbewerb verliert, bringt Ryan Reynolds als schizophrener Jerry Hickfang regelmäßig seine Mitmenschen um und bewahrt ihre (zu ihm sprechenden) Köpfe in seinem Kühlschrank auf. Dabei stopft die Filmemacherin ihre bonbonbunte schwarze Komödie so sehr mit nicht immer zueinander passenden Regieeinfällen voll, dass sich zwar am Ende kaum noch ein inszenatorischer roter Faden ausmachen lässt, aber es in nahezu jeder Szene etwas Neues zu entdecken gibt. Zudem bebildert die iranischstämmige Regisseurin das fatale Wechselspiel zwischen einer kranken Psyche und den auf sie einwirkenden starken Medikamenten auf eindringliche Weise und so stimmt „The Voices“ trotz allem morbiden Spaß auch nachdenklich.

    Der psychisch gestörte Jerry Hickfang (Ryan Reynolds) wurde für ein Arbeitsprogramm in der Milton Bathtub Factory aus dem Gefängnis entlassen. Er muss auf gerichtliche Anordnung regelmäßig bei einer amtlichen Psychiaterin (Jacki Weaver) vorsprechen, die überwachen soll, dass er regelmäßig seine Medikamente einnimmt. Aber das mit den Psychopharmaka ist eben so eine Sache, denn wenn Jerry sie schluckt, dann verschwinden auch die bunten Schmetterlinge, die ansonsten um ihn herumschwirren. Und so kommt es, wie es kommen muss: Jerry setzt die Tabletten eigenmächtig ab und statt ihm selbst übernehmen einmal mehr seine zu ihm sprechenden Haustiere das Kommando. Während Hund Bosco (Stimme: Ryan Reynolds) seinem Herrchen gut zuredet, flüstert ihm seine angriffslustig-beleidigende Katze Mr. Whiskers (Ryan Reynolds) immer wieder zu, dass Mord mitunter eben doch eine Lösung sein kann. Und so ist es vielleicht nicht die schlaueste Idee, dass die schöne Fiona aus der Buchhaltung (Gemma Arterton) den neuen Kollegen eiskalt abblitzen lässt…

    Ein wenig blutiger Horror, ein wenig absurde Komödie, ein wenig Satire im Tim-Burton-Look und ein surrealer Schuss „Die fabelhafte Welt der Amelie“: Marjane Satrapi hat hier – gelinde gesagt – einen sehr merkwürdigen (allerdings auch in jeder Sekunde makaber-unterhaltsamen) Film abgeliefert. Dass „The Voices“ an dieser inszenatorischen Uneinheitlichkeit nicht zerbricht, liegt dabei an dem simplen Umstand, dass das Heterogene kongenial zum bewegten Seelenleben des gestörten Protagonisten passt. Nach dem Superflop „R.I.P.D.“ setzt Ryan Reynolds hier alles auf eine Karte und stürzt sich kopfüber in eine grandios-irre Rolle irgendwo zwischen oscarwürdigem Parforceritt und brachialem Sketch. Und damit nicht genug: In der englischen Originalfassung leiht er auch seinen beiden Haustieren ihre Stimmen, wobei sich gerade Mr. Whiskers mit seinen herrlich fiesen Beleidigungen im schottischen Akzent als echtes Comedy-Highlight erweist. Und wenn dann noch die abgetrennten Schädel von Jerrys bisherigen Opfern in die Diskussion mit einstimmen, dann wird’s richtig vogelwild-lustig: Trockener kann Humor kaum sein!

    Aber der Hund und die Katze, die hier die aus Cartoons bekannten Rollen von Engelchen und Teufelchen übernehmen, sind bei weitem nicht die einzigen Einfälle, mit denen Jerrys verqueres Innenleben auch visuell auf der Leinwand Ausdruck findet. Fast noch eindrucksvoller ist etwa, wenn wir sehen, wie Jerry seine Wohnung wahrnimmt - einmal mit Psychopharmaka und einmal ohne: Solange er auf seine Medizin verzichtet, erscheint sie als helles, gemütlich eingerichtetes Heim, die Köpfe im Kühlschrank sind gutgelaunt und der Rest der Körper ist feinsäuberlich in Tupperware verstaut. Aber Gott bewahre, wenn er die Pillen dann doch mal schluckt, dann sieht er nämlich die Welt, wie sie wirklich ist: Die Wohnung ist das reinste Chaos, alles ist verdreckt und unaufgeräumt, die Tapete löst sich vor lauter Schimmel von der Wand und die Köpfe im Kühlschrank grüßen nicht länger freundlich, sondern verwesen langsam vor sich hin. Jede Woche einen Kollegen zu killen, ist sicher auf Dauer keine Lösung, aber dass Jerry seine Psychopharmaka nur widerwillig einnimmt, kann nach dieser treffenden Bebilderung trotzdem jeder nachvollziehen.

    Fazit: Der Erzählton dieser zugleich pechschwarzen und bonbonbunten Komödie schlägt querbeet in alle Richtungen aus – und ist damit passenderweise ähnlich schizophren wie der serienmordende Protagonist selbst.

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