Jackie Chan, Jet Li und der Meister Bruce Lee mögen die Speerspitze des Martial-Arts-Kinos bilden, das traditionsreiche und breitgefächerte Genre hat aber auch abseits seiner weltberühmten Ikonen jede Menge zu bieten. Seine Wurzeln reichen zurück bis in die Tage des Stummfilms – in die Tage Zhang Shichuans, der mit „The Burning of the Red Lotus Temple" den artistischen Abenteuer-Reigen von der Theaterbühne 1928 ins frühe chinesische Kino überführte. Eine Blütezeit hatte das Genre in den 60er und 70er Jahren, als in den Klassikern der Shaw Brothers („Die 36 Kammern der Shaolin") vom Rache-Reißer bis zum Familiendrama ein weites Themenfeld abgedeckt wurde. Inzwischen haben selbst anerkannte Arthouse-Recken wie Ang Lee („Tiger and Dragon") oder Wong Kar-Wai („Ashes of Time") untypische Martial-Arts-Meisterwerke abgeliefert. Während letzterer mit der ihm eigenen Geduld noch immer im Schnittraum an seinem nächsten Genrebeitrag, dem epischen Ip-Man-Biopic „The Grandmasters", sitzt, hat sein Drehbuchautor Xu Haofeng zwischen Drehschluss und Fertigstellung des Films sein Regie-Debüt eingereicht: „The Sword Identity" ist ein ruhiges Drama im Gewand eines Schwertkampffilms – in seinen besten Momenten ist der Film geradezu hypnotisch, streckenweise fehlt ihm aber auch schlicht der erzählerische Nachdruck.
Als ein mysteriöser Krieger (Song Yang) im verschlafenen Küstenort Shuangye einkehrt, will ihn die Stadtwache verhaften. Doch daraus wird nichts: Um seine Gegner zu Boden zu schicken, muss der Mann nicht einmal das Schwert aus der Scheide nehmen. Bald kreuzt der geheimnisvolle Kämpfer den Weg der örtlichen Autorität Qie (Ma Jun). Diesem unterbreitet er sein Anliegen, eine Kampfschule zu eröffnen. Dafür müsste er den Meistern der vier bereits im Ort ansässigen Martial-Arts-Schmieden im sportlichen Duell gegenübertreten. Der alte Qie jedoch ist misstrauisch und hält den Namenlosen aufgrund seines exotischen Schwertes für einen japanischen Samurai, der hinter feindlichen Grenzen ein Partisanen-Netz aufbauen will. Schnell verhärten sich die Fronten zwischen dem Fremden und Qie, der munter Intrigen gegen den Neuling spinnt. Eine Eskalation scheint unvermeidlich...
Erst mit etwas historischem Vorwissen über den chinesisch-japanischen Konflikt zur Zeit der Ming-Dynastie (1368 bis 1644) wird „Sword Identity" so richtig verständlich. Denn nur dann ist es möglich, dem komplexen Geflecht nationaler und regionaler Ressentiments zu folgen, das der Debütfilmer hier anhand einer verschachtelten Handlung darstellt. Wer jedoch in erster Linie auf virtuose Dauer-Action hofft, wird wenig Freude am Xus Drama haben. Zum Auftakt gibt es zwar einige Kämpfe. Doch bereits die minimalistische und statische Inszenierung der Scharmützel lässt darauf schließen, dass Xu nicht auf Schauwerte aus war. Die wenigen Action-Sequenzen filmt er in langen Einstellungen, die vor allem bedrohliche kleine Blicke und Gesten zeigen. Und dann entscheidet in der Regel ein einziger Hieb über Gedeih und Verderb der Kontrahenten: Konsequent vermeidet Xu in Handlung und Bildsprache allzu geläufige Genre-Klischees.
Am ehesten ähnelt „The Sword Identity" dabei Takashi Miikes Samurai-Drama „Hara-Kiri - Tod eines Samurai" von 2011. Hier wie da sind spektakuläre Fights Nebensache; im Vordergrund stehen Impressionen einer karg-grauen, aus Mauern und Innenräumen zusammengesetzten Welt, in der sich konzentriert aufspielende Darsteller schicksalhafte Wortgefechte liefern oder in Ritualen erstarren. Das ist historisch, dramatisch und thematisch klarsichtig inszeniert, jedoch kaum emotional berührend. „Sword Identity" wirkt wie eine düstere Theatertragödie, deren fatales Ende von Beginn an in Stein gemeißelt ist. Wer es gerne wild und elektrisierend hat, ist etwa bei Miikes „13 Assassins" besser aufgehoben. Auch dort wird 40 Minuten lang grimmig aufeinander eingeredet, dann jedoch geben sich die Streiter gepflegt Saures. Xu dagegen erzählt von Menschen, die langsam einsehen müssen, dass sie zwar durchs Schwert leben, ihre Probleme jedoch nicht immer mit ihm lösen können. Wenn das mal kein untypisches Martial-Arts-Mantra ist!
Fazit: „The Sword Identity" ist inhaltlich und formal mehr klassisches Drama als typischer Martial-Arts-Streifen. Ein wenig Geduld und historisches Interesse vorausgesetzt ist Xu Haofeng stiller Schicksalsreigen Fernost-Fans dennoch klar zu empfehlen.