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    Tammy - Voll abgefahren
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Tammy - Voll abgefahren
    Von Björn Becher

    Wer sich den Trailer zu „Tammy – Voll abgefahren“ anschaut, dürfte eine klare Vorstellung davon bekommen, was ihn erwartet. Melissa McCarthy, spätestens seit „Brautalarm“ und dem Start ihrer Sitcom „Mike & Molly“ eine der erfolgreichsten US-Komikerinnen, zieht sich darin eine fettige Papiertüte einer Burger-Kette über den Kopf, bewegt ihren fülligen Körper eher unbeholfen denn cool zu Rap-Sounds und startet einen Überfall auf das Fast-Food-Restaurant. Die absurde Szene scheint eine deutliche Sprache zu sprechen, zumal McCarthy ohnehin dafür bekannt ist, auch vor derb-vulgären Zoten nicht zurückzuschrecken. Wenn man dann noch weiß, dass mit Will Ferrell und Adam McKay zwei Spezialisten für grobhumorige Erwachsenen-Komödien als Produzenten hinter dem Film stehen, dann ließe sich in „Tammy“ ein Feuerwerk von Furz- und Kotzwitzen vermuten. Doch McCarthy geht diesmal gemeinsam mit ihrem Ehemann und Co-Autor, Debütregisseur Ben Falcone, einen anderen Weg: „Tammy“ ist weniger massentaugliches Komödienkino als vielmehr ein ungemein persönliches Road-Movie mit deutlichen Anklängen an das zeitgenössische US-Independent-Kino - vor allem an die sogenannte Mumblecore-Bewegung. Die illustre Besetzung mit vielen aus den 80er-Jahren bekannten Altstars sorgt für die besten Momente in diesem eigenwilligen und ganz bewusst etwas unrund erzählten Film.

    Tammy (Melissa McCarthy) hat einen richtigen Scheißtag. Erst geht ihr Auto kaputt, dann verliert sie auch noch ihren (eigentlich ohnehin verhassten) Job in einer Fast-Food-Kette und zu Hause umgarnt Ehemann Greg (Nat Faxon) Nachbarin Missi (Toni Collette). Tammy beschließt dem Heimatkaff endgültig den Rücken zu kehren. Dabei muss sie aber wohl oder übel ihre Großmutter Pearl (Susan Sarandon) mitnehmen, denn diese will auch weg und kann einige unentbehrliche Utensilien zur Verfügung stellen: ein fahrendes Auto und ein dickes Bündel Bargeld. So brechen die ungleichen Frauen zu einem gemeinsamen Road-Trip auf, auf dem sie allerhand erleben. Da reißt die dem Alkohol sehr stark zugeneigte Pearl den Farmer Earl (Gary Cole) auf und verbannt die gemeinsam mit Earls nettem Sohn Bobby (Mark Duplass) betreten zuschauende Tammy aus dem Motelzimmer. Es folgen ein Gefängnisaufenthalt, ein höchst unkonventioneller Überfall auf eine Fast-Food-Kette und eine von Tammys Tante Lenore (Kathy Bates) veranstaltete „Lesbian 4th of July“-Party. Unterwegs bekommen sich die tumbe Tammy und die ihrem bewegten Leben nachtrauernde Pearl immer wieder in die Haare, doch nach und nach erkennen sie, was sie aneinander haben…

    Der Vorspann von „Tammy“ steckt voller bekannter Namen, denn Regisseur Ben Falcone verrät uns darin nicht nur die Hauptdarsteller, sondern nennt auch all jene Stars bereits, die in den folgenden 90 Minuten mehr oder weniger lange Gastauftritte absolvieren. So heizt er geschickt die Erwartungen an – die er später perfekt erfüllt: Wir wollen nicht zu viel verraten, aber allein der Cameo von „Ghostbusters“-Altstar Dan Aykroyd ist ein Hochgenuss. Neben den Gästen setzen aber auch die Hauptdarstellerinnen immer wieder Glanzpunkte. Melissa McCarthy hat mal wieder gar kein Problem damit, ihre Körperfülle voll einzusetzen und gibt ihrer Figur etwas Tumb-Aggressives. Tammy ist fast schon zum Fremdschämen dumm und unfreundlich, hält Mond-Spaziergänger Neil Armstrong für einen unbekannten Bruder von Radrennfahrer Lance, stopft laufend Essen in sich rein und beleidigt jeden, der ihr irgendwie quer kommt. Das überschreitet hin und wieder die Grenze des Erträglichen, funktioniert schlussendlich aber doch, weil McCarthy der Figur trotz allem emotionale Tiefe verleiht und man immer wieder mit ihr fühlen kann - diese Kombination aus Hemmungslosigkeit und Jedermann-Qualitäten erinnert an die Rollen von Adam Sandler. Wenn Tammy überzeugt ist, dass sie in der Bar jeden Typen aufreißen kann, dann aber gnadenlos scheitert und versucht, sich dies schönzureden, dann ist dies ein genau solcher Moment des Mitgefühls trotz aller Großspurigkeit.

    Neben Melissa McCarthy, mit der sie perfekt harmoniert, brilliert Susan Sarandon in der zweiten Hauptrolle. Die „Thelma & Louise“-Legende gibt mit immenser Spielfreude die Oma, die noch einmal so richtig die Sau rauslassen will und den Plan auch unbeirrt in die Tat umsetzt. Dabei bekommt die Brüste entblößende Alkoholikerin auch einige witzige Momente, aber insgesamt ist diese Pearl fast schon eine tragische Figur, deren Leben komplett in Ruinen liegt. „Tammy“ ist eben keine (Klamauk-)Komödie, sondern Falcone und McCarthy schließen an die wegen der oftmals genuschelten Unterhaltungen Mumblecore genannte Strömung im US-Independent-Kino an. Dort kommunizieren die Figuren in oftmals weitgehend improvisierten, bisweilen auch ausufernden Dialogen – genau wie hier. Es ist also sicher kein Zufall, dass in „Tammy“ mit Mark Duplass (in dessen „Jeff, der noch zu Hause lebt“ wiederum Susan Sarandon mitwirkte) einer der Köpfe der Mumblecore-Bewegung vor der Kamera steht. Wenn einzelne Szenen hier regelrecht zerfasern oder ins Nichts verlaufen, wenn die Figuren nicht immer direkt auf den Punkt kommen und sich so manche Länge einschleicht, dann ist das typisch für diese Arbeitsweise – sie sorgt aber auch dafür, dass „Tammy“ geerdet ist. Der Film ist darin wie seine Hauptfigur, die ihrerseits so gar nicht dem Hollywood-Idealbild entspricht.

    Fazit: Wer bei „Tammy - Voll abgefahren“ ein großes Gag-Feuerwerk erwartet, ist im falschen Film. Unter dem Deckmantel der Komödie hat Melissa McCarthy sich selbst einen kleinen persönlichen Film beschert, der nicht durchweg funktioniert, aber immer wieder schöne Momente bietet.

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