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    Blade Runner 2049
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Blade Runner 2049
    Von Christoph Petersen

    38 Jahre nach „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ bringt Meisterregisseur Ridley Scott 2017 endlich wieder einen „richtigen“ Alien-Film in die Kinos (seinen Philosophie-Abstecher „Prometheus – Dunkle Zeichen“ lassen wir mal beiseite). Die meisten Fans freuen sich drauf! Und was ist? „Alien: Covenant“ entpuppt sich als durchschnittlicher Weltraum-Horror – kann man gucken, ist aber von einer Offenbarung meilenweit entfernt. 35 Jahre nach „Blade Runner“ bringt nicht Ridley Scott, sondern der frankokanadische „Arrival“-Regisseur Denis Villeneuve 2017 eine Fortsetzung zu dem bahnbrechenden Sci-Fi-Noir in die Kinos. Was für eine Majestätsbeleidigung! Die allermeisten Fans sind skeptisch, manche sogar sauer! Und was ist? „Blade Runner 2049“ entpuppt sich nicht nur als einer der besten Science-Fiction-Filme des Jahres oder der Dekade, sondern als einer der besten Science-Fiction-Filme überhaupt. Das Sequel wird natürlich niemals denselben genrerevolutionierenden Einfluss haben wie das Original, aber für uns steht fest: Es ist trotzdem der bessere Film!

    Hello my friends,

    I am excited for you to see my film today. I have a favor to ask of all of you. I do not know what you will think of my movie, however, whatever you write, I would ask that you preserve the experience for the audience of seeing the film the way you see it today… without knowing any details about the plot of the movie. I know this is a big request, but I hope that you will honor it.

    Best, Denis

    Wir werden dieser zu Beginn der Pressevorführung von „Blade Runner 2049“ eingeblendeten Bitte des Regisseurs nachkommen und zumindest vorerst auf die an dieser Stelle übliche Synopsis verzichten. Dieser Text enthält allgemein keinerlei Hinweise auf den Plot – trotzdem werden wir einige Momente ohne direkten Bezug zur Story auch im Detail beschreiben, weil ansonsten eine kritische Auseinandersetzung mit dem Film schlicht nicht möglich ist. Wer also absolut überhaupt gar nichts wissen will, sollte dementsprechend vorher auch nichts drüber lesen und besser gleich zum Fazit springen.

    Ridley Scotts „Blade Runner“ war bei seinem Kinostart 1982 ein solider Erfolg, aber alles andere als ein ausgemachter Kassenhit - Steven Spielbergs „E.T. – Der Außerirdische“ hat im selben Jahr mehr als das 13-Fache (!) an den nordamerikanischen Kinokassen eingespielt. Auch die verdiente Anerkennung als Kultklassiker hat noch eine Zeitlang auf sich warten lassen – und das ist auch gar nicht weiter verwunderlich: Schließlich ist „Blade Runner“ ein zwar visuell berauschender, aber eben auch thematisch sperriger und mit kühler Strenge komponierter Zukunfts-Noir - sowas wie die amerikanische Antwort auf die herausfordernden Andrei-Tarkovsky-Meisterwerke „Solaris“ und „Stalker“. „Blade Runner 2049“ bewahrt diese Qualitäten des Originals: Denis Villeneuve („Prisoners“, „Sicario“) entwirft eine visuell atemberaubende dystopische Welt vollgestopft mit faszinierenden, immer auch unsere heutige Gesellschaft spiegelnden Science-Fiction-Konzepten - und er stellt zugleich den Kern des Menschseins an sich auf ebenso ambivalente wie intelligente Weise in Frage. Trotz dieser prominenten philosophischen Dimension und den auch diesmal wieder perfekt-präzise durchkomponierten Bildern ist „Blade Runner 2049“ aber kein kalter Film wie das Original – ganz im Gegenteil.

    Schon die erste Sequenz auf einer Farm in der Nähe von Los Angeles macht zwei Dinge ganz klar: Nach 13 (!) erfolglosen Nominierungen muss Kamera-Gott Roger Deakins („Die Verurteilten“, „Fargo“, „Skyfall“) endlich seinen ersten Oscar bekommen! Vom grauen Grau des Auftakts über die orangestrahlende Wüste von Las Vegas bis zum spektakulär-minimalistischen Showdown in einer nächtlichen Brandung – „Blade Runner 2049“ ist Deakins‘ absolutes Meisterstück! (Selbst die ruhigsten Szenen sind derart spektakulär gefilmt, dass einem erst hinterher auffällt, dass der Film trotz seiner stolzen Laufzeit von 163 Minuten völlig ohne ausufernde Action-Sequenzen auskommt.) Zum anderen ist der Film von Anfang an ein emotionaler Volltreffer – und das, obwohl sich hier mit Ryan Gosling („La La Land“, „Drive“) und Dave Bautista („Riddick“, „Guardians Of The Galaxy“) zwei eher als störrisch bekannte Schauspieler gegenüberstehen. Denis Villeneuve peilt die größtmögliche Tragik an – und bei einem weniger stilsicheren Regisseur hätte derselbe Plot womöglich sogar ins Seifenopernhafte abgleiten können. Aber „Blade Runner 2049“ ist insgesamt derart behutsam und subtil erzählt, dass die zwischenzeitlichen Schläge in die Magengrube des Publikums umso wirkungsvoller ihr Ziel treffen…

    … woran übrigens auch Hans Zimmer („Dunkirk“) und Benjamin Wallfisch („Es“) einen gehörigen Anteil haben. Nachdem der ursprünglich vorgesehene Villeneuve-Stammkomponist Johann Johannsson („Die Entdeckung der Unendlichkeit“) noch auf der Zielgeraden gefeuert wurde, weil seine Kompositionen laut Aussage des Regisseurs einfach nicht mehr dem Geist der unvergessenen Vangelis-Klänge des Originals entsprachen, haben Zimmer und Wallfisch trotz der knappen Zeit einen pointierten Score (es gibt für einen Blockbuster ungewöhnlich viele Szenen, die ganz ohne Hintergrundmusik auskommen) zwischen geheimnisumwobenem Grollen und sphärischer Melancholie (einige Stücke erinnern an die Musik von „No Man’s Sky“) geschrieben. Damit decken sie genau die beiden Extreme ab, zwischen denen auch „Blade Runner 2049“ als Ganzes immer wieder pendelt – entweder raubt uns der Film mit seiner visionären Bildgewalt den Atem oder er zerreißt uns mit seiner tiefen Tragik das Herz (gerade weil die Protagonisten selbst auf die fiesesten Schicksalsschläge meist mit einer stoischen Resignation und einer einzelnen Träne reagieren).

    „It’s okay to dream a little.“

    „Not for us.“

    - ein Dialog zwischen zwei Replikanten in „Blade Runner 2049“

    Mit der Art, wie sich in „Blade Runner 2049“ der Rassismus gegenüber Replikanten oft nur in vermeintlich harmlosen Alltagsformulierungen bemerkbar macht (es gibt daneben natürlich auch schreiende Vollblut-Rassisten), trifft Villeneuve den Nerv unserer Zeit. Noch eindringlicher ist allerdings, wie konsequent er fast wie nebenbei die Gedanken zur digitalen Liebe aus Spike Jonzes „Her“ weiterspinnt: Ryan Goslings K ist nämlich mit dem als Hologramm auftretenden Computerprogramm Joi (Ana de Armas, „Knock Knock“) zusammen. Zunächst ist Joi noch an das an der Decke des Apartments entlangfahrende Kamerasystem gebunden, aber dann schenkt ihr K zum Jubiläum ein tragbares Modell – und allein die kindliche Freude in ihren Augen, als sie nach oben guckt und sich zum ersten Mal in ihrem „Leben“ ohne Kamera über sich frei bewegen kann, lässt einen ganz anders über die Natur künstlicher Intelligenz nachdenken. (Natürlich gibt es im Haupthandlungsstrang rund um die Replikanten noch etliche weitere solche Denkanstöße.) Und wenn Später im Film auch noch die KI-Sexszenen-Idee aus „Her“ aufgegriffen und weitergeführt wird, dürfte nebenbei ziemlich abschließend geklärt sein, welcher Film als Favorit für die Besten visuellen Effekte in die anstehende Oscar-Saison gehen wird.

    Der Moment, in dem die emotional-berührende und die visuell-visionäre Ebene von „Blade Runner 2049“ am kongenialsten zusammenkommen, ist Ks Besuch bei der Erinnerungs-Programmiererin Dr. Ana Stelline (Carla Juri, „Feuchtgebiete“). Sie lebt wegen einer Krankheit allein in einer großen Glaskuppel und entwirft dort Erinnerungsfetzen, die dann den Replikanten eingepflanzt werden (das Implantieren echter Erinnerungen ist streng verboten). Mit einem an eine Spiegelreflexkamera erinnernden Gerät (nur mit sehr viel mehr verstellbaren Objektiven) füllt Stelline den isolierten Raum langsam erst mit einer Torte, dann mit Kerzen und schließlich mit lachenden Kindern, die die Kerzen ausblasen. Jedes Lächeln, jedes Pusten passt sie solange an, bis der Moment absolut perfekt ist – als würde sie in einer Art Zukunfts-Photoshop ein dreidimensionales Video bearbeiten. Wie sie nur aus ihrem abgeschirmten Glaskasten heraus, ohne die reale Welt zu erleben und zu spüren, solche vollendeten Erinnerungen kreieren kann, ist für uns Normalsterbliche ebenso unerklärlich wie die Herkunft der immer stimmigen und immer überraschenden Bilder, die Villeneuve und Deakins hier zwei Stunden und 43 Minuten lang auf die Leinwand zaubern. Und ehrlich gesagt wollen wir es auch gar nicht verstehen – es einfach nur zu genießen reicht vollkommen. „Blade Runner“ ist ein Film zum Staunen und Bewundern. „Blade Runner 2049“ ist ein Film zum Staunen, zum Bewundern und noch viel mehr…

    Fazit: Ganz selten hatten wir derart früh in einem Film das Gefühl, nicht einfach nur einen verdammt guten Blockbuster, sondern einen zeitlosen Klassiker zu sehen – und in den folgenden zweieinhalb Stunden gab es keine einzige Sekunde, die uns an unserem anfänglichen Gefühl zweifeln ließ.

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