Der Spitzenplatz des besten nationalen Actionkinos wandert zurzeit in schneller Folge von einem asiatischen Land zum anderen. Hin und wieder gibt es Lebenszeichen aus den USA. Produktionen wie das Rentner-Tanzkränzchen „The Expendables" oder die „Fast and the Furious"-Reihe können zwar mit astronomischen Budgets und digitalen Sperenzchen aufwarten, doch will der alte Funke einfach nicht mehr so oft überspringen. In Asien wird dagegen nach wie vor an ganz eigenen, verteufelt gut gewürzten Action-Süppchen geköchelt. Wo das Hongkong-Kino ohnehin eine lange Tradition hat und immer wieder Knaller wie Wilson Yips „Flash Point" hervorbringt, trumpft Südkorea mit verschnörkelten Genre-Perlen wie „Bittersweet Life" auf. Auch das sonst eher für transzendentales Kunstkino bekannte Thailand ließ etwa mit „Ong-Bak " aufhorchen. Doch da ist noch mehr. 2009 konnte sich Indonesien mit dem noch etwas ungelenken, doch vielversprechenden Martial-Arts-Kleinod „Merantau - Meister des Silat" auf dem Parkett des neuen handfesten Actionkinos behaupten. Nach langem Internet-Hype und Festival-Boom erreicht der neue Film des walisisch-stämmigen „Merantau"-Regisseurs Gareth Evans nun endlich die Kinos. Die Erwartungen sind hoch und inszenatorisch wird ihnen „The Raid" mehr als gerecht. Den Gesamteindruck stört lediglich, dass sich Evans im Schlussakt plötzlich in Handlungsdetails und einem arg gedehnten Epilog verliert, wo zuvor wunderbar geradlinig erzählt wurde.
In den Ghettos von Jakarta regiert das Verbrechen. Gangster-Warlords wie der skrupellose Tama (Ray Sahetapy) haben sich in den Wohnblöcken einquartiert und umgeben sich mit einer Privatarmee, die für sie morden und sterben würde. Als eines Tages eine Spezialeinheit unter der Führung des zwielichtigen Lieutenant Wahyu (Pierre Gruno) anrückt, um den Kingpin festzunehmen, kommt es zu einem blutrünstigen Kampf auf Leben und Tod. Bald haben Scharfschützen die Rückendeckung der Polizisten ausgeschaltet und die Einheit wird mehr und mehr aufgerieben. Der kampfstarke Rekrut Rama (Iko Uwais) sieht sich einer wahren Gangster-Übermacht ausgeliefert – aufgeben ist jedoch keine Option...
Neben seinem wuchtigen Budenzauber zeichnet sich „The Raid" vor allem durch eine saubere Drei-Akt-Dramaturgie aus. Statt gleich mit einem Knall anzufangen, überrascht „The Raid" mit bedächtigem Spannungsaufbau. Die Szenen, in denen sich das Squad-Team auf leisen Sohlen in den Block vorarbeitet, glänzen mit großem Stilwillen und lustvollem Suspense-Gestus. Manchmal erinnert der Film dabei an den Berlinale-Sieger von 2008, „Tropa de Elite", oder an „Born Free", das M.I.A.-Video von Romain Gavras. Wenn nach diesem knisternden Vorspiel jedoch der Groschen fällt, geht praktisch nonstop die Post ab. Mit großkalibriger Feuerpower, Knüppeln, Messern und Macheten werden sowohl die Reihen der Gangster als auch die des Einsatzkommandos immer weiter ausgedünnt, bis sich nach jeder Menge CGI-Blutvergießen nur noch kleine Gruppen in ausufernden Mann-gegen-Mann-Gefechten begegnen. Speziell das lange Finale gegen den Gangster-Kettenhund „Mad Dog" (Yayan Ruhian) ist in puncto Härte und Spannung kaum zu überbieten – je nach Publikum wird dieser Schlussakkord entweder Standing Ovations oder angewidertes Kopfschütteln provozieren.
Die Actionszenen sind rasant und mit interessanten Details vollgestopft. Auch die engen Gänge, die Kargheit der Interieurs und die allgemeine Klaustrophobie des beklemmenden Szenarios werden wunderbar in die krawalligen Höhepunkte eingeflochten. Wenn das Mündungsfeuer einer Pumpgun Schatten an die Wände wirft und damit ein erster großer Shootout vom Zaun gebrochen wird, die Flucht vor der nahenden Übermacht durch Löcher im Parkett ergriffen wird, oder ein Kampf mit zahlreichen Messern und Macheten so schnell geht, dass der Betrachter schon hochkonzentriert bei der Sache sein muss, um wirklich jeden Stich und jeden Wechselschritt vom Tode weg zu verstehen, zeigt Evans, dass auch eine schweinebrutale Actionszene Filmkunst sein kann. Bloß – nach rund einer Stunde, die durch gelegentliche Feuerpausen und Handlungswendungen nur unwesentlich gebremst wird, erschöpft sich selbst die kunstvollste Nonstop-Action.
Im Schlussakt folgen dann plötzlich Handlungsfinten, die mehr Verwirrung stiften, als dass sie das Action-Sperrfeuer stimmig ergänzen würden. Hier liegen die kleinen Mängel von „The Raid", die das Werk vom Meisterwerk trennen. Wenn Rama im Block auf seinen Bruder Andi (Donny Alamsyah) stößt, der es in der Gang von Tama zur Nummer Zwei gebracht hat, dann poltert es schon gewaltig im Skript. Das wäre gar nicht nötig gewesen, denn im Kern ist „The Raid" ein Film ohne (Identifikations)-Figuren im üblichen Sinn. Der Held Rama bekommt zwar einen Prolog spendiert, der ihn als werdenden Vater einführt – und sowohl auf den Seiten der Polizei als auch der Gangster gibt es interessante Akteure. Letztendlich macht hier jedoch ein einziger Blick alle Fronten klar. Erfrischend ehrlich wirkt dabei, dass auch Rama nicht so lange stehen bleibt, weil er der moralisch sauberste wäre, sondern weil er einfach schneller und härter als seine Gegner agiert. Hätte Evans dieses Konzept bis zur letzten Filmminute durchgezogen, wäre „The Raid" ziemlich sicher ein moderner Klassiker geworden.
Fazit: Gareth Evans „The Raid" ist ein grandios inszenierter Actionkracher, ebenso aber ein Film von bemerkenswerter Kälte, der sich im Schlussakt mit einem Übermaß an abstrusen Wendungen selbst ein wenig ins Straucheln bringt.