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    Only Lovers Left Alive
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Only Lovers Left Alive
    Von Carsten Baumgardt

    Nach dem Ende der unglaublich erfolgreichen „Twilight“-Kinoreihe stellt sich ganz Hollywood plötzlich die Frage: Wo bekommen wir jetzt neue Vampire mit der Lizenz zum Gelddrucken her? Da meldet sich nun jemand zu Wort, den in dieser Hinsicht wohl niemand auf der Rechnung hatte. Ausgerechnet Independent-Ikone Jim Jarmusch ringt dem Vampirgenre einen originellen neuen Kniff ab. Nach der Weltpremiere von „Only Lovers Left Alive“ bei den Filmfestspielen von Cannes 2013 feixte ein gutgelaunter Jarmusch bei der Pressekonferenz dann auch ironisch: „Ich habe gehört, dass man mit Vampirfilmen eine Menge Geld verdienen kann.“ Trotzdem präsentiert der „Dead Man“-Regisseur natürlich keinen Epigonen der keuschen Teenie-Romanzen um Bella & Co. - immerhin hat er die „Twilight“-Filme nach eigener Aussage nicht einmal gesehen. Stattdessen entpuppt sich „Only Lovers Left Alive“ als düster-betörender, atmosphärisch extrem dichter Mix aus Arthouse- und Genre-Kino.

    Der begnadete Musiker und geniale Erfinder Adam (Tom Hiddleston) lebt vollkommen zurückgezogen in einem abgelegenen Industriegebiet von Detroit. Aus dem Haus geht er selten - und wenn auch nur nachts. Wichtige alltägliche Erledigungen wie etwa das Organisieren handgefertigter Patronen aus härtestem Edelholz übernimmt seine rechte Hand Ian (Anton Yelchin). Über die Jahrhunderte ist Adam ein wenig depressiv geworden, vielleicht schlägt ihm aber auch nur das ewige nächtliche Herumschleichen aufs Gemüt – bei seinem blassen Teint könnte ihm ein wenig Sonnenlicht ganz sicher nicht schaden. Doch als Vampir zieht sich Adam tagsüber eben besser zurück. Seine große Liebe Eve (Tilda Swinton) spürt Adams Einsamkeit und siedelt aus dem marokkanischen Tanger zurück in die USA. Als sich jedoch Eves wilde Schwester Ava (Mia Wasikowska) zum ersten Familienbesuch seit 87 Jahren ansagt, läuft das harmonisch-unauffällige Dasein plötzlich völlig aus dem Ruder…

    Ein Vielfilmer ist Jim Jarmusch nicht gerade. Der Regie-Außenseiter bleibt seinem gesetzten Rhythmus auch 33 Jahre nach seinem Kinodebüt „Permanent Vacation“ (1980) mit seinem erst zwölften Leinwandprojekt treu. Jarmusch ist eben ein leidenschaftlicher Auteur und beansprucht als solcher die komplette künstlerische Kontrolle über sein Werk. In Hollywood bleiben solch querköpfige Visionäre außen vor - deshalb sucht Jarmusch nach unabhängigen Produzenten, was oftmals eben ein bisschen länger dauert. Auch „Only Lovers Left Alive“ brauchte nun stolze sieben Jahre von der ersten Idee bis zum fertigen Film (mit dem ARD-Produktionsarm Degeto als Co-Produzenten). „Only Lovers Left Alive“ ist ein archetypischer Jarmusch und fühlt sich trotzdem absolut frisch an. Seine Annäherung an den jahrhundertealten Vampir-Mythos ist im doppelten Sinne düster: Nicht eine einzige Szene spielt bei Tageslicht und die Stimmung ist getragen von der permanenten Depression, die die melancholische Hauptfigur Adam in sich trägt. Und dennoch steckt „Only Lovers Left Alive“ voll Humor und Leben, weil die wunderbare Liebesgeschichte zwischen Tom „Loki“ Hiddleston („The Avengers“) und der Jarmusch-Muse Tilda Swinton („Broken Flowers“, „We Need To Talk About Kevin“) tief berührt und die trockenen-sarkastischen Dialoge perfekt sitzen.

    Jim Jarmusch huldigt dem Vampir-Mythos, indem er sich auf einige Standards wie die Lichtscheue, den Blutdurst und die Särge einlässt, demontiert ihn zugleich aber auch durch seine ungewöhnliche Interpretation der Vampire als grimmig-stille Wohltäter der Menschen, die sich ihr Lebenssaft aus Labors beschaffen, statt ihre Opfer direkt anzuzapfen. Frauenschwarm Hiddleston gibt Adam als grüblerischen Trübsalbläser, der sich arrangiert hat, mit den Menschen zu leben, selbst wenn seine Hoffnung auf deren fortgeschrittene Intelligenz längst erloschen ist. Als „Zombies“ bezeichnen die Vampire die kleingeistigen Lebenden deshalb voller Verachtung. Viele geniale Erfindungen und Musikkompositionen hat Adam der Menschheit anonym geschenkt. Er ist ein Philosoph des Schattens, er genießt seine Triumphe des Erschaffens im Verborgenen. Dabei ist dieser Gedankengang in der Geschichte völlig logisch und konsequent: Wer über Jahrhunderte auf der Erde wandelt, eignet sich fast automatisch ein schier unfassbares Wissen an: Sprachen, Wissenschaft, Musik! Kein Wunder, dass Jarmusch da referenziert, was in Kunst und Wissenschaft Rang und Namen hat – von den Dichtern George Gordon Byron und James Joyce über den Mathematiker Fibonacci bis hin zu den Doktoren Faust, Strangelove und Caligari.

    Trotz der vielen Verweise bleibt das emotionale Zentrum des Films aber die Liebe zwischen Adam und Eve. Tilda Swinton strahlt dabei nicht nur Geborgenheit aus, sie sorgt auch für trockenen Humor und geschliffene Oneliner. Eve besitzt zwar nicht die Genialität ihres Partners, hat sich mit der Öde des endlosen Lebens aber besser abgefunden. Sie ist selbstbewusst, den Menschen überlegen und doch verwundbar. Jarmusch bewegt sich in „Only Lovers Left Alive“ in seinem eigenen Universum, das Erzähltempo ist gemäßigt, die Handlung weniger von konkreten Ereignissen als von Stimmungen getrieben. Musik war immer schon ein ganz wichtiger Faktor in Jarmuschs Oeuvre und spielt auch hier eine dominante Rolle. Adam experimentiert mit Underground-Sounds: schwere Gitarrenriffe und halluzinatorische Klangwelten, die seine Eigenwilligkeit noch einmal potenzieren (kein Wunder, immerhin kommen auf dem Soundtrack so unterschiedliche Stile wie Jarmuschs eigene Psychedelic-Rock-Band Sqürl und der niederländische Lautenspieler Jozef van Wissem zusammen).  

    Fazit: Jim Jarmusch rückt dem Vampir-Mythos ebenso originell wie humorvoll zu Leibe. „Only Lovers Left Alive“ ist exzentrisches Midnight Movie und betörend-düsterer Liebesfilm in einem - cool, philosophisch, poetisch, retro: Jarmuschs zugänglichster und witzigster Film seit langem!

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