William Friedkin ist mit seinen inzwischen 76 Jahren in einem Alter, in dem er zunehmend häufig als Regie-Veteran bezeichnet wird. Neben aufrichtiger Bewunderung schwingt dabei allerdings meist auch die Überzeugung mit, dass der Filmemacher die besten Jahre schon hinter sich hat. Und es ist ja auch unbestreitbar, dass Friedkins bis heute berühmteste Filme die Siebziger-Jahre-Klassiker „French Connection" und „Der Exorzist" sind. Seither ist seine Karriere äußert wechselhaft verlaufen; nachdem seine beiden bisher letzten Filme „Die Stunde des Jägers" und „Bug" äußerst gemischt aufgenommen wurden, hat er sich rar gemacht und lieber Opern inszeniert. Nun zeigt Friedkin nach vierjähriger Kinopause, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehört und präsentiert mit dem schwarzhumorigen Thriller „Killer Joe" ein so frisches, aufregendes, vitales und intelligentes Stück Kino, wie es so manchem gefeierten Jungregisseur gut zu Gesicht stünde.
Irgendwo in Texas: Chris Smith (Emile Hirsch) steckt in Schwierigkeiten. Er schuldet dem Gangster Digger Soames (Marc Macaulay) 1.000 Dollar und weiß nicht, wie er das Geld auftreiben soll. Aber er hat gehört, dass seine verhasste Mutter eine Lebensversicherung über 50.000 Dollar abgeschlossen hat, deren Begünstigte seine Schwester Dottie (Juno Temple) ist. Er schlägt seinem Vater Ansel (Thomas Haden Church) vor, die Mutter umbringen zu lassen und die Versicherung zu kassieren. Der lässt sich unter der Bedingung überreden, dass auch seine neue Frau Sharla (Gina Gershon) und Dottie einen Anteil des Geldes bekommen. Chris will „Killer Joe" Cooper (Matthew McConaughey) engagieren, einen Police Detective, der im Nebenberuf als Auftragskiller arbeitet, allerdings kann die mordwillige Familie die Vorauszahlung des Honorars nicht leisten. Der Deal droht zu platzen, bis sich Joe bereit erklärt, Dottie als Pfand zu akzeptieren...
„Killer Joe" basiert wie schon Friedkins voriger Film „Bug" auf einem Theaterstück des Pulitzer-Preisträgers Tracy Letts, der persönlich die Drehbuchbearbeitung vornahm. Auf der Leinwand wird daraus ein Werk, das deutlich in der Tradition des Film noir steht. Unheilvolle Verstrickungen, fatale Verzweiflungstaten und vor nichts zurückschreckender Egoismus, das sind auch hier die Zutaten. Dazu kommt ein schäbig-schönes Neonlicht von Kameramann Caleb Deschanel („Die Passion Christi") und ein durch die Dekors sachte angedeuteter äußerer Verfall, der wiederum zu den dramatischen und brutalen Manövern der Protagonisten passt. Natürlich haben wir den freundlichen Gangster, der Privates und Berufliches strikt trennt, schon oft gesehen, genau wie den von den Umständen überrollten Protagonisten, der jedes Mal die falsche Entscheidung trifft und so immer tiefer ins Schlamassel gerät. Doch Friedkin, Letts und die Schauspieler machen aus „Killer Joe" noch weit mehr als eine exzellente Genre-Variation – den bekannten Versatzstücken und Archetypen geben sie neues Leben und echte Ambivalenz.
Auch in „Killer Joe" wird kein rosiges Bild von der menschlichen Natur gezeichnet, aber wo andere in Zynismus und Herablassung abdriften, wird hier keine Figur für einen Gag verraten und keine Gewalttat zur billigen Pointe. Emile Hirsch etwa - der schon in „Alpha Dog" und in „Into the Wild" auf ganz unterschiedliche Weise gezeigt hat, dass er sich in Figuren, die sich selbst in Schwierigkeiten bringen, besonders gut hineinversetzen kann – lässt hinter dem kaltschnäuzigen Egoisten, der bereit ist, die eigene Mutter umbringen zu lassen, einen Getriebenen erkennen, der über das Stadium der Verzweiflung schon hinaus ist. Auch Thomas Haden Church („Sideways") zeigt in der schwierigen Rolle des etwas tumben Ansel, dass der eben kein Trottel ist, sondern ein durch viele Verletzungen gezeichneter Feigling, ein Opportunist aus Angst. Selbst wenn manches Mal über ihn gelacht werden kann, bleibt er als Figur stets integer und sympathisch. Ähnliche ambivalent sind auch die Rollen der anderen drei Protagonisten ausgestaltet. Auch die im Gegensatz zu Ansel zupackende und die eigenen Chancen rücksichtslos ausnutzende Sharla behält stets ihre Würde, als die Stunde ihrer Demütigung kommt. Das liegt nicht nur an Gina Gershon („Showgirls"), die der Abgebrühtheit der Figur etwas Trotzig-Melancholisches verleiht, sondern auch an Friedkin, der keine klaren Fronten zwischen Gut und Böse zieht, spürbar für alle Figuren Sympathien hat und niemals auf niedere Instinkte wie Schadenfreude und Genugtuung setzt.
Aus der insgesamt exzellenten Besetzung ragen noch einmal zwei Darsteller heraus: Newcomerin Juno Temple spielt als Dottie die einzige insgesamt positiv gezeichnete Figur, sie schlafwandelt durch den Albtraum ihres Lebens und wünscht sich den Märchenprinzen herbei. Wenn man so will, kommt der in Gestalt von Matthew McConaughey dann tatsächlich, aber anders als in seinen eher seichten romantischen Komödien wie „Ein Schatz zum Verlieben" oder in seinem Bravourpart des idealistischen Anwalts in „Die Jury", spielt der Sonnyboy hier die widersprüchlichste Figur seiner Karriere und liefert in seiner komplexen Rolle eine glatte Meisterleistung ab. Nach seiner augenzwinkendern Einführung mit Lederhandschuhen, Sonnenbrille, Cowboyhut und Westernstiefeln, die eine weitere auf Kult getrimmte Killerfigur befürchten lässt, weckt er mit seinem weichen texanischen Singsang zunächst einmal Sympathien, denn er ist der einzige, der ein wenig Vernunft und Augenmaß walten lässt. Dazu lässt er schnell auch echte Zuneigung für Dottie erahnen und wenn er später seine dunkle Seite zeigt, dann bekommt das gerade durch den Kontrast eine ungeahnte Wucht.
Fazit: In William Friedkins grandiosem Neo-Noir-Drama „Killer Joe" ist wie im Leben alles möglich, auch wenn meist das Falsche passiert. Es bleibt zu hoffen, dass es einmal umgekehrt ist, und diese hervorragend gespielte und inszenierte Rückkehr des Altmeisters bald in den deutschen Kinos zu bestaunen sein wird.