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    The Little Girl
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    The Little Girl
    Von Andreas Staben

    Es kommt nicht allzu häufig vor, dass ein reiner Genre-Film in den Wettbewerb eines A-Festivals wie die Berlinale eingeladen wird. Dort liegt der Schwerpunkt normalerweise auf thematisch bedeutsamen Dramen und stilistisch herausfordernden Autorenfilmen, die meist in keine Genre-Schublade passen. Der spanische Beitrag „Childish Games" von Antonio Chavarrias mag mit seinen Motiven von tragischem Verlust und traumatischer Vergangenheit auf den ersten Blick durchaus diesen inoffiziellen Kriterien entsprechen, aber er entpuppt sich im Verlauf der Handlung immer mehr als lupenreiner Psycho-Thriller, den man erfahrungsgemäß eher beim Fantasy Filmfest (und tatsächlich läuft er auch bei dessen kleiner Schwester, den Fantasy Filmfest Nights) als im Rennen um den Goldenen Bären erwarten würde. Wenn es also ein solches Genrestück in die Hauptkonkurrenz der Berlinale schafft, dann muss es wohl besonders gut sein, das könnte man jedenfalls glauben. Doch weit gefehlt: „Childish Games" überzeugt insgesamt weder inszenatorisch, noch darstellerisch – er besitzt zwar einen gewissen düsteren Chic, aber dafür fehlt ihm jede erzählerische Dringlichkeit: Die düstere Fabel über die schwarzen Schatten der Vergangenheit erreicht ihr vorprogrammiertes Ende auf ebenso folgerichtige wie spannungslose Weise.

    Der Lehrer Daniel (Juan Diego Botto) wird in der Schule von Mario (Marc Rodríguez) besucht, einem Kindheitsfreund, den er seit Ewigkeiten nicht gesehen hat. Der Autor macht einen zutiefst verängstigten Eindruck und bekniet den Lehrer förmlich, ihn besuchen zu kommen: Daniel müsse unbedingt Marios Tochter Julia (Mágica Pérez) treffen! Der Angeflehte empfiehlt dem Bittsteller allerdings nur, die Hilfe eines Psychologen in Anspruch zu nehmen und komplimentiert ihn hinaus. Wenig später liest Daniel in der Zeitung, dass Mario sich das Leben genommen hat. Er besucht mit seiner Frau Laura (Bárbara Lennie) die Beerdigung, wo sie Julia kennenlernen. Das Mädchen hat nun keine Familie mehr und Laura überzeugt Daniel, es bei sich aufzunehmen bis eine Pflegefamilie gefunden. Während seine Frau schnell eine enge Bindung zu dem stillen Mädchen aufbaut, fühlt sich Daniel in dessen Gegenwart zunehmend unwohl: Julia erinnert ihn an Marios Schwester Carla, die einst unter tragischen Umständen ums Leben kam. Lang verdrängte Ereignisse aus der Vergangenheit drängen an die Oberfläche und Daniel verzweifelt immer mehr an ihnen...

    Es gibt kaum ein klassischeres Motiv des Horror- und Spannungskinos als das Trauma aus der Vergangenheit, das in die Gegenwart übergreift und sie vergiftet bis der Konflikt in einer offenen Konfrontation aufgelöst wird. So ist es auch hier und wie es sich für einen Genrefilm gehört, werden dabei auch die Geister der jüngeren und älteren Filmgeschichte beschworen. Vor allem die Psychodramen von Roman Polanski und Alfred Hitchcock („Vertigo"!) kommen einem immer wieder in den Sinn, aber auch Filme wie „Schloss des Schreckens" oder „Orphan - Das Waisenkind" mit ihren geheimnisumwitterten Kinderfiguren. Regisseur Chavarrías, der bisher vor allem dokumentarisch angehauchte Dramen drehte, setzt von vornherein auf eine ominöse Stimmung und spätestens mit der langen und effektiven Selbstmordszene (Mario steigt zu Julia in die Badewanne und schneidet sich die Pulasadern auf) ist das komplette Geschehen von dem Geheimnis aus der Vergangenheit infiziert. Dabei bleibt die Inszenierung allerdings stets eher beobachtend als involvierend, alles folgt dem Musterbuch psychologischer Fallstudien. Das Übernatürliche oder Unerklärliche hat hier kaum eine Chance und so fehlt auch die Spannung weitgehend.

    Ohne eine Prise erzählerischer Verrücktheit stellt sich kein wahrer Schrecken ein und entsprechend ist „Childish Games" trotz vieler Horrormotive auch kein Horrorfilm. Zwar wird etwa der Blick in den Spiegel erst für Mario und dann für Daniel zur belastenden Konfrontation mit eigener Schuld, aber wirklich spürbar wird der Leidensdruck der Figuren selten. Das liegt zum einen an der kühl kontrollierten Inszenierung, in der auch die vollblütig-dramatische Filmmusik im Bernard-Herrmann-Stil nur als eine Genrekonvention erscheint und kaum zu unmittelbarer Wirkung kommt, und zum anderen an Juan Diego Botto („Der Obrist und die Tänzerin") in der Hauptrolle. Während Marc Rodriguez als Mario durchaus echte Verzweiflung zum Ausdruck bringt, wirkt Botto immer etwas zu konzentriert, zu bemüht und zu intensiv. Sein Abgleiten in den Wahnsinn ist von einer Zwangsläufigkeit, die ihm einiges von seiner Wirkung nimmt. Bárbara Lennie („Die Haut, in der ich wohne") als Frau im Widerstreit zwischen der Liebe zu ihrem Mann und immer stärker werdenden Muttergefühlen tut sich etwas leichter, aber auch ihrer Figur fehlt das letzte Etwas. So ist es vor allem die junge Mágica Perez als Julia, die „Childish Games" noch einige Pluspunkte verschafft, denn sie spielt nicht das, was andere in ihr sehen, sondern setzt den ganzen Projektionen instinktiv das Porträt eines unglücklichen und verunsicherten Kindes entgegen.

    Fazit: Handwerklich gut gemachter, aber schematisch ausbuchstabierter und daher nicht allzu spannender Psycho-Thriller über Schuld und Verdrängung.

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