Klassische Märchen sind wieder angesagt in Hollywood, allerdings nicht so wie früher, als es ausgereicht hat, sie mit viel Charme und tollen Kostümen einfach auf der großen Leinwand nachzuerzählen. Heute werden Kino-Märchen stattdessen regelmäßig zum Fantasy-Epos umgedichtet (wie „Snow White & the Huntsman“), mit Popkulturanspielungen auf modern getrimmt (wie „Spieglein, Spieglein“) oder mit Popsongs aufgepeppt (wie „Die Eiskönigin – Völlig unverfroren“). Das heißt keinesfalls, dass diese Filme alle schlecht wären, ganz im Gegenteil sind solche frischen Ideen häufig ein echter Pluspunkt. Nichtsdestotrotz ist es inmitten dieses allgemeinen Modernisierungswahns regelrecht erfrischend, auch mal wieder einen durch und durch altmodischen Märchenfilm wie „Cinderella“ zu sehen: „Jack Ryan: Shadow Recruit“-Regisseur Kenneth Branagh setzt in den magischen Szenen seiner Realfilm-Version des gleichnamigen Animations-Klassikers von 1950 zwar auf turbulent-tierische CGI-Effekte, vertraut ansonsten aber ganz auf seine Schauspieler, Kostümmacher, Setdesigner und das beliebte Märchen von Charles Perrault.
Ella (als junges Mädchen: Eloise Webb) erlebt die perfekte Kindheit, bis ihre liebende Mutter (Hayley Atwell) überraschend schwer erkrankt und kurz darauf stirbt. Jahre später nimmt sich ihr Vater (Ben Chaplin) mit Lady Tremaine (Cate Blanchett) eine neue Frau, die sich jedoch schon bald als besitzgieriges, gefühlskaltes Monster entpuppt. Und als dann auch noch der Vater von einer seiner Reisen nicht zurückkehrt, hat die zu einer schönen jungen Frau herangewachsene Ella (nun: Lily James) endgültig nichts mehr zu lachen: Lady Tremaine und ihre beiden fürchterlichen Töchter verpassen Ella den erniedrigenden Spitznamen Cinderella und lassen sie allein die ganze Hausarbeit erledigen. Selbst als der Prinz (Richard Madden) alle Bewohner seines Staates zu einem feierlichen Ball einlädt, darf Cinderella nicht mitkommen. Aber dann tritt plötzlich eine gute Fee (Helena Bonham Carter) auf den Plan und zaubert eine von Mäusen gezogene Kürbiskutsche herbei, damit Cinderella es doch noch rechtzeitig zum Fest schafft. Allerdings hält der Zauber nur bis Schlag Mitternacht….
Der 1950er „Cinderella“ gilt zu Recht als einer der besten Animationsfilme aller Zeiten – und so gehört schon eine Menge Mumm dazu, das Original ohne jede Ironie als Sicherheitsnetz neu aufzulegen. Viel zu oft hatten wir in letzter Zeit das Gefühl, dass die Regisseure von Märchenfilmen zwischendurch immer wieder dem Publikum zuzwinkern - ganz nach dem Motto: „Ja, wir wissen auch, dass wir hier ‚nur‘ ein Märchen erzählen.“ Aber Branaghs „Cinderella“ ist eine tatsächlich respektvolle und völlig unzynische Verbeugung vor dem Klassiker und er huldigt etlichen der unvergessenen Szenen des Originals mit einem immensen logistischen Aufwand: Der ikonische gläserne Schuh wurde extra von Swarovski nachgebildet und die opulenten Kleider beim rauschenden Ball des Prinzen sind tatsächlich ein Fest für die Augen. Aber am allermeisten Spaß hat Regisseur Branagh (und mit ihm das Publikum) mit der nächtlichen Kutschfahrt, bei der sich die verzauberten Gänse, Echsen und Mäuse (soooo süß!) nach und nach wieder in ihre ursprüngliche Form zurückverwandeln.
Sicherlich hätten wir auch der zuerst angefragten Emma Watson die Rolle zugetraut, aber Lily James ist ein mehr als würdiger Ersatz: Der „Downton Abbey“-Star ist auch mit rußverschmiertem Gesicht und abgewetztem Kleid noch immer die Anmut in Person und verkörpert Cinderellas Motto „Sei immer mutig und gütig!“ auf den Punkt. Ein echtes Ereignis - und deshalb trotz kleinerer Rolle zu Recht als erstes im Abspann genannt - ist daneben Cate Blanchett. Die zweifache Oscar-Preisträgerin (für „Aviator“ und „Blue Jasmine“) verkörpert die garstige Stiefmutter nicht wie so oft in Märchenfilmen mit einem Hang zur augenzwinkernden Überhöhung, sondern absolut ernsthaft und so noch eindrücklicher: Wenn ihre herrische Höflichkeit langsam aber sicher in sadistische Boshaftigkeit umschlägt, dann flößt das nicht nur kleinen Kinobesuchern einen gehörigen Respekt ein. Und während auch Helena Bonham Carter („The King’s Speech“) aus ihrem kurzen, aber prägnanten Auftritt als gute Fee das Äußerste herausholt, enttäuschen leider die Männer: Während Ben Chaplin („Die Tore der Welt“) als Vater noch eine liebenswürdige Wärme ausstrahlt, bleiben „Game of Thrones“-Star Richard Madden als Märchenprinz und „Thor“-Sidekick Stellan Skarsgård als intriganter Minister völlig blass.
Fazit: „Cinderella“ ist ein durch und durch klassischer Märchenfilm mit hervorragenden Schauwerten, viel Humor, ein wenig Kitsch und zwei tollen Hauptdarstellerinnen.
Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2015. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 65. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.