Manchmal reichen wenige, dafür aber besonders taktlose Szenen, um einen ansonsten überzeugenden Film in den Abgrund zu reißen! Szabolcs Hajdus surreales Drama „Bibliotheque Pascal" ist so ein Fall. Im titelgebenden Bordell können Freier zwischen Themenzimmern auswählen, bewohnt von Jean d'Arc, Lolita, Desdemona oder Pinocchio. Letzterer wird dort von einem kleinen Jungen verkörpert, der über Fesseln an der Zimmerdecke aufgehangen werden kann. Zwar wird er gerettet - die vorangegangenen Szenen sexueller Erniedrigung sind dennoch widerlich. Denn angesichts der hochgradig stilisierten Inszenierung ist der Blick ins Pinoocchiozimmer vor allem eine – hoffentlich unbeabsichtigte – Ästhetisierung der Pädophilie. Eine Szene, in der die Protagonistin mit einem Staubsauger gequält wird, ist ähnlich unangenehm, nahezu voyeuristisch aufgezogen. Derartige Gewaltdarstellung lässt keineswegs automatisch auf dubiose Filmemacher-Intentionen schließen. Diese ekelerregenden Momente wirken jedoch wie Fremdkörper in einem Film, der durchaus mit stimmigen Passagen aufwarten kann - so aber schlicht zum Debakel gerät.
Mona (Orsolya Török-Illyés) muss um ihre Tochter (Lujza Hajdu) bangen. Sie hatte die kleine Viorica in die Obhut ihrer Tante Rodica (Oana Pellea) gegeben, die das Kind mutmaßlich alkoholisierte. Nun sitzt Mona in einem Büro des Jugendamtes und muss sich dafür rechtfertigen, Viorica überhaupt abgegeben zu haben. Fünf Jahre früher: Bei der Organisation einer Dorffestlichkeit provoziert Mona eine Eifersuchtstat, die sich zur Massenschlägerei ausweitet. Ohne für ihre Arbeit entlohnt worden zu sein, schlägt sie sich zur Küste durch und trifft dort auf den rätselhaften Kleinkriminellen Viorel (Andi Vasluianu). Nach einer gemeinsamen Nacht wird er auf der Flucht von der Polizei erschossen, sie bleibt schwanger zurück. Jahre später hält sich Mona gerade noch über Wasser, inzwischen muss sie für zwei aufkommen. Gemeinsam verdienen Mutter und Tochter Geld mit einem Puppenspiel auf einem Jahrmarkt. Dort trifft Mona auch ihren zwielichtigen Vater Gigi (Razvan Vasilescu) wieder - der die eigene Tochter kurzerhand an Frauenhändler verkauft...
Es ist müßig, dem bewusst bizarren Kino-Reigen „Bibliotheque Pascal" seine bizarre Handlung vorzuwerfen. Genauso gut könnte man einem postmodernen Autor wie Thomas Pynchon für seine kaum mehr zählbaren Figuren und Erzählstränge kritisieren. Beide Klagen laufen ins Leere, da Desorientierung in beiden Fällen Stilprinzip ist. Während Pynchon zwar hochkomplex, aber stets kohärent erzählt, geht Szabolcs Hajdus Film jegliche Stringenz ab. Bei aller cineastischen Virtuosität, vor allem demonstriert durch Plan- und Traumsequenzen mit starken CGI-Effekten, ist dieser Phyrrus-Sieg der Phantasie über die Realität wahrlich keine neue Idee. Weniger noch: Die Protagonistin bleibt eine Leerstelle im episodischen Ganzen.
Das ist durchaus intendiert, denn Hajdu gefällt es, „wenn die Hauptfigur den schwächsten Charakter darstellt, der wie eine Art schwarzes Loch in mitten [sic] des Films funktioniert." So hat er dieses erklärte Ziel zwar erreicht, ob er sein Publikum damit auch nur ansatzweise involvieren kann, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Auch die anderen Figuren hinterlassen keinen bleibenden Eindruck, abgesehen von Razvan Vasilescu - im negativen Sinne, denn als Pseudogangster agiert er einmal mehr so uninspiriert wie in Didi Danquarts Drama „Offset". Durch die voyeuristische Gewaltdarstellung verspielt Hajdu zudem sämtliche Sympathien, die er sich mit seinen handwerklichen Fähigkeiten zuvor erworben hat – die Szenen im Bordell fügen sich in ihrer drastischen Bildhaftigkeit kaum in die restliche Handlung ein.
An dieser Stelle könnte argumentiert werden, dass die ohnehin auf das Surreale ausgerichtete Inszenierung auch eine Darstellung des Abartigen legitimieren würde. Bloß, S/M-Filmproduktion bedienen sich ja ähnlicher Schemata – und da ist das voyeuristische Programm kein Regie-Unfall, sondern Konstitution. Angesichts dessen, dass Hajdu mit Hauptdarstellerin Török-Illyés verheiratet ist - welcher Ehemann sieht eigentlich gerne, wie die eigene Frau, und sei es nur gespielt, fast erstickt und dann geschändet wird? - stellt sich folgende Frage: Sollten die beiden ihre Vorlieben nicht lieber in den eigenen vier Wänden ausleben, statt ein zahlendes Publikum damit zu belästigen?