Jaume Collet-Serra hat sich in den vergangenen Jahren als Regisseur zwar moderat budgetierter, aber knackig inszenierter Genrekost hervorgetan – und weil seine Filme wie „Unknown Identity“ oder „The Shallows“ konsequent mehr einspielen als sie gekostet haben, ist ihm die Finanzierung für das jeweils nächste Projekt so gut wie sicher. Collet-Serras bisher größter kommerzieller Erfolg bleibt aber der Über-den-Wolken-Reißer „Non-Stop“ - und genau an dessen klaustrophobisches Konzept knüpft der spanischstämmige Filmemacher nun mit seinem Action-Thriller „The Commuter“ an: Statt in einem Flugzeug mitten über dem Atlantik wird Collet-Serras Stamm-Hauptdarsteller Liam Neeson diesmal in einer New Yorker Regionalbahn („Commuter“ ist das englische Wort für „Pendler“) in ein mörderisches Komplott verwickelt. Aber was mit einer hochspannenden Prämisse mit deutlichen Hitchcock-Anleihen beginnt, entwickelt sich trotz immer wilderen Storywendungen zu einem letztendlich wenig überraschenden Thriller, bei dem die Logik schließlich nur noch eine sehr untergeordnete Rolle einnimmt und stattdessen eine dick aufgetragene Ethiklehrstunde und wenig überzeugende CGI-Action das Finale bestimmen.
Vor zehn Jahren hat Michael MacCauley (Liam Neeson) seinen Job bei der New Yorker Polizei aufgegeben und stattdessen einen ruhigeren Posten als Versicherungsmakler übernommen – auch um mehr Zeit für seine Frau (Elizabeth McGovern) und seinen Sohn (Dean-Charles Chapman) zu haben. Jeden Tag pendelt Michael aus einem Vorort mehr als eine Stunde mit der Hudson North Train ins Büro in Manhattan - bis er eines Tages völlig unerwartet entlassen wird. Nach ein paar Bieren mit seinem alten Polizei-Partner Murphy (Patrick Wilson) tritt Michael niedergeschlagen den Heimweg an. Doch im Pendlerzug sitzt ihm plötzlich eine mysteriöse Fremde (Vera Farmiga) gegenüber, die ihm ein ungewöhnliches Angebot macht: Weil Michael als täglicher Pendler ja fast alle seiner Stamm-Mitreisenden kennt, soll er eine Person namens „Prynne“ ausfindig machen, die eigentlich nicht in den Zug gehört. Im Erfolgsfall winken Michael 100.000 Dollar. Auch weil er nach seiner Kündigung eh gerade in einer finanziellen Bredouille steckt, gibt er der Verlockung des Geldes – zumindest erst einmal - nach…
Das Motiv des Durchschnittstypen, der komplett unvermittelt in eine Verschwörung hineingezogen wird, hat wohl keiner so oft und so brillant durchgespielt wie Altmeister Alfred Hitchcock in Filmen wie „Der Mann, der zuviel wusste“, „Die 39 Stufen“ oder natürlich den Über-Klassikern „Der unsichtbare Dritte“ und „Vertigo“. Und von Hitchcock hat sich offensichtlich auch Jaume Collet-Serra in „The Commuter“ eine Menge abgeguckt, wenn er zu Beginn eine ebenso spannende wie zum Miträtseln einladende Prämisse etabliert, in die der Zuschauer ebenso ahnungs- und planlos hineinschlittert wie der arme Tropf Michael Macauley. Collet-Serra und das Drehbuch-Duo Byron Willinger und Philip de Blasi (die beiden haben schon seit 2010 versucht, ihr Debütskript „The Commuter“ als Hollywoodfilm zu realisieren) halten sich nicht lange mit der Charakterzeichnung ihrer Figuren auf - der Zuschauer bekommt nur das Nötigste an die Hand, stattdessen wird lieber direkt Tempo gemacht. Das wirkt sich auch gar nicht weiter negativ aus, solange Michael und mit ihm das Publikum ob des undurchschaubar scheinenden Verschwörungsmysteriums zunehmend verzweifelnd im Dunkeln tappt.
Nahezu in Echtzeit hetzt der gebeutelte Protagonist den Puzzlestücken hinterher, bis er merkt, auf welches im wahrsten Sinne tödliche Spiel er sich hier eingelassen hat. Später folgen zwar noch weitere Wendungen, aber nachdem das zentrale Motiv der Auftraggeber – überraschend früh – aufgeklärt wird, verliert der Hochgeschwindigkeits-Thriller-Express rasend schnell an Fahrt. Dass die Verschwörung selbst nicht wirklich innovativ ist, stört dabei eher weniger, viel schlimmer ist, dass der Film erzählerisch völlig aus den Gleisen springt: Die Glaubwürdigkeit der Figuren und die innere Logik der Handlung gehen zunehmend flöten, während zuvor etablierte, durchaus faszinierende ethische Fragen (vor allem natürlich das zentrale Dilemma des Protagonisten) allzu vorhersehbar nach Hollywoods üblichen Moralstandards abgehandelt werden. Sowohl mitfiebernde als auch miträtselnde Zuschauer sind von diesem Zeitpunkt an kaum noch gefordert, weil fortan der Story-Autopilot übernimmt.
Zumindest ist die Action, die Collet-Serra im Schlussdrittel mit deutlich erhöhter Frequenz einstreut, abgesehen von einigen CGI-Fehlgriffen absolut grundsolide inszeniert. Der fitte Altstar Liam Neeson, der hier zum vierten Mal für den Regisseur in die Rolle des rüstigen Actionhelden schlüpft, prügelt sich ohne nennenswerte Altersmüdigkeit durch den Zug, während nebenbei ziemlich geschickt und immer gut nachvollziehbar visualisiert wird, wie er versucht, anhand von allen möglichen Detailbeobachtungen dem ominösen „Prynne“ auf die Spur zu kommen. Während Michaels Begegnungen mit seinen von Station zu Station weniger werdenden Mitpassagieren qualitativ wechselhaft ausfallen (es gibt halt die üblichen Archetypen), sind die Bilder von Kameramann Paul Cameron („Collateral“, „Déjà Vu“) fast immer reizvoll – gerade zu Beginn erzeugt er mit seiner extrem agilen Handkamera in dem engen Zwischengang des Zuges ein starkes Gefühl von Dynamik.
Fazit: Jaume Collet-Serra legt in seinem Verschwörungs-Thriller „The Commuter“ mit Volldampf los, verliert dann aber zunehmend an Fahrt, sobald der Plot zu gleichen Teilen immer generischer und weniger glaubhaft wird.