Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
4,5
hervorragend
I Like Movies

So viel mehr als nur Videotheken-Nostalgie

Von Thorsten Hanisch

Auf der einen Seite ist es schade, dass das in seiner Heimat bereits 2022 erschienene kanadische Comedy-Drama „I Like Movies“ Deutschland erst jetzt erreicht. Auf der anderen Seite ist es toll, dass sich doch noch ein Verleih gefunden hat, um das supercharmante Kleinod auch bei uns auf die große Leinwand zu bringen: Schließlich bedient das Debüt von Regisseurin und Drehbuchautorin Chandler Levack nicht nur die seit einiger Zeit so beliebte Retro-Welle, es spielt zu einem großen Teil auch in einer Videothek, was den nicht wenigen Fans der damaligen Heimkino-Ära besonders nostalgische Seufzer der Wehmut entlocken wird.

Zumal ein nerdiger Filmfan mit großen Träumen und eine etwas spleeninge, aber schwer sympathische Videotheken-Chefin als potenzielles Love Interest im Mittelpunkt des bis in die kleinsten Nebenrollen perfekt besetzten Films stehen. Eigentlich ist also alles drin, was zumindest für einen gewissen Mainstream-Appeal sprechen sollte. Aber vielleicht war es am Ende doch etwas zu gewagt von Levack, dass der Nerd sich mehr und mehr als selbstverliebtes Arschloch an der Grenze zum Narzissten entpuppt – was den Film aber eigentlich nur noch reizvoller macht!

Erst total liebenswürdig und dann doch ein ziemlicher Arsch: Isaiha Lehtinen spielt als Lawrence eine faszinierend ambivalente Rolle! Camino Filmverleih
Erst total liebenswürdig und dann doch ein ziemlicher Arsch: Isaiha Lehtinen spielt als Lawrence eine faszinierend ambivalente Rolle!

Lawrence (Isaiha Lehtinen) ist ein filmverrückter 17-Jähriger in Geschmacks-verwirrten Schlabber-Klamotten, der die meiste Zeit mit seinem besten Freund Matt (Percy Hynes-White) abhängt, u. a. um jeden Samstagabend gemeinsam „Saturday Night Live“ schaut. Als Filmnerds sollen die beiden auch das Schulabschlussvideo für ihren Jahrgang erstellen. Doch Lawrence kommt damit nicht wirklich voran, denn er träumt vom großen, aufregenden, künstlerisch schwer bedeutenden Werk, hat aber noch nicht eine einzige Aufnahme im Kasten, die halbwegs taugt. Auch woanders will er hoch hinaus: Statt sich für heimische Unis zu bewerben, will er lieber zur renommierten Filmhochschule an der New York University. Um an das dafür benötige Kleingeld von 90.000 Dollar zu kommen, fängt er an, in der örtlichen Videothek „Sequels“ zu arbeiten.

Hier entwickelt sich zwischen ihm und seiner älteren Chefin Alana (Romina D’Ugo) ein inniges, aber komplexes Verhältnis. Die potenzielle Liebelei wird vor allem dadurch verkompliziert, das Lawrence im soziale Umgang eine egomanische Abrissbirne ist, die immer alles sagt, was ihr gerade durch den Kopf geht – und dabei auch noch zunehmend narzisstische Züge durchschimmern lässt. Das macht den Umgang mit ihm natürlich nicht gerade einfach und zuweilen sogar verletzend, davon können auch Matt und Lawrence‘ alleinerziehende Mutter längst ein Lied singen…

Die Leichtigkeit des Auftakts täuscht

Ummantelt wird die Erzählung von einem guten Schuss Nostalgie, denn die Handlung spielt in weiten Teilen in einer mit viel Liebe ausgestatteten Videothek – und zwar im Jahr 2003, also zu einer Zeit, als die VHS allmählich von der DVD verdrängt wurde. „I Like Movies“ wirkt dabei nur am Anfang ein wenig formelhaft: Retro-Anstrich, ein Außenseiter-Protagonist mit potenzieller Lovestory und der beste Kumpel, der bei dieser Entwicklung unter die Räder zu kommen droht. Chandler Levack orientiert sich zwar nicht direkt an Vorbildern, aber das Geschehen fühlt sich trotzdem direkt vertraut an: Filme wie „Clerks – Die Ladenhüter“ (1994) oder die Sitcom „The Big Bang Theory“ (2007 – 2019) kommen einem in den Sinn. Doch mit zunehmender Laufzeit beginnt das Drehbuch, die glaubwürdigen und superb gespielten Hauptfiguren auszuformen – und damit wird auch der Tonfall etwas ernster.

„I Like Movies“ erzählt in erster Linie vom Verhältnis zwischen Fiktion und Realität, das bei Lawrence und Alana in eine ungute Richtung gekippt ist. Anders als die von Lawrence angebeteten Regisseure gewinnt der emotional instabile Junge durch das Kino keine schöpferische Energie, er nutzt den Film und die durch ihn ausgelösten Träumereien vielmehr zur Flucht aus einer Welt, in der sich sein Vater umgebracht hat. Die Realität ist ihm derart entglitten, dass er in einem überraschenden und großartigen Moment, in dem Alana ihm das Drama ihres Lebens offenbart, so unfassbar un-emphatisch reagiert, dass sich selbst ein Sheldon Cooper dafür zutiefst schämen würde.

Auch wenn es sonst viele Probleme mit ihm gibt: Zumindest die titelgebende Liebe zu Filmen nimmt man Lawrence hundertprozentig ab! Camino Filmverleih
Auch wenn es sonst viele Probleme mit ihm gibt: Zumindest die titelgebende Liebe zu Filmen nimmt man Lawrence hundertprozentig ab!

Trotzdem versinkt der Film nie in dramatischer Schwermütigkeit, es handelt sich eben keinesfalls um eine Abrechung mit der Traumfabrik oder Ähnliches. Stattdessen erzählt „I Like Movies“ von einer Rückkehr ins (reale) Leben – der größte Fan der Filme von Paul Thomas Anderson („There Will Be Blood“, „Boogie Nights“) kann man ja schließlich auch dort sein.

Fazit: Ein verspätetes Geschenk, dass dieses vielfach mit Filmpreisen ausgezeichnete, humorvoll-dramatische Kleinod jetzt doch noch in die deutschen Kinos kommt. Einfach toll geschrieben und gespielte punktet „I Like Movies“ mit einem äußerst plastischen Protagonisten, einer gut austarierten Mischung aus Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit sowie einem unaufdringlichen Schuss Nostalgie. All das macht das Debüt der kanadischen Filmemacherin Chandler Levack zu einer echten Empfehlung für alle, die sich der Aussage des Titels anschließen können: „Ich liebe Filme.“

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