Bald ist ein Jahrzehnt verstrichen seit dem historischen Oscar-Abend, an dem Halle Berry zur ersten Afroamerikanerin wurde, die als Beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde. Es war ein überraschender Triumph, der auf ebenso viel Zuspruch wie Kritik stieß. Für die einen war ihr Sieg (für ihre Rolle in „Monster´s Ball") eine wichtige Weichenstellung in der Wahrnehmung und Anerkennung farbiger Schauspielerinnern in Hollywood, nicht zuletzt für Halle Berry selbst, die sich in ihrer hochemotionalen Dankesrede dazu bewegt sah, eine neue Ära einzuläuten: „Dies ist eine Chance für jede namenlose, gesichtslose farbige Frau, weil sich heute Nacht eine Tür für sie geöffnet hat." Für andere war ihr Erfolg lediglich die Folge einer unbeholfenen Bemühung der Oscar-Akademie um eine späte Wiedergutmachung für die vielen Jahre, in denen schwarze Künstler in den wichtigsten Kategorien der Verleihung sträflich übergangen wurden. So scherzte denn auch Steve Martin im folgenden Jahr, ihr Sieg habe doch vor allem den Weg für „für unglaublich heiße Frauen" geebnet. Martin sollte Recht behalten. Während man entgegen Halle Berrys Prophezeiung immer noch auf eine vergleichbare Prämierung einer farbigen Darstellerin wartet, folgten schauspielernde Schönheiten wie Nicole Kidman („The Hours", 2002), Charlize Theron („Monster", 2003), und Marion Cotillard („La Vie En Rose", 2007) dem Beispiel von Halle Berry: Auch sie siegten, weil sie sich für ihre Rollen physisch entstellten. Dieser von den Oscars gern gesehenen Mut zur Hässlichkeit ist es auch, den Halle Berry in ihrer ersten Eigenproduktion unter Beweis zu stellen versucht: Mit Geoffrey Sax' „Frankie And Alice" ist dabei ein ambitioniertes und gut besetztes, aber klischeebeladenes und in seiner Melodramatik bisweilen unfreiwillig komisches Rassendrama herausgesprungen.
Basierend auf einer wahren Begebenheit erzählt „Frankie and Alice" die unglaubliche Geschichte der Striptease-Tänzerin Frankie (Halle Berry), einer Afroamerikanerin mit multipler Persönlichkeitsstörung, die sich psychotherapeutisch behandeln lässt, weil zu ihren Alter Egos auch eine rassistische weiße Südstaatenfrau (!) namens Alice zählt. Der Film beginnt in den 1970ern, als Frankie zu den begehrtesten Frauen ihres Milieus zählt, ihre psychischen Ausfälle ihrem sündigen Lebenswandel aber im Weg stehen. So fühlt sich Frankie zugleich angezogen wie abgestoßen von den vielen Männern, die ihr nachstellen. Sie entdeckt von ihr selbst getätigte Überweisungen in einer fremden Handschrift und teure Outfits im Kleiderschrank, an deren Kauf sie sich nicht mehr erinnert. Weder Frankies Mutter Edna (Phylicia Rashad) noch ihre Schwester Maxine (Chandra Wilson), die beide ein bürgerlicheres Leben fernab vom Rotlichtmilieu führen, wissen Rat, während sich Frankies Freunde, Liebhaber und Arbeitgeber zunehmend von der unzurechnungsfähigen Frau abwenden. Als sie eines Nachts halbnackt auf der Straße von der Polizei aufgegriffen wird, findet sie sich in einer psychiatrischen Klinik wieder. Dort begegnet sie dem unorthodoxen Dr. Oz (Stellan Skarsgard), der sich ihr zunächst nur widerwillig annimmt. Die Suche nach dem Trauma, das Frankies Persönlichkeitsspaltung verursacht hat, führt den Arzt in die Jugend seiner Patientin...
Man sieht der kanadischen Low-Budget-Produktion an, dass Halle Berry zwölf Jahre daran gearbeitet und es durch die Hände vieler Skriptautoren gegangen ist, bevor es vergangenes Jahr in den USA Premiere feierte. Der Lohn für Halle Berrys Einsatz war eine Golden-Globe-Nominierung als beste Darstellerin, eine Ehrung, mit der sie erneut Geschichte schrieb: Als erste Afroamerikanerin wurde sie zwei Mal in der Kategorie nominiert. Trotz der soliden Darbietungen der zwei Hauptdarsteller Halle Berry und Stellan Skarsgård und der effektvollen Überblendungen zwischen Frankies Monologen und ihren Erinnerungen gestalten sich die vielen Therapieszenen des prätentiösen Psychodramas aber überraschend reizlos.
Beginnt der Film noch mit sattem Zeitkolorit, gefällig fotografiert von Newton Thomas Sigel und unterlegt mit fetzig-zeitgemäßer R'n'B-Musik, verliert er sich bald in einer drögen Klinikkulisse, in der nicht nur die grotesk aussehenden Patienten an den Klassiker „Einer flog über´s Kuckucksnest" erinnern. Es folgt eine Serie von ermüdenden Szenen, in der Halle Berry, deren Rolle als Stripperin und Patientin wie ein absurder Hybrid aus mehreren preisverdächtigen Stigmata anmutet, zwischen lasziver Hure, hilfsloser Kindfrau und arroganter Lady schalten darf. Denn Dr. Oz fällt als typisch kauziger, putziger Analytiker wenig mehr ein, als seine hässlich geschminkte Patientin dazu zu bewegen, sich durch Hollywoods vereinfachte Form der Gesprächstherapie zu quälen: Die Verbalisierung und Konfrontation verdrängter Gefühle führt zur Erkenntnis der Ursachen und prompt auch zur Genesung und zum besseren Make-up.
Dass sich Dr. Oz nicht nur mit uneinsichtigen Kollegen herumschlagen, sondern sich auch als investigativer Analytiker und liebevolle Vaterfigur inszenieren darf, rückt die überaus plump vorgetragene Rassenproblematik des Films aber auch in ein prekäres Licht: Nach ihrer oscarprämierten Rolle spielt Berry erneut eine schwarze Frau, die von einem weißen Mann vor ihrer eigenen Vergangenheit gerettet wird. Achtung Spoiler: Die Schuldtragende am Traumata - und das passt zum psychoanalytischen Narrativ des Films - ist wieder einmal die Mutter. Zumindest ist es ein cleverer Clou des Films, diese Rolle ausgerechnet mit Phylicia Rashad zu besetzen, die wir alle noch als liebenswerte Vorzeigemama aus der „Die Bill Cosby-Show" kennen und lieben.