David Lynch, der Meister des Surrealen, dessen Filme einen in den Bann ziehen, verstören und mit einem mulmigen Magengefühl und gleich mehreren Fragezeichen hinterlassen. Zunächst scheinen sich seine Werke einer schlüssigen Interpretation zu entziehen, denn Lynchs Filme sind anders, sie sind mehr Kunstwerk denn Film, unlinear, verschachtelt und komplex. Die Atmosphäre, die von der ersten Sekunde an den Zuschauer gefangen nimmt, lässt sich schwer in Worte fassen. Der Horror findet nur selten auf dem Bildschirm statt, er nistet sich im Kopf ein und lässt einen nur schwer wieder los. Selten war ein Regisseur so detail-versessen und eigenwillig wie David Lynch. Die Ader für die Inszenierung alptraumhafter Situationen und tiefgreifender Symbolik ließ sich schon früh erkennen, als er mit „The Grandmother“ einen seiner ersten wahrhaft grauenerregenden Kurzfilme auf Zelluloid bannte, von dem man meinen könnte, einen Alptraum gehabt zu haben. Mit dem zum Kult avancierten Langfilm-Debüt „Eraserhead“ (1976) führte Lynch diesen Wesenszug seiner Filmographie weiter und verzichtet auf das stringente Erzählen einer logischen Abfolge von Szenen. Erste größere Aufmerksamkeit erntete der Regisseur dann 1980 mit dem Schwarzweiß-Drama „Der Elefantenmensch“, das in acht Kategorien für den Oscar nominiert war, jedoch keine Auszeichnung erhielt, bevor ihm mit „Blue Velvet“ (1986) der internationale Durchbruch gelang.
Kurzfilme und „Eraserhead“
Nach seinem Highschool-Abschluss wollte David Lynch Maler werden und besuchte ab 1966 die Pennsylvania Academy of the Fine Arts in Philadelphia. Den Schwerpunkt des Studiums setzte Lynch auf Malerei, Skulpturen und Fotografie. Als Abschlussarbeit legte er den Kurzfilm „Six Figures Getting Sick“ vor. In einer Mischung aus Animationen und echten Aufnahmen visualisierte Lynch mit dem vierminütigen Kurzfilm „The Alphabet“ einen Traum und erhielt durch das Filmprojekt ein Stipendium beim American Film Institute in Beverly Hills, wo er den 35-minütigen Kurzfilm „The Grandmother“ realisierte. Ab 1971 begann David Lynch die Arbeit an seinem ersten Langfilm, dem zum Kultfilm avancierten „Eraserhead“ mit Jack Nance als Henry Spencer. Die Produktion zog sich wegen Budget-bedingter Drehpausen über fünf Jahre hin, so dass Lynchs Erstling erst im Jahr 1976 fertiggestellt wurde. Der morbide wie rätselhafte „Eraserhead“, der einem surrealen Alptraum gleichkommt und die Handschrift von David Lynch bereits klar erkennen lässt, fand sein Publikum als Midnight Movie in amerikanischen Kinos.
Großer Erfolg mit „Der Elefantenmensch“
Durch „Eraserhead“ wurde Mel Brooks auf den jungen Filmemacher aufmerksam und bot David Lynch die Regie von „Der Elefantenmensch“ (1980) an. Im viktorianischen London des Jahres 1881 nimmt sich der Wissenschaftler Dr. Frederick Treves (Anthony Hopkins) dem missgebildeten John Merrick (John Hurt) an, der als Jahrmarkts-Attraktion ein tragisches Dasein fristet. Der Schwarzweißfilm erhielt acht Oscar-Nominierungen und machte David Lynch einem größeren Publikum bekannt – nach der Verleihung der Academy-Awards, bei der „Der Elefantenmensch“ wider Erwarten leer ausging, wurde die Kategorie ‚Bestes Make-up‘ eingeführt, denn viele Filmemacher betrachteten es als Schande, dass die Leistung des Make-up-Artists Christopher Tucker nicht geehrt wurde. Nach dem Erfolg mit „Der Elefantenmensch“ erhielt David Lynch zahlreiche Angebote von Produzenten, darunter die Regie von „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“, entschied sich jedoch für die Verfilmung des Science-Fiction-Romans „Dune – Der Wüstenplanet“ (1984) von Frank Herbert, an der sich bereits Alejandro Jodorowsky und Ridley Scott vergeblich versucht hatten. Um den Wüstenplaneten Arrakis auf die Leinwand zu bringen, stellte der Produzent Dino De Laurentiis ein Budget von 40 Millionen US-Dollar bereit, doch der mit Kyle MacLachlan, Jürgen Prochnow, Patrick Stewart und Sting besetzte Film entwickelte sich zum finanziellen Flop. Von einer neu geschnittenen, dreistündigen TV-Fassung distanzierte sich Lynch und ließ seinen Namen durch das Synonym Alan Smithee ersetzen.
„Blue Velvet“ und „Wild At Heart“
Obwohl „Der Wüstenplanet“ finanziellen Schiffbruch erlitten hatte, arbeitete Dino De Laurentiis für „Blue Velvet“ (1986) ein weiteres Mal mit David Lynch zusammen. Die im Kleinbürgertum angesiedelte Geschichte, in der Kyle MacLachlan als College-Student Jeffrey Beaumont in die Fänge des Sadisten Frank Booth (Dennis Hopper) gerät und zwischen zwei von Isabella Rossellini und Laura Dern verkörperten Frauen steht, machte David Lynch international bekannt und brachte ihm eine Oscar-Nominierung als bester Regisseur ein. Wegen der Gewalt- und Sex-Szenen fand der von Kritikern gelobte Film jedoch auch viele Gegner und entwickelte sich zum waschechten Skandalfilm – dem Erfolg war das jedoch nicht abträglich. Mit dem Roadmovie „Wild At Heart – Die Geschichte von Sailor und Lula“ (1990) adaptierte Lynch den gleichnamigen Roman von Barry Gifford und landete einen weiteren Hit. Nicolas Cage und Laura Dern treten als das Liebespaar Sailor Ripley und Lula Pace eine Flucht durch die USA an, wobei sie von Lulas hexen-artiger Mutter und deren Handlanger Bobby Peru (Willem Dafoe) verfolgt werden. Der mit Motiven aus Frank Baums Kinderbuch „The Wizard Of Oz“ und der zugehörigen Verfilmung versetzte Film verbindet geschickt zahlreiche Motive und Genre-Anleihen zu einem eigenwilligen filmischen Trip, der beim Filmfestival von Cannes die Goldene Palme erhielt. Parallel zur Entstehung von „Wild At Heart“ feierte die von David Lynch und Mark Frost produzierte Mystery-Krimiserie „Twin Peaks“ weltweit große Erfolge. Als FBI-Agent Dale Cooper will Kyle MacLachlan den Mord an der jungen Laura Palmer aufklären, verstrickt sich jedoch zunehmend in die höchst eigenartige Welt der titelgebenden Kleinstadt. Im Jahr 1992 lieferte Lynch mit dem Kinofilm „Twin Peaks – Der Film“ die Vorgeschichte zur TV-Serie und klärte die Umstände des Mordes an Laura Palmer auf.
„Dick Laurent ist tot!“
Mit Bill Pullman und Patricia Arquette besetzte David Lynch seinen überaus düsteren Film-Alptraum „Lost Highway“ (1997), der mit Motiven des Film Noir spielt und den Protagonisten in eine surreale Kette von Ereignissen verstrickt. Wie in allen Filmen des Regisseurs spielt die Tonspur in „Lost Highway“ eine übergeordnete Rolle, da Lynch selbige im Zusammenspiel mit den Bildern nutzt, um unheimliche und beängstigende Stimmungslagen zu etablieren: Auf dem Soundtrack von „Lost Highway“ finden sich große Namen wie David Bowie, Trent Reznor, Nine Inch Nails, The Smashing Pumpkins, Lou Reed, Marilyn Manson, Rammstein und nicht zuletzt Lynchs Stamm-Komponist Angelo Badalamenti. Auf den unheimlichen „Lost Highway“ ließ David Lynch mit dem Roadmovie „The Straight Story“ (1998) mit Richard Farnsworth, Sissy Spacek und Harry Dean Stanton ein für seine Verhältnisse eher ungewöhnliches Projekt folgen. Wie der Titel bereits ankündigt, erzählt „The Straight Story“ nämlich keine verschachtelte, auf verschiedenen Ebenen spielende Geschichte wie die übrigen Filme von David Lynch, sondern folgt dem 73-jährigen Protagonisten Alvin Straight auf einer Reise durch die USA, die er mit einem Aufsitz-Rasenmäher bewältigt – von zwei surrealen Einschüben abgesehen, ist „The Straight Story“ ein klassisch erzählter Spielfilm.
Die Nullerjahre
Eine Oscar-Nominierung für die beste Regie und den Regiepreis in Cannes ergatterte David Lynch für das gewohnt rätselhafte Psycho-Thriller-Drama „Mulholland Drive“ (2000), das zunächst als TV-Serie geplant war. Die Geschichte dreht sich um eine Schauspielerin, die in Hollywood Fuß fassen will. Die zunehmend undurchschaubaren Ereignisse, in deren Verlauf Naomi Watts und Laura Elena Harring Doppelrollen übernehmen, verweigern sich einer rationalen Erklärung – wieder einmal ist es die Atmosphäre, die David Lynch in den Vordergrund stellt. Im Jahr 2002 machte Lynch unter dem Titel „Rabbits“ acht Kurzfilme auf seiner Homepage zugänglich, bevor er die im Vorfeld ebenfalls auf seiner Website lancierte Kurzfilm-Serie „Dumbland“ (2005) als Regisseur, Drehbuchautor und ausführender Produzent veröffentlichte. Mit „Inland Empire“ (2006), der beim Filmfestival von Venedig Premiere feierte, folgte erneut ein verschrobener Spielfilm des Regisseurs. Das dreistündige, in schmutziger DV-Optik gedrehte Thriller-Drama mit Laura Dern, Harry Dean Stanton und Jeremy Irons greift zahlreiche Motive aus den bisherigen Filmen des Regisseurs auf, spielt wie „Mulholland Drive“ im Umfeld des Filmbusiness und spaltete Kritik und Publikum. Ebenfalls 2006 erhielt David Lynch in Venedig den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk. Seitdem inszenierte David Lynch einige Kurzfilme, darunter „Lady Blue Shanghai“ mit Marion Cotillard, und zeichnete als Regisseur der auf DVD veröffentlichten Musikdokumentation „Duran Duran: Unstaged“ (2011) verantwortlich.
David Lynch war in den 80er Jahren für kurze Zeit mit der italienischen Schauspielerin Isabella Rossellini, der Tochter von Ingrid Bergmann und Roberto Rossellini, verheiratet. Mit der Produzentin und Regisseurin Mary Sweeney, mit der Lynch an mehreren Filmen, darunter „Lost Highway“ und „Mulholland Drive“, arbeitete, hat er einen gemeinsamen Sohn (*1992). Nach einer fünf-wöchigen Liaison im Jahre 2006 heiratete David Lynch dann im Februar 2009 di Schauspielerin Emily Stofle.