Joaquin ist das einzige Kind der Familie Phoenix, das keinen Namen trägt, der irgendwie mit der Natur in Verbindung steht. Seine älteren Geschwister heißen River beziehungsweise Rain und seine jüngere Schwester trägt den Namen Summer. Aus Frust darüber nimmt der Schauspieler zu Beginn seiner Karriere den Namen Leaf (zu deutsch: Blatt) an, nur um ihn in den 1990er dann wieder abzulegen.
Seine Kindheit hat einen nomadischen Anstrich, da seine Eltern, die der Glaubensgemeinschaft Kinder Gottes angehören, als reisende Obstpflücker mit einem Wohnwagen rastlos über den nordamerikanischen Kontinent ziehen. Von seiner Familie ermutigt, beginnt er schon früh eine Karriere als Schauspieler. Bereits mit acht Jahren tritt Joaquin in der Fernsehserie „Seven Brides For Seven Brothers“ an der Seite seines Bruders River sowie von Richard Dean Anderson auf. Zwei Jahre später folgen Episoden der Serien „Mord ist ihr Hobby“ und „Ein Colt für alle Fälle“. Es dauert jedoch bis 1986, bis er in Form von „SpaceCamp“ seinen ersten Spielfilm dreht.
Als Sohn von Dianne Wiest in Ron Howards „Eine Wahnsinnsfamilie“ (1989) macht er sich erstmals ernsthaft einen Namen, bevor er als der leicht beeinflussbare Jimmy in Gus Van Sants „To Die For“ (1995) von Nicole Kidman um den Finger gewickelt wird. Da er schon früh gern (und gut!) Figuren am Rande der Gesellschaft beziehungsweise undurchsichtige Charaktere verkörpert, wird er mit den Rollen von Claire Danes' gewalttätigem Verlobten in Oliver Stones „U-Turn“ (1997), eines Sexshop-Betreibers in dem Thriller „8MM - Acht Milimeter“ (1999) und eines zwielichtigen Freundes in „The Yards“ (2000) betraut. Letzterer Film stellt seine erste Zusammenarbeit mit Regisseur James Gray dar.
Im selben Jahr verschmilzt Phoenix in Ridley Scotts „Gladiator“ geradezu mit der Figur des Kaisers Commodus, den Russell Crowes Titelheld mit seinem Wunsch nach Rache verfolgt. Das Historien-Epos macht ihn mit einem Schlag einem globalen Publikum bekannt und verschafft ihm mit seiner ersten Oscar-Nominierung die Anerkennung der Branche. In M. Night Shyamalans „Signs - Zeichen“ (2001) kämpft er dann als Mel Gibsons verschlossener, aber mutiger Bruder mit Außerirdischen und wagt sich in „The Village - Das Dorf“ (2004), erneut für den indischstämmigen Regisseur, in verwunschene Wälder. Seine introvertierte Performance zeigt gut die Facetten von Phoenix' Spiel, der sich jeweils tief in seine Figuren hineinversetzt. Fünf Jahre nach „U-Turn“ bildet er in „It‘s All About Love“ des dänischen Regisseurs Thomas Vinterberg erneut ein Paar mit Claire Danes.
Phoenix hat an der Seite von Don Cheadle und Nick Nolte einen kurzen Auftritt im hochgelobten „Hotel Ruanda“. Aber es ist vor allem seine Darstellung des kontroversen Country-Superstars Johnny Cash in „Walk The Line“ an der Seite von Reese Witherspoon, mit der er im folgenden Jahr einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Um den legendären Man In Black zu verkörpern, bringt sich der Schauspieler das Gitarrespielen bei und singt die Songs im Film selbst. Für seine Leistung wird er für den Oscar als Bester Hauptdarsteller nominiert und gewinnt den Golden Globe in der gleichen Kategorie.
Acht Jahre nach „The Yards“ kehrt Joaquin Phoenix zu James Gray zurück und spielt in „Helden der Nacht“ einen Nachtclubbesitzer, der in den 1980er zwischen die Fronten aus New Yorker Polizei und russischer Mafia gerät. Das Duo legt 2008 mit „Two Lovers“ nach, einem Drama vor dem Hintergrund einer Dreiecksbeziehung. Phoenix spielt Leonard, einen problembeladenen jungen Mann, der zwischen zwei Frauen hin- und hergerissen ist: Vinessa Shaw und Gwyneth Paltrow.
Im darauffolgenden Jahr sorgt Phoenix für Aufsehen, als er ankündigt, sich aus dem Filmgeschäft zurückzuziehen und sich einer neuen Karriere als Rapper zu widmen. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch nur um einen Marketing-Gag rund um Casey Afflecks Mockumentary „I‘m Still Here“. Ein Jahr lang folgt Ben Afflecks jüngerer Bruder dem „falschen“ Phoenix, der angeblich an Depressionen leidet. Zwischen Hasstiraden gegen die Welt des Showbusiness, Provokationen und Schlägereien geht der Schauspieler völlig in diesem aufgesetzten neuen Ich auf, nimmt stark an Gewicht zu und lässt sich einen dichten Bart wachsen. Der Streich funktioniert so perfekt, dass er mit seinem Verhalten den Zorn der Öffentlichkeit sowie der Filmbranche auf sich zieht. Um sein Projekt und Phoenix weitere Laufbahn nicht zu gefährden, macht Affleck den Schwindel letztlich öffentlich.
Phoenix zieht sich also nicht wirklich zurück und dreht 2012 stattdessen unter der Regie des renommierten Regisseurs Paul Thomas Anderson „The Master“. Er wird zu Freddie, einem alkoholkranken und depressiven Kriegsveteranen, der unter das Joch eines Sektengurus gerät, den Philip Seymour Hoffman darstellt. Phoenix‘ Performance bringt ihm die dritte Oscar-Nominierung ein. Zwei Jahre später arbeitet er für „Inherent Vice - Natürliche Mängel“ erneut mit dem Filmemacher. Der Krimi, der von der psychedelischen Atmosphäre der späten Sixties und frühen Seventies geprägt ist, basiert auf einem Roman von Thomas Pynchon.
In der Zwischenzeit dreht er für „The Immigrant“ wieder mit seinem Lieblingsregisseur James Gray. Darin ist er ein Zuhälter, der die Notlage einer gerade in New York eingetroffenen Polin (Marion Cotillard) ausnutzt, dann aber Gefühle für sie entwickelt. Mit Spike Jonzes „Her“, in dem er sich unsterblich in die Stimme einer von Scarlett Johansson gesprochenen künstlichen Intelligenz verliebt, wagt sich der Star erstmals an das Science-Fiction-Genre heran. 2015 fügt er seiner Filmografie dank Woody Allens „Irrational Man“ eine weitere prestigeträchtige Zusammenarbeit hinzu. Hier gibt er einen gequälten und nihilistischen Philosophie-Professor, der sein Leben erst wieder genießen kann, als er beschließt, kriminell zu werden.
Zwei Jahre lang ist Phoenix danach nicht auf der Leinwand zu sehen, bis er 2017 mit Lynne Ramsays geschickt die Gewalt ästhetisierendem Krimi „A Beautiful Day“ ein starkes Comeback feiert. Seine fulminante Darstellung eines Kriegsveteranen, der zum hammerschwingenden Auftragskiller mutiert, bringt ihm den Preis für den besten männlichen Darsteller bei den Filmfestspielen in Cannes ein. Es folgt das Drama „Maria Magdalena“, in dem er als Jesus von Nazareth seiner in der Titelrolle auftretenden Lebensgefährtin Rooney Mara gegenübersteht. Für „Don‘t Worry, weglaufen geht nicht“, ein Biopic über den querschnittgelähmten, alkoholabhängigen Karikaturisten John Callahan, kommt es zum Wiedersehen mit Indie-Autorenfilmer Gus Van Sant.
2018 glänzt der Schauspieler im Western „The Sister Brothers“ vor Jacques Audiards Kamera, bevor er sich unter das Make-up des Jokers begibt. Phoenix sprengt als ikonischer DC-Comic-Bösewicht die Leinwand: Seine sensible Performance wird mit dem BAFTA, dem Golden Globe und dem Oscar als Bester Hauptdarsteller gewürdigt. Mit einem weltweiten Einspielergebnis von über einer Milliarde Dollar ist Todd Phillips‘ „Joker“ ein gigantischer Publikumsliebling und wird bei den Filmfestspielen von Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Für Viktor Kossakovskys possierliche Ferkel-Doku „Gunda“ übernimmt er 2021 die Position eines ausführenden Produzenten und kümmert sich in Mike Mills‘ Schwarzweiß-Drama „Come On, Come On“ (2022) rührend um seinen quirligen, von Woody Norman verkörperten Neffen.