Da mein Schwerpunkt bei FILMSTARTS im Serienbereich liegt und so eine Serienstaffel sogar noch mehr Zeit beansprucht als selbst ein Mammut-Filmwerk wie „The Irishman“, bin ich 2019 leider nicht ganz so oft ins Kino gekommen, wie mir lieb gewesen wäre. Das anklagende Projektorenrauschen des vernachlässigten Lichtspielhauses meines Vertrauens hallte stets in meinem Kopf und nagte an meinem Gewissen, während ich auf Netflix, Amazon und Sky die Zeit mit Eleven, Midge Maisel, Jon Snow und Co. verbrachte. Doch der Tag hat nun mal nur 24 Stunden und hin und wieder muss man dann doch mal eine kleine Schlafpause einlegen.
Aber obwohl so noch immer einige potenzielle Filmperlen auf meiner langen Watchliste verharren (tut mir leid, furzender Willem Dafoe), war das Kinojahr 2019 dennoch so stark, dass es selbst bei meiner bescheidenen Filmauswahl am Ende doch gar nicht so leicht war, mich nur auf nur zehn Titel zu beschränken. Versucht habe ich es trotzdem...
Meine besten Filme 2019 – Platz 1: "Systemsprenger"
So sehr ich die eskapistische Seite der Kinoerfahrung liebe, ist es auch toll, wenn Filme das genaue Gegenteil schaffen und die Realität noch realer werden lassen, indem sie ein Thema besonders eindringlich ins Bewusstsein rücken – so wie im Fall von „Systemsprenger“. Die neunjährige Benni und ihre extremen Stimmungen mögen überspitzt erscheinen, Kinder wie sie sind aber ganz sicher keine Erfindung von Regisseurin Nora Fingscheidt.
Folgerichtig liefert ihr Film auch keine einfachen Antworten auf die Frage nach dem richtigen Umgang mit derartigen „Problemkindern“, denn die gibt es schlichtweg nicht. Die Stimmung kann hier jederzeit kippen, fast schon schweißtreibend war meine ständige Anspannung im Kinosessel. Nur weil ein ambitionierter Betreuer zeitweise zu ihr durchdringt, wandelt sich Benni nicht plötzlich auf wundersame Weise zum Vorzeigekind. Stattdessen wird die Machtlosigkeit eines überlasteten Systems demonstriert, die ihren herzzerreißenden Höhe- bzw. Tiefpunkt erreicht, als selbst die toughe Frau vom Jugendamt ihre Tränen und ihre Verzweiflung einfach nicht mehr zurückhalten kann. Und was die kleine Helena Zengel in all dem für eine Tour de Force hinlegt, ist schier unfassbar.
Meine besten Filme 2019 – Platz 2: "Joker"
Nein, eine ikonische Figur wie der Joker braucht sicherlich keinen Film, der ihre Entstehung erklärt. Zum Glück ist Todd Phillips‘ „Joker“ aber auch viel mehr als das. Der „Hangover“-Regisseur zaubert keine allumfassende Wandlungsgeschichte aus dem Hut. Seine Hauptfigur Arthur Fleck ist von Anfang an kaputt, es ist nur eine Frage der Zeit, bis sein Umfeld und die gesellschaftlichen Missstände (nicht unbedingt originell, ja, aber dadurch nicht weniger glaubhaft) das Fass zum Überlaufen bringen. Auch wenn Arthurs Wahnvorstellungen bisweilen anderes suggerieren, gibt es hier keinen obligatorischen Hoffnungsschimmer – und genau das macht es so bedrückend. Die unvermeidliche Abwärtsspirale ist keine lieblose Aneinanderreihung bedeutungsloser Unglücke, ich habe jeden dieser Tiefschläge und seine Auswirkungen stets schmerzlich am eigenen Leib gespürt.
Phillips gelingt – nicht zuletzt dank seines atemberaubenden Hauptdarstellers Joaquin Phoenix – das Kunststück, dass ich mich in Arthur einfühlen kann, ohne dass dessen schreckliche Taten deshalb gleich glorifiziert würden. Letztlich reiht sich „Joker“ in die Riege der Filme ein, die mich emotional so durch die Mangel nehmen, so niederschmetternd sind, dass es mir schwerfällt, sie noch einmal anzuschauen – und das ist positiv gemeint. Dass der Film dann sogar noch gekonnt den Bogen zu seinen Comic-Wurzeln schlägt – obwohl er das eigentlich gar nicht mehr nötig hätte – ist nur noch das Sahnehäubchen auf dieser Depri-Torte.
Meine besten Filme 2019 – Platz 3: "Avengers: Endgame"
Als ich 2018 aus „Avengers: Infinity War“ kam, hätte ich es kaum für möglich gehalten, dass die Russo-Brüder irgendwie zufriedenstellend an dieses fulminante Finale anknüpfen können. Aus dieser „Angst“ heraus habe ich schon „Infinity War“ zum absoluten Kulminationspunkt des bisherigen MCU erklärt. Dieser Status gebührt nun aber zweifellos „Endgame“. Meisterlich wird das, was zuvor über 21 Filme aufgebaut wurde, in diesem Drei-Stunden-Comic-Epos zusammengeführt.
Gerade im Doppelpack mit „Infinity War“ funktioniert „Endgame“ bestens, ist aber doch auch überraschend anders als der direkte Vorgänger. Behutsam wird den Helden erst ausgiebig Zeit für ihre Trauer gegeben, bevor der famose Zeitreise-Heist einen verdammt unterhaltsamen Bogen zu früheren MCU-Abenteuern schlägt und das Ganze schließlich in ein Bombast-Finale mit einigen der stärksten Gänsehaut-Momente des gesamten MCU gipfelt („Avengers Assemble“, Cap mit Mjölnir!). Vom tränenreichen Iron-Man-Abschied ganz zu schweigen.
Auch wenn es mit dem MCU natürlich weitergeht, ist „Avengers: Endgame“ für mich der krönende Abschluss einer beispiellosen Reise, der gerne noch drei Stunden länger hätte dauern können.
Die weiteren Platzierungen
Platz 4: „Marriage Story“
Platz 5: „Mid90s“
Platz 6: „One Cut Of The Dead”
Platz 7: „Parasite“
Platz 8: „Ralph reichts 2: Chaos im Netz“
Platz 9: „Shazam!“
Platz 10: „Midsommar“
Die besten Filme ohne Kinostart
„Dragged Across Concrete“ (S. Craig Zahler, USA 2018)
„Dolemite Is My Name“ (Craig Brewer, USA 2019)
„Leaving Neverland“ (Dan Reed, USA/Großbritannien 2019)