Das Kinojahr 2019 begann für mich nicht im Januar – da war meine Freizeit eher dünn und von vielen Filmen blieb nicht viel hängen. Erst etwa Ende Februar beschlossen ein Freund und ich dann, unsere Dauerkarte für eine Berliner Kinokette zu erneuern und in einer Woche so viel zu schauen, wie wir nur irgendwie konnten. Die Oscars waren gerade gelaufen und wir schmuggelten von mittags bis nachts Getränke und Snacks in Kinosäle zwischen Charlottenburg und Friedrichshain, um unsere Schaulust zu befriedigen. Unsere Gespräche nach den Filmen überschlugen sich mal in hektischen Ereiferungen, mal gingen wir nahezu geräuschlos unserer Wege.
Neun Monate und etliche Kinobesuche später kann ich für das Kinojahr 2019 immer noch keine besonders einfallsreiche Pointe liefern. Was war 2019? Es war ein Tarantino-Jahr mit einem heißen Sommer und ein Jahr, in dem ich durch zwei sehr unterschiedliche Filme in meiner Top 10 sowie einer Retrospektive im Berliner Arsenal-Kino eine neue Wertschätzung fürs koreanische Kino gefunden habe.
Meine besten Filme 2019 – Platz 1: "Once Upon A Time... In Hollywood"
Ein heißgelaufenes Sündenbabel am Ende einer goldenen Ära, zwei Filmveteranen zwischen Selbstzweifeln und zenartiger Resignation und salvenartige Zitate aus der Filmgeschichte: Quentin Tarantinos „Once Upon A Time... In Hollywood“ ist so derart bunt und pulsierend wie ich mir, ohne je selbst dort gewesen zu sein, Los Angeles gerne vorstelle.
Tarantino hat seine Kindheit (inklusive seinem Nebenjob in einem Pornokino) in ein Märchen geformt, das bis zum Bersten mit Möglichkeiten vollgestopft ist, in dem hinter jeder Tür ein Abenteuer zu stecken scheint, in der die Magie des Kinos teils mit Zärtlichkeit, teils mit Humor und teils mit roher Gewalt vor Augen geführt wird.
Und so konnte ich mich kaum sattsehen: An den Manson-Mördern, die im Mondschein eine Auffahrt hinaufkommen, wie die fleischgewordene, ominöse und drogeninduzierte Mordlust Kaliforniens, die in dieser Art zuvor vielleicht nur David Fincher in „Zodiac“ eingefangen hat. An Brad Pitt, wie er zu „Mrs. Robinson“ in einem Auto von der Größe eines mittleren Schlafzimmers um die Ecke biegt. Ich bin in diesem Film spazieren gegangen wie ein Flaneur, der das alles um sich herum aufsaugt.
Meine besten Filme 2019 – Platz 2: "Burning"
Nach „Burning“ war mir schlecht. Regisseur Lee Chang-Dong ist ein Lehrmeister in Hilflosigkeit. Der Film beginnt zärtlich und unschuldig und endet mit einem Schlag in die Magengrube, gegen den man sich nicht wehren kann. Einem Verliebten dabei zuzusehen, wie er nach Lebenszeichen oder Indizien eines Mordes sucht, ließ mich darauf hoffen, dass die verschwundene Angebetete sich aus einer von ihr zurückgelassenen Armbanduhr wieder neu manifestieren möge. Ich war verzweifelt auf der Suche nach einem Abschluss, den mir Lee kunstvoll vorenthalten hat.
Selten habe ich im Kino eine Art von Bedrohung verspürt, wie sie „Burning“ in mir ausgelöst hat: Eine Bedrohung, die aus dem Nichts kommt und ins Nichts wieder verschwindet, die die Rollen von Täter und Opfer schließlich vertauscht, als wären Genugtuung oder Gerechtigkeit nur schnippische Scherze. Lee schafft aus Leere Verzweiflung, bis man selbst (brennende) Gewächshäuser für Zeichen bestialischer Verbrechen hält.
Meine besten Filme 2019 – Platz 3: "7500"
Ich kann Kammerspiele eigentlich nicht ausstehen. Ich habe irgendeine tiefsitzende, mir nur halb erklärliche Aversion gegen Filme, die in einem einzigen beengten Raum spielen und von mancher Kritik gerne mal als „schauspielerische Tour de Force“ gelobt werden. Selbst bei einem Großwerk wie Roman Polanskis „Venus im Pelz“ oder dem tollen „No Turning Back“ mit Tom Hardy musste ich mich gewissermaßen über die Prämisse des Films hinwegzwingen.
Bei „7500“ war das nun aber ganz anders. Patrick Vollraths Langfilmdebüt ist von Anfang an derart packend, dass ich wahrscheinlich qua Tunnelblick die beengten Verhältnisse ohnehin nicht mehr wahrgenommen habe. Die Mixtur aus einer minimalistischen Idee, einem klugen Drehbuch und der Leistung von Joseph Gordon-Lewitt (eine schauspielerische Tour de Force!) machen „7500“ zum am meisten Adrenalin provozierenden Film in meiner Top 10.
Die weiteren Platzierungen
Platz 4: „Midsommar“
Platz 5: „Ad Astra“
Platz 6: „The Irishman“
Platz 7: „Parasite“
Platz 8: „The Favourite“
Platz 9: „High Life“
Platz 10: „Avengers 4: Endgame“