Nach seinem Drama-Debüt „Scaring The Fish“ (2008) verschaffte sich Regisseur Todd Douglas Miller mit der Urzeit-Doku „Dinosaur 13“ (2014) wieder Gehör als Filmemacher. Doch den großen Durchbruch feiert er erst jetzt mit der Raumfahrt-Doku „Apollo 11“, die die legendäre Mondmission der Astronauten Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins aus einem komplett neuen Blickwinkel zeigt. Dass Miller von CNN Films überhaupt den Auftrag bekam, aus 11.000 Stunden unveröffentlichtem Audiomaterial und Hunderten von Stunden noch nie gezeigten Videos rund um die erste Mondlandung am 20. Juli 1969 einen Film zu machen, verdankt er offensichtlich seiner Kurzfilm-Doku „The Last Steps“ (2017), dort widmete sich der Raumfahrt-Experte der Apollo-17-Mission, also dem bisher letzten Mal, dass Menschen auf dem Mond spazierten.
Anstatt das Thema zum 50. Jubiläum des Jahrhundertereignisses Mondlandung noch einmal klassisch aufzuwärmen, wählt Miller ein kühnes Konzept und versetzt die Zuschauer mit sensationellen Bildern und ohne klassischen Off-Kommentar zurück ins Jahr 1969. „Apollo 11“ ist in Nordamerika bisher die erfolgreichste Doku des Jahres und in Deutschland als Event-Programmierung am 7. und 14. Juli 2019 in den Kinos zu sehen.
FILMSTARTS: Nachdem du „The Last Steps” über die Erlebnisse von „Apollo 17” gedreht hast, trat CNN Films an dich heran. Was hatten sie anzubieten und was genau wollten sie von dir? Das Thema „Apollo 11“ ist schließlich schon aus allen möglichen Perspektiven beleuchtet worden…
Todd Douglas Miller: Das war ganz lustig. Die Dinge haben sich parallel entwickelt. Als wir mit „The Last Steps“ in den letzten Zügen lagen, kam mein Archive Producer Stephen Slater und erinnerte mich daran, dass das Jubiläum 50 Jahre Mondlandung bald ansteht. Er war sozusagen die erste Person, die das Thema anstieß. Aber ich sagte: „Ääääähh! Ich weiß nicht.“ Außerdem bereiteten wir gerade was anderes vor. Aber dann zeigte er mir sein „Apollo 11“-Projekt, wo er diese alten Audioaufnahmen mit Bildern zusammenbrachte. Daran bastelten wir dann zu zweit fast nur zum Spaß nach Feierabend und an den Wochenenden. Wir versuchten, uns da gegenseitig zu überbieten. Dann bekam ich einen Anruf meines Kontaktes bei CNN Films und sie sagte: „Wir wollen einen Mondlandungs-Film machen.“ Zu der Zeit dachte ich, das wäre schon aufregend, auf einer solch großen Plattform etwas erschaffen zu dürfen. Andererseits war ich auch ein bisschen skeptisch, was sie genau wollten. Ich habe dann angefangen, den Film zu konzeptionieren. Ich hätte aber nie gedacht, dass eine so große Firma wie CNN sich für meinen Cinema-Varieté-Ansatz interessieren würde.
Erste Aufgabe: Das Chaos sortieren
FILMSTARTS: Du hattest diese gigantische Menge an unveröffentlichtem Material zur Verfügung, 11.000 Stunden Audio, mehrere hundert Stunden Video. Wie hast du dich da durchgewühlt?
Todd Douglas Miller: Erst mal haben wir uns gefragt, ob wir überhaupt die ganze Geschichte der Apollo-11-Mission mit diesem Archivmaterial erzählen können. Die Mission selbst dauerte acht Tage und einige Stunden, also galt es, knapp neun Tage abzudecken. Für den Schnitt haben wir eine Timeline für diese neun Tage erstellt und nach und nach Audio und Video dort reingepackt, Standbilder, Audiomaterial aus dem Raumschiff. Was das Projekt aber wirklich zum Abheben gebracht hat, war der Fund der 65-und-70-Millimeter-Aufnahmen.
Apollo 11Denn als wir diese 11.000 Stunden Audioaufnahmen bekommen hatten, war das ein einziges Chaos. Es gab keinen Plan, keine Transkriptionen des Gesagten. Es ist der Verdienst von Ben Feist, der während des Projekts von der NASA angeheuert wurde, das Material zu katalogisieren und die Qualität zu verbessern, wobei er mit einem Studenten in Deutschland zusammengearbeitet hat. Das war ein gigantischer Aufwand, ich weiß bis heute nicht, wie sie das geschafft haben. So konnten wir tatsächlich anfangen zu arbeiten und das Material punktgenau in unseren Film einfügen. Wir hatten jetzt die Chance, objektiv auf die Mission zu schauen und unsere Story suchen zu können.
FILMSTARTS: Du hattest das 65-und-70-Millimeter-Material bereits angesprochen. Normalerweise arbeitest du digital, wie war es für dich, mit diesem alten Film-Format zu arbeiten? Wie sind deine praktischen Erfahrungen als Filmemacher?
Todd Douglas Miller: Das war ein reines Vergnügen. Ich kann nicht behaupten, dass alle, die an der Restauration des Materials gearbeitet haben, so viel Spaß daran hatten wie ich, aber dieser Stoff hat meine Liebe zu diesem Großformat wieder entflammen lassen. Die Restauration war kein einfacher Prozess, aber wir alle im Team wussten, wie wichtig das für den Film ist. Zu diesem Zeitpunkt waren wir keine Filmemacher, sondern Kuratoren und Archivare. Wir fühlten alle eine starke Verantwortung, das Material perfekt zu restaurieren und es für kommende Generationen zugänglich zu machen.
FILMSTARTS: Und die Aufnahmen sehen so brillant auf der Leinwand aus. Als ob man selbst dort wäre… Für mich sieht jede einzelne Aufnahme im Film so aus, als sei sie so noch nicht verwendet worden (obwohl ich wirklich viele, viele Raumfahrt-Dokus gesehen habe). Hattest du überhaupt einen Überblick, was alles irgendwo in Filmen, Dokus, Serien, Beiträgen oder sonst wo verwendet worden war?
Todd Douglas Miller: Wir haben uns voll reingehängt und wirklich alles geguckt, was wir zu dem Thema in die Hände bekommen konnten. Dazu nervten wir die NASA, dass sie uns jeden Industriefilm zur Ansicht zur Verfügung stellten, der jemals produziert wurde – was sie auch gemacht haben. Wir haben wirklich alles geschaut. Dann folgte daraus das nächste große Rechercheprojekt. Wer hat das Großformat-Material genau gedreht? Und wofür sollte es eigentlich verwendet werden? Darüber gab es keine Dokumentation, sondern nur hier und da Gerüchte. Eine von der NASA gegründete Produktionsfirma namens Moonwalk One hat viel davon gedreht, die hatten großartige Kameraleute, die daran gearbeitet haben. Sie haben die Zuschauer- und Strandszenen vor dem Start aufgenommen. Aber es war schwierig, mit diesem Material zu arbeiten, weil sie bei Moonwalk One kurz nach dem Start plötzlich von 70 zu 35 Millimeter gewechselt sind. Dennoch war es ein Vergnügen, das alles zusammenzufügen.
Kein Interesse an einer klassischen Mond-Doku
FILMSTARTS: Du verfolgt ein kühnes, ambitioniertes Konzept, den Film ohne Off-Kommentar als eine Art Live-Reportage in der Gegenwartsform zu erzählen. War dieser Ansatz von Anfang an da oder hat er sich entwickelt?
Todd Douglas Miller: Wenn man den Audioaufnahmen von Mission Control zuhört, ist da dieser Beauftragte für öffentliche Angelegenheiten, der ganz nah beim Flight director saß. Auch wenn es für eine spielfilmlange Doku riskant ist, haben wir ihn als eine Art Sportkommentar verwendet. Er schaut sich das Event live an und kommentiert es fachkundig, aber nüchtern für die Öffentlichkeit. Das war für mich immer der bessere Ansatz, als Menschen die Geschichte erzählen zu lassen, die das schon über die vergangenen 50 Jahre getan haben – immer und immer wieder. Daran hatte ich kein Interesse. Es sollte sich wie „Dunkirk in Space“ anfühlen.
FILMSTARTS: Das ist ein toller, treffender Vergleich – zumal „Dunkirk“ ebenfalls ein herausragender, kühn konzeptionierter Film ist… Du hast also alle „Talking heads“ aus deinem Film verbannt. Gab es Verantwortliche bei CNN Films, die diesen radikalen Schritt angezweifelt oder hinterfragt haben?
Todd Douglas Miller: Nein, ich habe das von Beginn an klargemacht. Zum Glück hatten sie Verständnis und waren großartige Partner. Wir haben auch „Dinosaur 13“ zusammen gemacht. Aber nicht nur CNN Films, alle unsere Verleiher wie Neon, IMAX und Universal sind auf das Konzept angesprungen.
FILMSTARTS: Du hast eine Menge recherchiert. Was ist das Erstaunlichste, was du dabei herausgefunden hast, das du vorher noch nicht wusstest?
Todd Douglas Miller: Das waren vor allem technische Aspekte. Ich will nicht zu sehr in die Details gehen, aber dann tauchten diese Begriffe wie „Barbeque Roll“ (Anm. der Red.: ein Rotationsmanöver, um die Temperatur im Raumschiff zu regulieren) oder „Rotating Restaurant“ (Anm. der Red.: hier geht es um die Ausrichtung des Raumschiffs) auf, womit wir nichts anfangen konnten. Wir haben mit dem Chefhistoriker der NASA, William Barry, zusammengearbeitet, der offizielle Dokumentationen zu allen Sachen, die wir nicht verstanden haben, ausgegraben hat. Plötzlich ergab alles einen Sinn. (lacht) Das hat uns viel Zeit gekostet. Aber das Beeindruckendste waren die Bilder vom Start und den Mondmanövern. Beim Launch bekommt man einen Eindruck davon, wie unglaublich groß die Saturn-5-Rakete war. Uns wurde klar, wie schwierig es war, so eine gigantische Operation in dieser kurzen Zeit überhaupt zu realisieren – in weniger als einer Dekade. Mehrere hunderttausend Leute kamen für dieses eine Ziel zusammen. Das war wirklich erstaunlich.
Zusammenarbeit mit Michael Collins und Buzz Aldrin
FILMSTARTS: Hast du überhaupt mit den noch lebenden Apollo-11-Astronauten Buzz Aldrin und Michael Collins über die Mission und über den Film gesprochen?
Todd Douglas Miller: Bevor wir den Endschnitt gemacht haben, sind wir mit einem Teil des Materials zu den beiden gegangen und haben es ihnen gezeigt – und auch den Söhnen von Neil Armstrong. Das beste Feedback, das man bekommen konnte, war von den Leuten, die dort waren. Immer wenn wir entscheidende Szenen im Kasten hatten, haben wir uns in ein IMAX-Kino mit Astronauten und den Familien eingeschlossen und mussten am Ende feststellen, dass wir doch noch daran feilen mussten. Aber diese Art zu arbeiten, hat viel Spaß gemacht, um so akkurat wie menschenmöglich zu sein.
FILMSTARTS: In deinem Film gibt es diese wahnsinnig spannende Abstiegssequenz der Raumfähre „Eagle“ zum Mond. Das sind für mich die aufregendsten vier Minuten, die ich dieses Jahr im Kino gesehen habe…
Todd Douglas Miller: Oh, danke. Das freut mich sehr.
FILMSTARTS: …was ist deine persönliche Meinung, wie nah stand die Mission kurz vor dem Aufsetzen auf dem Mond vor dem Abbruch? Offiziell hatte „Eagle“ noch Treibstoff für 16 Sekunden…
Todd Douglas Miller: Sie nannten es die Bingo line. Sie hatten tatsächlich noch etwas Reserve-Treibstoff. Wie viel, ist nicht genau bekannt. Neil Armstrong hat einmal darüber gesprochen, (lacht) aber die Mengenangaben sind nicht sehr akkurat. Wir werden es nie erfahren. Aber ich habe Armstrong auch darüber sprechen hören, wie er sagte: „16 bis 20 Sekunden sind ein ganzes Leben für einen Navy-Piloten.“ Die Stimmen der Astronauten waren ganz ruhig und kontrolliert. Aber die Herzfrequenzen sprachen eine andere Sprache…
FILMSTARTS: Neil Armstrongs Herzfrequenz war 156 Schläge pro Minute beim Aufsetzen auf den Mond. Das ist schon viel, aber in so einer außergewöhnlichen Situation wiederum auch nicht so viel. Den meisten Menschen wäre hier das Herz wahrscheinlich aus dem Hals gesprungen…
Todd Douglas Miller: (lacht) Und als er auf dem Mond spaziert, hatte er plötzlich nur noch 90, also nahe dem Ruhepuls.
Neil Armstrong war die natürliche Wahl für die Aufgabe
FILMSTARTS: Warum glaubst du, hat die NASA Armstrong als ersten Menschen auf dem Mond ausgewählt?
Todd Douglas Miller: Jeder Astronaut hatte seine speziellen Qualitäten. Es war clever von NASA, jedem seine Verantwortung zu übertragen. Michael Collins war zum Beispiel für die Raumanzüge verantwortlich, Buzz Aldrin für alle Raummanöver und Neil Armstrong für die Simulationen. Keiner war besser trainiert als die drei – außer vielleicht Gus Grissom und Ed White, die bei dem Feuerunfall 1967 von „Apollo 1“ gestorben sind. Astronauten-Koordinator Deke Slayton traf also eine natürliche Auswahl. Armstrong hatte einfach Nerven aus Stahl. Er ist für die Navy auf Flugzeugträgern gelandet, war Testpilot. Er hat so viel in Simulatoren gearbeitet und dort Systeme entwickelt, sodass seine Auswahl nur logisch war. Die anderen Astronauten sagten alle, dass Armstrong der beste Pilot sei.
FILMSTARTS: Jeder, wirklich jeder weiß, wer Neil Armstrong ist. Viele haben auch den Namen Buzz Aldrin schon einmal gehört oder bringen ihn mit „Apollo 11“ in Verbindung, aber bei Michael Collins klingelt es bei den meisten nicht.
Todd Douglas Miller: Nein, kaum jemand kennt den Namen.
FILMSTARTS: Leider nur die Space-Geeks. Tut dir eigentlich Michael Collins leid, der als einziger der drei nicht auf dem Mond spazieren durfte und stattdessen im Raumschiff-Modul „Columbia“ um den Mond kreiste, um Armstrong und Aldrin später wieder aufzusammeln…?
Todd Douglas Miller: Nein! Ich hatte das Vergnügen, Michael Collins besser kennenzulernen. Ich kann es dir aus erster Hand erzählen: Er bedauert gar nichts oder fühlt, etwas verpasst zu haben. Und er hatte streng betrachtet den viel wichtigeren Job, weil er die Mondlandefähre „Eagle“ ständig im Auge behalten musste, damit Armstrong und Aldrin sicher zurückkehren konnten. Es war faszinierend, von Collins diese Geschichte zu hören und wie dramatisch alles war.
Zum Mond, Mars und darüber hinaus
FILMSTARTS: Die Amerikaner waren seit 1972 nicht mehr auf dem Mond. Kannst du dir das konkret erklären, warum man nicht über die Jahren nachgesetzt hat?
Todd Douglas Miller: Mein vorheriger Langfilm war eine Doku über Dinosaurier, von daher betrachte ich die Dinge durch die geologische Brille über einen langen Zeitraum. Deshalb glaube ich, dass 50 Jahre auf die Gesamtheit bezogen nicht so viel sind. Wir dürfen uns glücklich schätzen, in so einer Zeit zu leben, wo Menschen das erste Mal den Mond betreten haben – nur zwei Generationen, nachdem das Flugzeug erfunden wurde. Noch in 1000 Jahren, wenn wir noch hier sind, werden die Menschen hoffentlich auf diesen Moment zurückschauen. In Zukunft muss es das Ziel sein, in den Kosmos zu expandieren. Nicht nur zum Mond und zum Mars, sondern darüber hinaus. Nicht nur NASA, sondern auch viele private Firmen wie SpaceX arbeiten daran. Das ist immer noch eine aufregende Zeit.
FILMSTARTS: Was ist das Vermächtnis des Apollo-Programms heute?
Todd Douglas Miller: Schaut man auf die spezielle Zeit mit der prekären Lage der Weltpolitik zurück, ist das Erstaunliche, dass Hunderttausende von Menschen für ein Ziel zusammenkamen – und auch Firmen, zehntausende Unternehmen waren beteiligt, das vergessen die meisten Leute immer. Das ist ein archetypisches Beispiel für erfolgreiches Projekt-Management. Auf der anderen Seite befeuert es auch die Vorstellungskraft, dass man etwas Großes realisieren kann, wenn man alles daran setzt.
FILMSTARTS: Die letzte Frage… Jimmy Chin und Elizabeth Chai Vasarhelyi, die Regisseure von „Free Solo“, einer ebenfalls herausragenden Doku, drehen demnächst einen Action-Thriller für Netflix. Ist das etwas, was du dir auch vorstellen kannst? Eine Rückkehr zum Spielfilm?
Todd Douglas Miller: Ja, absolut. Ich muss zwar vorher oder nebenbei noch einige andere kleine Projekte wie die andauernde Restaurationsarbeit zu Ende bringen. Dazu entwickeln wir für andere Filmemacher technische Systeme für Großbildformate. Wir setzen im Moment voll auf diese Formate, große Events, IMAX. Aber nicht nur für nicht-fiktionale, sondern auch für fiktionale Stoffe.
„Apollo 11“ läuft am 7. und 14. Juli 2019 in ausgewählten Kinos als Event-Film.