Sein 1983 erschienener Roman „Friedhof der Kuscheltiere“ ist der kommerziell erfolgreichste von Horrormeister Stephen King überhaupt und gilt nicht nur deshalb als einer seiner allergrößten Klassiker – literarisch war der Star-Autor nur selten besser. Im Mittelpunkt steht Arzt Louis Creed, der mit Frau und seinen beiden Kindern in eine neue Stadt und ein idyllisches Haus im Wald zieht. Mit dem alten Nachbarn Jud Crandall freundet man sich sofort an und so ist nur die vor dem Grundstück vorbeiführende Straße ein Ärgernis, heizen doch hier schwere Lastwagen ohne Rücksicht auf Anwohner vorbei. Als eines Tages die Familienkatze der Creeds überfahren wird, eröffnet der alte Jud seinem neuen Freund Louis ein Geheimnis. Er führt ihn vorbei an einem Tierfriedhof tiefer in den Wald hinein zu einem mystischen Indianerfriedhof mit sagenumworbenen Kräften: Was dort begraben wird, kehrt zurück – allerdings verändert.
Vor den Toren Montreals entsteht im Sommer 2018 die Neuverfilmung dieser berühmten klassischen Geschichte. Verantwortlich sind die Regisseure Kevin Kölsch und Dennis Widmyer – ihr erster Hollywood-Film überhaupt. Dass die Filmemacher und ihre bei unserem Set-Besuch auch anwesenden Hauptdarsteller Jason Clarke („Aufbruch zum Mond“) und John Lithgow („Dexter“) in den kanadischen Wäldern aktiv sind, hat natürlich vor allem Kostengründe, wie unisono zugeben wird. Kanada ist zum Drehen nun mal viel billiger als die USA. Doch der Drehort erweist sich auch aus einem weiteren Grund als Glücksfall – und das nicht nur für die Filmemacher, sondern auch für uns Journalisten, denn wir haben hier fast alle Sets an einem Ort.
Echte Sets statt Studio-Kulissen
Normalerweise gibt es das nur bei Studiosdrehs, auf die bei viele Hollywood-Filmen zurückgegriffen wird. Nur dort kann man eine in London spielende Szene und anschließend ein paar Meter weiter eine in New York angesiedelte Sequenz drehen. Bei Außendrehs sind verschiedene Sets dagegen oft weit entfernt, können Nachbarhäuser in einem Film hunderte Kilometer auseinanderliegen – nicht so bei „Friedhof der Kuscheltiere“. Da hier wirklich fast alles an einem Ort zentriert ist, können wir uns, als wir an dem extrem heißen Sommerabend die Dreharbeiten erreichen, sofort einen Eindruck von mehreren Locations verschaffen. Wir sehen das Haus der Familie Creed, nur einen kurzen Fußweg auf einer Straße entfernt liegt das (im Film gegenüberstehende) Anwesen ihres Nachbarn Jud Crandall und selbst diese Straße nutzen die Macher für die entsprechenden Szenen im Film.
„Sogar einen echten Tierfriedhof gibt es hier im Wald“, verrät uns Produzent Mark Vahradian. Doch natürlich nutzt man diesen nicht, sondern hat mit viel Liebe zum Detail einen eigenen angelegt. Allein in diesem könnte man sich für Stunden verlieren. Die Gräber sind aufwändig dekoriert, Crew-Mitglieder haben alte Fotos eigener (verstorbener) Haustiere angebracht und unter den Namen und sonstigen Inschriften finden sich zahlreiche Easter-Eggs für King-Fans. Die wollen wir aber natürlich nicht enthüllen, sollt ihr sie doch im Kino selbst entdecken.
Ein weiterer Glücksfall ist das bereits erwähnte Haus, welches als Wohnsitz für Jud Crandall dient: Es steht nämlich seit geraumer Zeit leer, weswegen die Filmemacher dort ein echtes Feuer anzünden und so für den Dreh einer Buchkennern nur zu gut bekannten Szene auf viel Handarbeit und nicht nur Computereffekte zurückgreifen konnten. Gefilmt wurde diese am Vortag unseres Set-Besuchs, wir sehen noch die Aufräumarbeiten an dem nun teilweise ausgebrannten Haus. Und bekommen nebenher die Info, über den „guten Deal“, den man mit dem Eigentümer geschlossen hat. Der überließ den Filmemachern das Haus, die Handwerker des Set-Bauer-Teams setzen es dafür nach Nutzung komplett neu instand – eine klassische „warme Renovierung“, nur hier vollkommen legal.
Dreh einer Schlüsselszene
Heute wird dagegen eine ganz andere zentrale Szene des Romans gefilmt – für Regisseur Widmyer sogar „eines der besten Kapitel, das Stephen King jemals geschrieben hat“. In diesem führt der von John Lithgow gespielte Jud Crandall den ahnungslosen Louis (Jason Clarke) am Tierfriedhof vorbei zum Indianerfriedhof, der nicht am Set steht, sondern im Studio nachgebaut wurde, um mit der richtigen Ausleuchtung das mystische Element verstärken zu können. Wir sehen, wie sich die beiden Männer ihren Weg durch den Wald bahnen und eine große Barriere aus Holz überwinden, die eigentlich verhindern soll, dass jemand das heilig-unheilbringende Land betritt.
Der von den Set-Bauern errichtete Totholz-Wall ist dabei eindrucksvoll und einer von vielen Belegen, dass die Macher nach Perfektion streben. Das zeigt sich auch beim Dreh: Immer wieder lassen sie die Szene, in der Lithgows Jud stoisch nach oben kraxelt und Clarkes Louis ihm verwundert folgt, wiederholen. Soll Clarke mehr in sich hineinfluchen oder mit lauten Rufen von seinem alten Freund eine Auskunft verlangen, warum er eine tote Katze tief in den Wald tragen soll? Der Hang zur Perfektion, der sich beim Suchen des richtigen Ablaufs dieser Szene zeigt, scheint auch im Gespräch mit Kölsch und Widmyer am Rande der Dreharbeiten immer wird durch und wird uns von den übrigen Beteiligen bestätigt.
Perfektion und Mut zu Änderungen
Vor allem die Darsteller zeigen sich beeindruckt von den Regisseuren, die bislang nur Independent-Filme auf eigene Faust gemacht haben, bevor sie ausgerechnet die bitterböse Anti-Hollywood-Horrorgeschichte „Starry Eyes“ auf das Radar der Traumfabrik und so zur ersten Studioproduktion gebracht hat. „Sie leben, essen und trinken Filme“, sagt Schauspielveteran John Lithgow, der uns auch bestätigt, dass sie der Grund waren, die Rolle anzunehmen. Als er das Drehbuch das erste Mal las, hatte er nämlich eine Menge Probleme und rief direkt die Regisseure an: „Und bei jedem einzelnen Punkt war es so, dass sie selbst das längst auch erkannt und bereits in einem neuen Entwurf repariert hatten. Da wusste ich, diese Jungs sind schlau, die sind sogar schlauer als ich.“
Dass die Regisseure selbst noch einmal stark Hand ans Drehbuch anlegten, lobt auch Produzent Lorenzo di Bonaventura. Und sie scheuten dabei auch nicht davor zurück, von Kings Vorlage massiv abzuweichen. „Wir machen einige große Änderungen“, verspricht uns Lithgow, der diese aber nicht verraten will (der gerade veröffentlichte Trailer enthüllt aber eine massive Änderungen schon und deutet weitere mehr als deutlich an). Er und di Bonaventura legen aber Wert darauf, dass man dem Geist des Buches trotzdem treu bleibe, was auch Widmyer und Kölsch sehr wichtig war, sind sie doch riesige Fans von Stephen King. So haben sie eine Änderung auch rückgängig gemacht: Die unheimliche Zelda (Buchkenner wissen, wer gemeint ist) sei gar nicht im Drehbuch gewesen, als sie an Bord kamen, wurde von ihnen aber direkt wieder in den Film geschrieben.
Wie sehr die Macher dem Regie-Duo gleich bei ihrem ersten Hollywood-Film vertrauen, zeigt sich auch daran, dass sie die Darsteller auswählen durften – ganz und gar keine Selbstverständlichkeit für Newcomer in der Traumfabrik. Und Widmyer und Kölsch bekamen mit Lithgow, Clarke, sowie auch noch Amy Seimetz („Moonlight“), bei der die Produzenten erst skeptisch gewesen seien, ihre Wunschbesetzung. Vor allem Lithgow kommt dabei eine schwere Aufgabe zu. Der zweifach oscarnominierte Schauspieler ist trotz seiner eindrucksvollen Performance als Trinity Killer in der vierten Staffel von „Dexter“ fast nie in Horrorfilmen zu sehen: Brian De Palmas Klassiker „Mein Bruder Kain“ bildet die Ausnahme, doch einen Killer mit multipler Persönlichkeitsstörung muss er hier nicht spielen.
Jud Crandall ist das Zentrum
In „Friedhof der Kuscheltiere“ kommt dem Schauspieler eine ganz andere Aufgabe zu, denn sowohl das Regie-Duo als auch der Darsteller selbst haben seinen Jud als emotionalen Anker ausgemacht – was uns als Fans der Buchvorlage schon einmal optimistisch stimmt. Als „guten, aber auch getriebenen und traurigen Mann“ beschreibt Lithgow ihn und kommt direkt auf den zentralen Konflikt der Figur: „Er weiß, wie man etwas zurück ins Leben holen kann. Er weiß aber auch, dass dieses Geheimnis sehr gefährlich ist, dass damit nicht herumgespielt werden darf.“
Warum Jud seinem neuen Nachbarn und Freund Louis das Geheimnis des Indianerfriedhofs anvertraut, wird in der Verfilmung wohl einer der zentralen Punkte. Produzent Lorenzo di Bonaventura hat nämlich nicht nur beim Lesen des Buches jedes Mal genau damit ein Problem: „Während der Entwicklung des Skripts mussten wir auch erkennen, dass bei jedem Versuch, rational zu erklären, warum Jud sein Geheimnis erzählt, das Ergebnis falsch war. Denn es ist keine rationale Entscheidung, es ist eine emotionale.“
Und um diese rüberzubringen, ist Lithgow ideal – wobei ihm auch noch eine andere Aufgabe zukommt, die er in der jüngeren Vergangenheit schon öfter innehatte. Im Gespräch mit uns vergleicht er Jud mit seinen Rollen in „Planet der Affen: Prevolution“ und „Interstellar“. In beiden Fällen war es den Regisseuren sehr wichtig, dass er mit seiner Schauspielerei eine gewisse Schwere einbringe und damit die Glaubwürdigkeit eines Plots erhöhe. So stehen solche Genre-Filme auf einem soliden Fundament, wenn Affen die Welt erobern oder durch die Zeit gereist wird. Für Christopher Nolan war es daher sogar die wichtigste Rolle, erklärt Lithgow uns und das galt nun auch für Widmyer und Kölsch: „Sie waren überzeugt, dass mit mir in der Rolle, Jud auch nicht kitschig wird, sondern eine gewisse Würde bekommt.“
"Shining" und "Der Exorzist" als Vorbilder
„Friedhof der Kuscheltiere“ braucht diese Erhabenheit, denn es ist ein ernster Stoff. „Das Buch und auch der Film sind mehr verstörend als furchteinflößend“, macht Jason Clarke klar und verdeutlicht, dass man sich ganz fern von Horror-Slashern oder Untoten-Orgien bewege. Auch Dennis Widmyer sieht Kings berühmte Geschichte näher am Drama als am Horror, was eine gute Ausgangsposition sei, denn „gute Horrorfilme sind immer Dramen mit furchteinflößenden Elementen“.
Gerade in diesem Punkt ist der Regisseur in seinem Redefluss kaum zu stoppen und rauscht einmal quer durch die Filmgeschichte. „Schau es dir an. Kubrick hat ‚Shining‘ nicht als Horror gesehen, für Friedkin war ‚Der Exorzist‘ nie ein Horrorfilm. Das sind beides häusliche Dramen über Familien, die auseinanderfallen.“ Widmyer und sein Kollege Kölsch haben offensichtlich die Buchvorlage verstanden, in deren Kern auch genau dieses Drama steckt. Dass diese beiden Klassiker neben „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ zu ihren größten Einflüssen gehört, verwundert so nicht.
Dass gerade Nicolas Roegs Horrorfilm über den Verlust eines Kindes genannt wird, leuchtet ein. Wer „Friedhof der Kuscheltiere“ kennt (wer nicht, Vorsicht: SPOILER!), weiß ganz genau, dass ein zentrales Thema des Films der Tod eines Kindes ist, ein Kind, das nicht nur einmal, sondern gleich zwei Mal im Verlauf des Romans umgebracht wird. Dessen müsse man sich bewusst sein, erklärt Produzent Mark Vahradian, weswegen sich auch Vergleiche mit der bislang erfolgreichsten King-Adaption „Es“ verbieten: „Dort sind Kinder die Helden, wir töten ein Kind.“
Keine Kompromisse
Und eine Geschichte, in der ein Kind getötet wird, muss kompromisslos sein, da sind sich alle Beteiligten sicher. Es ist schließlich einfach nur „fucked up“, was Louis macht, fasst Jason Clarke ganz gut die berühmt-berüchtigte zweite Hälfte des Buches zusammen. Diese Tat in ihrer Wirkung zu ändern, stand nie zur Debatte – wie auch eine andere Altersfreigabe als ein R-Rating: „Ich hätte bei diesem Film niemals ein ‚Glücklich-bis-ans-Ende-ihrer-Tage‘-Ende akzeptiert“, stellt Produzent di Bonaventura zudem klar und verblüffte damit sogar seine Regisseure: „Wir lieben es, dass das Buch kein Happy-End hat. Wir hätten anfangs aber nie gedacht, dass man uns das tun lässt, aber wir wurden darin sofort unterstützt, denn sie wussten, dass man die Essenz dieses Buches nicht verderben darf.“
Für Widmyer ist es wichtig, bei einer Adaption von „Friedhof der Kuscheltiere keine Kompromisse einzugehen, wissend, dass das Ergebnis dann auch keine leichte Kost ist: „Unser Ansatz ist es, die Leute zum Denken zu bringen. Das wird ein Film, der Teenager erschreckt, aber eben auch ihre Eltern“ und zwar ohne, dass die Geschichte auch nur irgendwie Mainstream-tauglicher gemacht wird. Schließlich ist auch di Bonaventura überzeugt, dass das Publikum gefordert werden muss: „Hier erwartet man doch, dass es am Ende auch für den Zuschauer etwas zu kauen gibt und nicht alles einfach sauber aufgelöst wird!“
Ein kompromissloser, erstklassig besetzter Horrorfilm, der uns als Zuschauer fordert und mit viel Herzblut inszeniert wurde? Da hoffen wir doch sehr, dass diese Worte sich auch später über den finalen Film sagen lassen und sind zudem gespannt, wie die im neuen Trailer bereits enthüllten und angedeuteten Änderungen (dazu mehr in einem separaten Artikel) im Film wirken.
„Friedhof der Kuscheltiere“ läuft ab dem 4. April 2019 in den deutschen Kinos!