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    Vergesst Netflix: Warum ihr heute Abend unbedingt mal wieder ins Kino solltet

    Große Leinwand, dicker Sound... diese bekannten, guten Argumente, ins Kino zu gehen, interessieren mich hier nicht. Ich habe eine ganze Popcorn-Tüte noch bessere Gründe, warum der Kinobesuch jedem Netflix-Abend (inklusive Chillen) überlegen ist.

    SND

    Im Sommer kühl

    „Im Sommer geht man doch nicht ins Kino“, lautete ein verbreiteter Irrtum, der für so manchen Hitzeschlag und Sonnenbrand verantwortlich ist. Denn an heißen Tagen lassen sich Abkühlung und Eskapismus nirgendwo besser vereinen als im klimatisierten Kinosaal. Allen Freunden der Sonne steht außerdem die Möglichkeit offen, den Kino- und Freibadbesuch zu kombinieren – beides bedingt einander ohnehin gegenseitig wie Batman und der Joker, wie die Dunkle und die Helle Seite der Macht, wie Werner Herzog und Klaus Kinski: Sich nach einem Strand-Tag im Kino abzukühlen ist genauso schön wie der Moment, aus dem Foyer nach draußen ins Sonnenlicht zu treten.

    Fox-Fanfare schlägt Netflix-Dümdüm

    Ich werde hier gar nicht erst versuchen, die berühmteste aller Filmstudio-Fanfaren lautmalerisch zu beschreiben. Das muss nämlich gar nicht sein. Stellt euch einfach kurz das gelbe 20th-Century-Fox-Monument mit den gen Himmel strahlenden Scheinwerfern vor, riesig auf die Leinwand projiziert, und schon fängt das pompöse Orchester im Ohr ganz alleine zu spielen an, schon sitzt ihr gedanklich im Kinosessel und werdet eingestimmt auf das folgende wichtigste und größte Abenteuer eures Lebens. Und nun denkt ihr bitte kurz an das rote Netflix-Logo, das bei exklusiven Filmen und Serien kurz nach dem Druck auf Play kommt. Dümdüm.

    Der Geruch von Popcorn

    Nirgendwo so intensiv wie im plakatbeklebten Eingangsbereich des unabhängigen Kino Central am Hackeschen Markt in Berlin, ist der Duft von buttrigem Popcorn auch in anderen Lichtspielhäusern als Teil des Sinneserlebnisses nicht zu unterschätzen. Man kann sich Popcorn auch zu Hause machen – was dort aber nur flüchtig riecht, ist im Kino eine Nase voll Erinnerung: Rein ins Foyer, einmal einatmen, und schon sind sie wieder da, die Gedanken an all die schönen, traurigen, spannenden Geschichten mit Luke, Neo, Forrest und Frodo.

    Romantik statt Netflix & Chill

    Wer im Kino kuschelt, der ist dabei auch über die großen Bilder miteinander verbunden. Wer „Netflix & Chill“ macht, für den sind die kleinen nur ein billiger Vorwand.

    2017 Twentieth Century Fox

    Im Kino gibt's keine Serien

    In Serien wird so großartig erzählt, alle Schauspieler wollen Fernsehen machen, HBO ist das neue Hollywood... BLA BLA BLA. Das Loblied auf Prestige-Produktionen wie „Daredevil“, „Stranger Things“ und „GLOW“ wird seit Jahren gesungen – und auch wenn ich gerne Serien gucke, kann ich es so langsam nicht mehr hören.

    Serien sind nämlich nicht immer episch, mutig in der Themenwahl und komplex im Inhalt, sondern oft genug auch einfach nur billig (Twist um des Twistes willen) und zu lang, weil Netflix auf 13 Folgen besteht, obwohl es nach der Hälfte nichts mehr zu erzählen gibt und werbefinanzierte Fernsehsender, von denen der Streamingdienst auch Stoffe im Programm hat, eben genug Platz für Reklame schaffen wollen. Im Kino dagegen, wo im Gegensatz zum Wohnzimmer nicht die Gefahr besteht, doch eine Serie statt einen Film zu schauen, haben Geschichten etwas, das aus der Mode gekommen ist: ein Ende.

    Niemand kann auf Pause drücken, wenn er pinkeln geht

    Nachdem der Autor dieser Zeilen den Fehler beging, vor einer „Inception“-Kinovorführung Bier zu trinken und dann ausgerechnet in der Szene gegen die eigene Blase kämpfen zu müssen, in der die Regeln des In-Träume-Einbrechens erklärt werden, gibt es vor dem Film nichts mehr zu trinken und der Klogang ist damit kein wahrscheinliches Szenario. Selbst wenn ich aber raus müsste, hätte ich im Kino keine Macht über die Zeit der anderen Zuschauer. „Schatz, drückst du mal auf Pause“ ist hier nicht, das ist ein bedeutender Unterschied zum Netflix-Abend daheim.

    Säle voller Jedi-Ritter und Hong-Sang-Soo-Jünger

    Wegen welchem Netflix-Film, wegen welcher Netflix-Serie ist eigentlich zuletzt eine Gruppe beinharter Fans in Kostüme gestiegen, hat sich mit Vorfreude im Bauch auf den Weg gemacht und um Mitternacht getroffen, obwohl die meisten am nächsten Tag wieder zur Arbeit, in die Uni oder ins Klassenzimmer mussten? Wenn die Werbung endlich vorbei ist, das Lucasfilm-Logo zu glitzern beginnt und bald darauf die „Star Wars“-Fanfare aus den Boxen ballert, dann ist der Jubel in den Sitzreihen, den die versammelten Jedi, Sturmtruppler und Prinzessin Leias bei der Mitternachtspremiere veranstalten, im wahrsten Sinne des Wortes einmalig.

    Festivalbesucher erleben Ähnliches: Wenn die Berlinale-Sitznachbarn im neuen Hong Sang-Soo Szenenapplaus geben und sich im Abspann darauf freuen, dass der südkoreanische Regie-Querkopf gleich persönlich zum Gespräch vor der Leinwand stehen wird, wird das Filmegucken zum Gemeinschaftserlebnis. Und wer das zum ersten Mal erlebt und sich wundert, weil er an popcornschmeißende, labernde Deppen gewöhnt war, die alle drei Sekunden ihre Smartphones anmachen, der überlegt sich nun vielleicht, das Stammkino zu wechseln.

    Filmgucken statt WhatsAppen

    Der junge Amerikaner Rydal (Oscar Isaac) sitzt in einem Athener Restaurant und hat am Nachbartisch gerade einen Mann entdeckt (Viggo Mortensen) – der ihn an seinen eigenen Vater erinnert. Rydal steht auf, will rübergehen und BING. Oh, eine WhatsApp-Nachricht! Also drücke ich beim Film („Die zwei Gesichter des Januars“) auf Pause, lese erstmal, lache über den lustigen Vorfall, den mir eine Freundin geschildert hat und antworte, wobei ich mir Mühe gebe, dass diese Antwort ebenfalls lustig ist.

    Was mit Rydal, dem fremden Mann und dessen Frau (Kirsten Dunst) passiert, ist mir wumpe, ich kann ja weitergucken, wann ich will – und nach diesem System verfahre ich an dem Abend noch ein paar Mal, weil die WhatsApp-Unterhaltung mit der Freundin noch ein ganzes Stück witziger wird und mir zwischendrin außerdem eingefallen ist, dass ich einen Kumpel und Trauzeugen im Facebook-Messenger fragen wollte, ob er ein Hochzeitsgeschenk für einen anderen Kumpel und Bräutigam weiß. Im Kino passiert mir so was nie.

    Hinterher das Gefühl, aus einem schönen Traum aufzuwachen

    Die Augen sind noch auf die Dunkelheit eingestellt, wenn ich die schwere Saaltür aufdrücke und langsam ins Licht trete, raus ins helle Foyer und zurück in meinen Alltag. Es ist wie beim Wachwerden: Mir wird langsam bewusst, wo ich bin, während die Bilder aus dem letzten Traum durch meinen Kopf wabern. Ich war woanders, habe etwas mitgenommen und manchmal, da will ich gleich wieder zurück, weiterträumen.

    2017 Twentieth Century Fox

    Mit Dank an Betty, Julien und Andreas von moviepilot. Lasst uns bald mal zusammen ins Kino gehen.

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