Der südkoreanische Regisseur Hong Sang-soo hat seit Mitte der 1990er mehr als 20 Filme gedreht, die regelmäßig in den Wettbewerben der bedeutendsten Filmfestivals der Welt ihre Premiere feiern. Zudem ist er für viele Cinephile ein wahrer Kinogott – und auch mein persönlicher Lieblingsregisseur. Trotzdem hat es bis 2016 gedauert, dass mit „Right Now, Wrong Then“ (mein Lieblingsfilm des Jahres) zum ersten Mal eines seiner Werke regulär in die deutschen Kinos gekommen ist – wo ihn sich dann aber leider viel zu wenige Zuschauer angesehen haben. Mit „On The Beach Alone At Night“ läuft nach „Nacht und Tag” (2008) und „Nobody's Daughter Haewon“ (2013) nun zum dritten Mal ein Film von Hong im offiziellen Wettbewerb der Berlinale – und ich habe wohl schon im Februar meinen Lieblingsfilm 2017 gefunden: 101 Minuten durchgelächelt, zwischendurch oft laut gelacht, danach ein ganzes Stück weiser und einfach nur glücklich. Aber da Hong ja hierzulande fast keiner kennt, gibt’s jetzt erst mal einen Einführungs-Crashkurs…
Die Hauptfiguren in Hongs Filmen sind meistens Filmemacher (oder Filmstudenten) – allerdings sieht man sie so gut wie nie bei der Arbeit, stattdessen philosophieren sie nur darüber (oft hochtrabenden, selbstentlarvenden Stuss). Oder sie bechern, als ob es kein Morgen mehr gäbe – und wenn in Hongs Filmen Soju (koreanischer Reisschnaps) getrunken wird, dann ist der nicht nur echt, der Regisseur selbst säuft hinter der Kamera fleißig mit seinen Schauspielern mit. Die Szenen für den Tag schreibt Hong immer erst am Morgen des Drehs – kurze Skizzen, der Rest wird dann improvisiert. Obwohl er verhältnismäßig kleine Filme mit niedrigen Budgets dreht, hat er sich mit seinem eigenwilligen Stil inzwischen einen solchen Ruf erarbeitet, dass viele der größten asiatischen Filmstars gerne mit ihm arbeiten – und in „In Another Country“ hat sogar die aktuell oscarnominierte Isabelle Huppert („Elle“) die Hautrolle übernommen.
Neben den Saufszenen gibt es noch etliche weitere Elemente, die in vielen seiner Filme vorkommen, weshalb sich die einzelnen Werke aus Hongs Œuvre noch mehr als bei den allermeisten anderen Regisseuren gegenseitig spiegeln, ergänzen, reflektieren. Und auch innerhalb der Einzelfilme arbeitet Hong viel mit Wiederholungen (von Szenen, Momenten, Figuren) – ein Spiel, das er zuletzt in „Right Now, Wrong Then“ auf die Spitze getrieben hat, denn dort fängt der Film nach der Hälfte der Spielzeit einfach noch mal von vorne an: Hong hat denselben Film einfach zwei Mal gedreht – mit ein paar Wochen Pause zwischen den Dreharbeiten, in denen er die erste Version schon mal fertiggeschnitten und seinen Schauspielern gezeigt hat. Somit ist die zweite Fassung eine direkte Reaktion aller Beteiligten auf die erste – ein faszinierendes Kinoexperiment.
Auch „On The Beach Alone At Night“ ist nun wieder in zwei Hälften geteilt, von denen die erste in Hamburg spielt: Die Schauspielerin Younghee (Kim Minhee aus Park Chan-wooks „Die Taschendiebin“) ist nach einer öffentlich gewordenen Affäre mit einem verheirateten Regisseur erst mal aus Korea abgehauen. Er hat angekündigt, in ein paar Tagen nachzukommen, aber so recht traut sie ihm nicht. Ihre Zeit verbringt sie unterdessen mit ihrer alten Freundin Jeeyoung (Seo Younghwa), die nach einer unglücklichen zehnjährigen Ehe in Seoul nach Deutschland gezogen ist. Gemeinsam schlendern sie durch den Stadtpark, lassen sich von einem Buchverkäufer selbstkomponierte Kinderlieder vorspielen und fahren mit einem Hamburger Ehepaar an den Elbstrand… Im zweiten Teil ist Younghee zurück in Korea – als sie sich einen Film in der Kinemathek ansieht, trifft sie einige alte Bekannte, mit denen sie am Abend was trinkt und dabei die große Frage stellt: „Wie wichtig ist Liebe eigentlich im Leben?“
In beiden Hälften gibt es wieder Motive, die sich ganz offensichtlich spiegeln: So erzählt Jeeyoung beim Plausch an der Würstchenbude, dass Hamburg gerade erst in einer Umfrage zur lebenswertesten Stadt gewählt wurde - und später wird dann beim Soju-Gespräch erwähnt, dass Gangneung (Mit-Austragungsort der Olympischen Winterspiele 2018) die koreanische Stadt #1 sei. Aber die meisten Parallelen sind viel subtiler, zufälliger – Begegnungen aus der Korea-Episode, die auf gewisse Weise an Figuren aus dem Hamburg-Auftakt erinnern, ohne dass man jetzt genau seinen Finger drauflegen könnte. „On The Beach Alone At Night“ ist ein amüsant-vielschichtiges Spiel mit Perspektiven, Variationen, Wiederholungen – und in diesem Fall passt Hongs brüchiger Stil natürlich besonders gut, immerhin gibt es ja auf die Frage nach dem Nutzen der Liebe gar keine klare Antwort.
Wenn sich die Figuren beim Saufen mal wieder um Kopf und Kragen reden (und sich so selbst entlarven, was sie bei Hong aber nie schlecht dastehen lässt, sondern paradoxerweise immer nur noch liebenswürdiger macht), dann ist das oft urkomisch. Zugleich gibt es aber auch einige Passagen, die aus dem aktuellen Hong-Schaffen als ungewöhnlich ernsthaft herausstechen und so eher an sein im Vergleich tragischeres Frühwerk erinnern. Das ist allerdings auch kein Wunder, denn „On The Beach Alone At Night“ ist das bisher am offensichtlichsten persönliche Werk des Regisseurs: Nachdem im Sommer 2016 Gerüchte über eine Affäre zwischen dem verheirateten Hong und seiner Schauspielerin Kim Minhee aufgekommen waren, ist die koreanische Klatschpresse über die beiden hergefallen, was vor allem Kims Karriere schweren Schaden zugefügt hat. Es folgten Dementi, weitere Gerüchte, Geschichten über Scheidungen und Depressionen, und so ganz aufgelöst ist die Situation bis heute nicht (auf jeden Fall wird Kim aber auch im übernächsten Hong-Film die Hautrolle spielen). Und jetzt läuft wenige Monate später auf der Berlinale „On The Beach Alone At Night“, in dem Kim eine Schauspielerin spielt, die eine Affäre mit einem Regisseur hatte - Hong ist nicht nur ein brillanter Filmemacher, er hat auch echt Eier in der Hose, das muss man ihm lassen.
Fazit: War im Kino, bin jetzt glücklich.
Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo „On The Beach Alone At Night“ als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wird.