Mein Konto
    Juror #2
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Juror #2

    Der womöglich letzte Film einer der größten Hollywood-Legenden überhaupt!

    Von Ulf Lepelmeier

    Markiert „Juror #2“ Clint Eastwoods endgültigen Abschied aus dem Filmgeschäft? Aber obwohl das sich mit Moral und Schuld auseinandersetzende Justiz-Drama vielfach als letztes Werk des vierfach oscarprämierten Regisseurs („Erbarmungslos“, „Million Dollar Baby“) beworben wurde, scheint der inzwischen bereits 94 Jahre alte Filmemacher keineswegs kürzertreten zu wollen. Stattdessen wird bereits spekuliert, dass er auf der Suche nach neuen Stoffen für zukünftige Projekte ist. Doch unabhängig davon, ob Clint Eastwood künftig wieder einen Regieposten übernehmen oder vielleicht sogar noch einmal selbst vor die Kamera treten wird, der routiniert inszenierte und mit hervorragenden Schauspielleistungen gespickte „Juror #2“ wäre auf jeden Fall ein würdiger Abschluss seiner beeindruckenden Karriere.

    Der Lifestyle-Autor Justin Kemp (Nicholas Hoult), dessen Frau Allison (Zoey Deutch) im neunten Monat schwanger ist, wird als Geschworener in einem Mordprozess berufen. James Sythe (Gabriel Basso) wird beschuldigt, seine Freundin Kendall (Francesca Eastwood) umgebracht und ihre Leiche in eine Straßenschlucht geworfen zu haben. Der Fall scheint eindeutig, aber der Pflichtverteidiger Erik Resnick (Chris Messina) ist dennoch von der Unschuld seines Mandanten überzeugt. Auf der anderen Seite steht die scharfsinnige Staatsanwältin Faith Killebrew (Toni Collette), die sich gerade um das Amt der Bezirksstaatsanwältin bewirbt und den Fall deshalb so schnell wie möglich erfolgreich abhacken möchte. Doch dann wird Justin bewusst, dass er selbst etwas mit dem Fall zu tun haben könnte. Schließlich hatte er an dem fraglichen Abend selbst einen kleinen Unfall, bei dem er bislang meinte, lediglich ein Reh getroffen zu haben…

    „Juror #2“ steht ganz in der Tradition solcher Gerichts-Klassiker wie „Die 12 Geschworenen“. Warner Bros.
    „Juror #2“ steht ganz in der Tradition solcher Gerichts-Klassiker wie „Die 12 Geschworenen“.

    Die gesellschaftliche Pflicht, als Geschworene*r an einem Prozess teilzunehmen, wird von vielen als überaus lästig empfunden – eine Haltung, die auch die Berufenen in „Juror #2“ auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck bringen. So verfolgt zunächst auch Justin Kemp das Ziel, möglichst schnell zu einer gemeinsamen Meinung zu kommen, um alsbald wieder bei seiner hochschwangeren Frau sein zu können. Doch die Situation nimmt eine perfide (und zugegebenermaßen äußerst unwahrscheinliche) Wendung: Der Protagonist könnte für die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat selbst verantwortlich sein. Damit wird der Prozess für den titelgebenden Geschworenen zu einer höchstpersönlichen Angelegenheit und zu einem moralischen Dilemma.

    Kann und will er, auch im Hinblick auf seine hochschwangere Frau, die Verantwortung für eine potenzielle Fahrerflucht auf sich nehmen, der er sich bislang gar nicht bewusst war? Oder sollte er zumindest alles daransetzen, einen unschuldigen Mann, der wie ein plausibler Täter erscheint, vor einer möglicherweise lebenslangen Gefängnisstrafe zu bewahren? Die Themen Schuld, Moral und die Frage nach den möglichen Grenzen der Gerechtigkeit beschäftigen Regisseur Clint Eastwood schon seit Jahrzehnten. Mit „Juror #2“, der mit einer symbolischen Einblendung der blinden Justitia beginnt, lädt er sein Publikum nun direkt dazu ein, als zusätzliche Geschworene im Gericht und Beratungssaal mit Platz zu nehmen. Da stellt man sich zwangsläufig die Frage, wie man sich wohl selbst an der Stelle des werdenden Familienvaters verhalten würden.

    Großes Schauspielkino

    Wenn man sich auf die etwas arg hingebogene Grundprämisse einlässt, erweist sich „Juror #2“ als außergewöhnliche Variante des Gerichtsfilm-Klassikers „Die zwölf Geschworenen“ von Sydney Lumet. Clint Eastwood präsentiert dabei einmal mehr routiniertes Erzählkino zum Mitdenken: Schritt für Schritt offenbart er mehr über seine Figuren, die alle ambivalenter sind, als es zunächst der Anschein hat. Auch der von Nicholas Hoult („Nosferatu“) einfühlsam verkörperte Justin Kemp, der zu Beginn fast zu sehr wie der perfekte werdende Vater erscheint, bekommt beim Austragen seines inneren Kampfes um die richtige Vorgehensweise im Prozessverlauf ungeahnte Facetten verliehen. Eastwood gibt seinen Figuren Zeit, lässt sich auf ihre Beweggründe ein und liefert einen im besten Sinne altmodischen Film ab, der sich nicht um Schauwerte oder sensationslüsterne Offenbarungen schert, dafür aber seine Charaktere in den Mittelpunkt stellt. Mit dieser Konzentration auf das Wesentliche gelingt Eastwood ein Drama, das die Funktionsweise des US-Justizsystems hinterfragt und die Verantwortung des Einzelnen in der Gesellschaft verdeutlicht.

    Kameramann Yves Bélanger („Der große Trip – Wild“) setzt immer wieder Justins Gesicht in Nahaufnahme in Szene, während Nicholas Hoult die innere Zerrissenheit des Protagonisten mit nervösen Blicken zum Ausdruck bringt. Er vermittelt eindrucksvoll, wie es dem Geschworenen zunehmend schwerer fällt, seine Emotionen unter Kontrolle zu halten. Hoult liefert eine gelungene Darstellung eines Mannes, der sich ständig bewusst ist, dass seine gesamte Zukunft auf dem Spiel steht, wenn er das vermeintlich Richtige tut und sein Geheimnis offenbart. Besonders eindrucksvoll ist zudem die Leistung von Toni Collette („Hereditary“). Als ambitionierte Staatsanwältin Faith Killebrew, die mitten im heißen Wahlkampf um das Amt der Bezirksstaatsanwältin steckt, sieht sie in der Verurteilung von James Sythe ihren Schlüssel zum beruflichen Aufstieg.

    Nicholas Hoult und Toni Collette saßen schon vor 22 Jahren in einer berühmten Szene aus „About A Boy“ gemeinsam auf einer Bank. Warner Bros.
    Nicholas Hoult und Toni Collette saßen schon vor 22 Jahren in einer berühmten Szene aus „About A Boy“ gemeinsam auf einer Bank.

    Doch je länger sich der Prozess hinzieht, desto mehr beginnt auch die Staatsanwältin zu zweifeln, ob die Strafverfolgung wirklich den richtigen Mann ins Visier genommen hat. Collette gelingt es meisterhaft, diese Unsicherheit und die zunehmend an ihr nagenden moralischen Zweifel darzustellen, während sie in ihrem ethischen Kompass erschüttert wird. Collette stand bereits vor 22 Jahren in „About A Boy“ gemeinsam mit Hoult vor der Kamera, als ihr Co-Star noch ein kleiner Junge war. In „Juror #2“ erweisen sich ihre wenigen gemeinsamen Szenen – sei es ein beiläufiger Schlagabtausch während der Jury-Auswahl oder ein zentraler Dialog auf einer Parkbank – ebenfalls wieder als besondere Momente. Auch Chris Messina („Argo“) als entschlossener Pflichtverteidiger und J.K. Simmons („Red One“) als Geschworener, der eigene Nachforschungen anstellt, können im durch die Bank hochkarätigen Cast ebenfalls noch eigene Akzente setzen.

    Fazit: „Juror #2“ ist trotz der etwas konstruiert wirkenden Prämisse Clint Eastwoods Rückkehr zu alter Form: Dem 94-Jährigen gelingt ein routiniertes Justiz-Drama um Moral und Verantwortung, das seinen Figuren Ambivalenzen und Brüche zugesteht und Tony Collette als scharfsinnige Staatsanwältin auftrumpfen lässt.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top