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    Netflix-Macher packen aus: So entscheiden sie über die Absetzung einer Serie

    Warum werden manche Serie bei Netflix abgesetzt und andere fortgeführt? Und wie entscheidet der Streaming-Gigant überhaupt, welche Filme, Shows & Co. ins Portfolio aufgenommen werden? Hier findet ihr die Antworten.

    Netflix

    Wie entscheidet Netflix eigentlich, welche Serien, Filme und Sendungen der Streaming-Anbieter in sein Portfolio aufnimmt? Und für Fans vielleicht noch wichtiger: Wie entscheiden die Macher, welche Filme fortgesetzt und welche Serien abgesetzt werden? Die Kollegen von Vulture waren mehrmals im Netflix-Hauptquartier in Hollywood zu Gast, durften Konferenzen und Meetings beiwohnen und sprachen mit Ted Sarandos, Chief Content Officer bei Netflix, und anderen hochrangigen Mitarbeitern. Ihre Erkenntnisse haben sie in einer ausführlichen Reportage zusammentragen. Wir geben euch einen Überblick.

    Kritiken spielen keine große Rolle

    Eine interessante Erkenntnis gleich zu Beginn: Netflix legt keinen besonderen Wert auf gute Kritiken oder die damit zumeist einhergehenden Auszeichnungen – Emmys, Golden Globes und Oscars. Deswegen wurde etwa die beim Publikum sehr beliebte, aber von der US-Kritik nur mittelmäßig bewertete Serie „Lost In Space“ (68 Prozent positive Kritiken auf Rotten Tomatoes, Metascore von 58 bei 27 Kritiken) um eine zweite Staffel verlängert. „Lady Dynamite“ hingegen hat für die beiden ersten Staffel überragende Kritiken eingefahren (94 Prozent bzw. 100 Prozent auf Rotten Tomatoes, Metascore von je 85), wurde aber trotzdem nicht verlängert.

    Damit unterscheidet sich Netflix grundlegend von amerikanischen Fernsehsendern und Pay-TV-Kanälen wie AMC, FX oder HBO, die traditionell sehr großen Wert auf Awards legen – denn dadurch gewinnen sowohl die ausgezeichneten Serien als auch der dazugehörige Sender an Prestige – und damit hoffentlich auch an Zuschauern. Für Netflix sind hingegen andere Kriterien entscheidend.

    "70% Bauchgefühl, 30% Daten"

    Auch die Userdaten spielen bei Netflix eine wesentlich geringere Rolle, als man denken könnte. Schließlich ist der Streaming-Gigant in einer ziemlich vorteilhaften Position: Die mehr als 125 Millionen Kunden hinterlassen täglich Datenspuren und theoretisch könnte man einfach nur schauen, was den Zuschauern weltweit am Besten gefällt und dann einfach immer mehr davon produzieren. Doch so einfach ist das nicht: „Die Daten verraten einem nur, was in der Vergangenheit passiert ist, nicht was in der Zukunft passieren wird“, fasst Ted Sarandos die Lage zusammen.

    Im Endeffekt verlasse man sich bei der Entscheidung, welche Formate produziert, fortgesetzt oder eben auch abgesetzt werden zu 70 Prozent auf das Bauchgefühl und nur zu 30 Prozent auf die Daten. Die Daten würden vielmehr dazu dienen, die Intuition der Macher zu unterstützen – egal ob diese Erfolg oder Misserfolg versprechen. Gleichzeitig versuchen die Entscheider bei Netflix aber auch, sich von ihrer Erfahrung und nicht von ihrem eigenen Geschmack leiten zu lassen. „Wir versuchen, das Programm nicht für uns zu gestalten“, so Sarandos. „Das ist der Schlüssel. Wir mussten schon Serien absetzen, die ich wirklich mochte.“

    So werden die Userdaten eingesetzt

    Natürlich sind die Userdaten aber trotzdem wichtig. Doch wie genau verwendet Netflix diese Daten? Der Streaming-Anbieter verfolgt die angeschauten Filme und Serien seiner Kunden natürlich ganz genau. Anhand der individuellen Watchlisten lässt sich jeder User in knapp 2.000 verschiedene Mikrocluster einordnen, sogenannte „taste communities“ (also in etwa Geschmacksgemeinschaften).

    Diese Gemeinschaften sind natürlich ungleich breiter gefächert und flexibler als die Zielgruppen, auf die sich die klassischen TV-Sender traditionell verlassen. Bei diesen wird das Publikum normalerweise in Kategorien wie Alter, Geschlecht und Rasse aufgeteilt. Eine Serie ist dann auf eine bestimmte Zielgruppe zugeschnitten und je nachdem, wie viele Prozent dieser Zielgruppe eine Sendung anschauen, desto erfolgreicher ist sie und desto mehr Geld kann man für Werbung verlangen.

    Nicht jeder Nutzer ist gleich viel wert: So könnt ihr dafür sorgen, dass Netflix eure Lieblingsserie(n) nicht absetzt

    Auch Netflix orientierte sich anfangs, als die Firma noch DVDs versandte, an diesen Merkmalen, doch schon bald stellte man fest: Anhand der bisher angesehenen Filme eines Kunden kann man viel besser voraussagen, welche Titel diesen sonst noch interessieren könnten. „In unserer modernen Welt heutzutage ist es viel aussagekräftiger, wenn du irgendwas anfängst zu schauen, als wenn wir wissen, dass du eine 31-jährige Frau, ein 72-jähriger Mann oder ein 19-jähriger Teenager bist“, fasst es Todd Yellin, Vizepräsident der Produktabteilung, zusammen.

    Und im Gegensatz zu den klassischen Zielgruppen verwendet Netflix seine Mikrocluster nicht dazu, den darin enthaltenen Kunden maßgeschneiderte Werbung vorzusetzen, sondern vor allem dazu, ihnen treffende Empfehlungen zu präsentieren und die Kunden somit zum Weiterschauen zu animieren.

    Kosteneffektivität und Publikum

    Wenn also weder Kritiken und Auszeichnungen noch die Userdaten das entscheidende Kriterium bei Netflix sind, was dann? Eine nicht zu verachtende Rolle spielt auch die Kosteneffektivität: Es gibt bei Netflix grundsätzlich kein Thema, das zu klein ist oder das grundsätzlich ausgeschlossen wird, weil es nur eine überschaubare Zielgruppe dafür gibt. Solange sich das Format günstig genug produzieren lässt und eine angemessen große Zuschauerschaft findet bzw. solange sich diese beiden Faktoren die Waage halten, ist man im Zweifelsfall trotzdem dabei.

    Und apropos Zuschauerschaft: Ein anderes Argument für die Verlängerung einer Serie, das nichts mit nackten Fakten und reinen Zahlen zu tun hat, findet sich in der Art des Publikums. Wenn eine Serie zahlreiche Mikrocluster anspricht, international erfolgreich ist oder ein Thema behandelt, dass auf Netflix sonst nicht oder nur kaum zu finden ist, kann auch das dafür sorgen, dass die Serie produziert oder eine weitere Staffel in Auftrag gegeben wird.

    Das ist etwa bei „One Day At A Time“ der Fall. Bisher scheint die Sitcom nicht ganz der erwünschte Erfolg für Netflix zu sein und wäre damit eigentlich ein Kandidat für eine Absetzung. Doch stattdessen wurde „One Day“ verlängert, weil es Usergruppen gibt, die sich stark für die Serie begeistern, Latinos, Frauen, LGBTI – und weil die Serie „eine andere Geschichte erzählt, als sonst irgendwo bei Netflix“, so Sarandos. Dass etwa Latinos gerne „One Day“ schauen, weiß Netflix übrigens nicht dank seiner Mikrocluster – denn dann wäre man ja wieder bei den klassischen Zielgruppen. Stattdessen macht der Streaming-Anbieter Rückschlüsse etwa aus den Sozialen Medien.

    Entscheidend ist die Überlebensrate

    Das allerwichtigste Kriterium, das über Absetzung oder Fortführung entscheidet, ist jedoch ein anderes: Wie wir bereits in unserer Nachricht über die Gründe für die Absetzung von „Everything Sucks!“ ausgeführt haben, ist natürlich durchaus wichtig, wie viele Kunden eine Serie überhaupt schauen. Noch viel wichtiger ist aber, wie viele Kunden eine Serie auch zu Ende schauen. Wenn also ein Zuschauer eine Episode nach der Hälfte abbricht und nie wieder weiterschaut oder mitten in einer Staffel das Interesse an einer Serie verliert, dann schrillen bei Netflix die Alarmglocken. Dieses Prinzip nennt Sarandos „survivorship“, also in etwa Überlebensrate.

    Gleichzeitig ist das Tempo, in dem die Zuschauer eine Serie schauen, aber nur bedingt entscheidend. Wenn ein Kunde eine ganze Staffel (oder gar eine ganze Serie) gleich am ersten Wochenende nach Erscheinen schaut, dann hat das für den Streaming-Anbieter keine besondere Bedeutung. Binge-Watching ist also kein großer Faktor, einfach weil das nur ein verschwindend geringer Anteil der Kunden tatsächlich tut. Viel wichtiger ist hingegen, wie viele Zuschauer eine neu auf Netflix bereit gestellte Staffel innerhalb von vier Wochen nach Erscheinen komplett durchschauen – was wohl der Normalwert sein dürfte und daher für Netflix viel aussagekräftiger ist.

    Und ebenso wichtig ist, welche Sendung sich neu angemeldete Kunden als erstes anschauen, wie Sarandos verrät. Denn so weiß man bei Netflix, welches Format die Leute dazu bringt, sich bei dem Streaming-Anbieter anzumelden.

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