Interviews mit Filmschaffenden dauern oft nur 15 bis 20 Minuten, erst recht auf einem so stressigen Filmfestival wie der Berlinale. Aber Steven Soderbergh ist das zu kurz: Der Regisseur, Kameramann, Cutter und Produzent, der für „Traffic“ den Oscar als Bester Regisseur gewann, gibt grundsätzlich keine Interviews unter 45 Minuten. Und als jemand, der beständig zwischen den Berufen wechselt, der Filme und Serien dreht, Hollywood von innen wie von außen kennt, hat er auch genug zu erzählen – zumal sich der 55-Jährige mit seinem neuen, komplett auf dem iPhone gedrehten Stalking-Thriller „Unsane - Ausgeliefert“, in dem „The Crown“-Star Claire Foy gegen ihren Willen in einer psychiatrischen Klinik festgehalten wird, mal wieder als Filmemacher erweist, der einfach Bock auf Neues hat.
FILMSTARTS: Ist „Unsane“ eine Aufforderung an uns alle, rauszugehen und Filme mit unseren Telefonen zu drehen?
Steven Soderbergh: Nun, nichts hält euch davon ab. Aber das heißt nicht, dass die Filme automatisch gut werden. Es ist kein Ersatz für Talent und kein Ersatz für den Einsatz, der immer nötig ist, um gut in irgendwas zu werden. Es ist kein Ersatz für eine Sichtweise oder einen Zugang. Das iPhone ist nur ein Werkzeug. Für mich hat es sich bis zu dem Punkt entwickelt, an dem ich gedacht habe: Ich kann nun herausfinden, ob ich es für einen Film benutzen kann – auf eine Art, von der nicht nur meine Arbeit an sich profitieren würde, sondern ein ganz konkretes Projekt. Ich wollte sichergehen, dass der Film dadurch besser wird. Als ich mir den fertigen Film dann ansah, wusste ich: Wenn ich „Unsane“ so gedreht hätte wie „Logan Lucky“ oder die Serie „Mosaic“, dann wäre ein anderer Film dabei herausgekommen – und zwar ein schlechterer.
FILMSTARTS: Was kam zuerst? Die konkrete Geschichte oder die Idee, auf dem iPhone zu drehen?
Steven Soderbergh: Es war ein bisschen was von beidem da. Ich wusste, dass es unvermeidlich ist, dass ich irgendwann mal einen Film auf diese Art machen würde. Ich wusste nur nicht, welcher Film es sein würde. Ich war nicht in Eile, aber ich konnte es kommen fühlen. Als das Skript fertig war, wusste ich: Das ist das perfekte Projekt, um die iPhone-Kamera mal so richtig zu testen und zu prüfen, ob sie das schaffen kann. Das war der spaßige Teil.
Unsane - AusgeliefertFILMSTARTS: Wenn ich mir mein Smartphone schnappen und damit einen Film drehen will, worauf muss ich dann vor allem achten?
Steven Soderbergh: Was die Technik angeht, gibt es bei Digitalkameras einen riesigen Unterschied zum Drehen auf Zelluloid. Wenn du klassisches Filmmaterial verwendest, musst du bei dunklen Aufnahmen aufpassen. Machst du das nicht und du musst das Bild später aufhellen, ist alles im Arsch. Beim digitalen Film ist es das genaue Gegenteil: Hier musst du dich bei Aufnahmen vor allem vor Hellem in Acht nehmen. Im Hellen gehen Details verloren und wenn du nicht korrekt belichtest, dann war es das.
FILMSTARTS: Auffällig an „Unsane“ ist die visuelle Sprache: iPhone-typisch ist stets das ganze Bild im Fokus…
Steven Soderbergh: Diese technisch bedingte Besonderheit habe ich bewusst genutzt. Ich musste also entsprechend inszenieren – und auf alles Subtile verzichten. Das fühlte sich befreiend an. Ich dachte eh, dass alles Subtile dem Film nicht helfen würde. Ich war daher mit der Linse näher an den Schauspielern dran als bei jedem anderen meiner Filme. Was die Zukunft angeht... ich werde nächste Woche ein neues Projekt mit fast demselben Ansatz beginnen, nur mit anderen Linsen, mit denen ich Objekte auch weniger fokussiert darstellen kann.
FILMSTARTS: Gibt es etwas, das deine Arbeit am Set besonders macht?
Steven Soderbergh: Manchmal kann es auch sehr wichtig sein, etwas nicht zu machen. Beim Dreh geht es darum, alle Optionen herauszufiltern, die nicht optimal sind. Ihr wärt überrascht, wie wenig ich dabei am Set rede. Ich versuche, darauf zu hören, was der Film will. Und wenn du redest, kannst du das nicht. Neulich erzählte mir ein junger Mann, der Komparse bei „Mosaic“ war, dass er kaum glauben konnte, wie wenig ich geredet habe. Dabei führe ich im Kopf ständig drei Gespräche mit mir selbst: als Regisseur, Kameramann und als derjenige, der die Kamera tatsächlich bedient. Wenn ich dann auch noch meinen Mund aufmachen würde, würde mich das viel zu sehr ablenken. Zum Glück arbeite ich immer wieder mit denselben Kollegen. Die wissen, was ich will, ohne dass ich es sagen muss.
Ich hasse das Schreiben!
FILMSTARTS: Du machst ja an deinen Filmen fast alles selbst, aber du hast aufgehört, selbst die Drehbücher zu verfassen. Vermisst du das Schreiben?
Steven Soderbergh: Ich hasse das Schreiben! Mir hat es nie Spaß gemacht und ich war nicht gut darin. Nein, ich vermisse es überhaupt nicht. Meine Karriere hat eine neue Richtung eingeschlagen, als ich mit dem Schreiben aufgehört habe – mir wurde plötzlich klar, dass ich geschrieben hatte, aber kein Autor war. Alles wurde besser, als ich anfing, mit richtigen Autoren zu arbeiten: mein Schaffensprozess und die Filme.
FILMSTARTS: In „Unsane“ weist sich die von Claire Foy gespielte Sawyer selbst in die Psychiatrie ein, ohne es zu merken, und wird dann dort völlig legal gegen ihren Willen festgehalten. Wie seid ihr auf diese Geschichte gekommen?
Steven Soderbergh: Drehbuchautor James Greer erzählte mir, dass er einen Artikel über Versicherungsunternehmen gelesen hatte, die ein Interesse daran haben, Menschen so lange in den Einrichtungen zu lassen, bis es sich finanziell lohnt. Er erzählte außerdem, wie er mit einem Arzt gesprochen und nur das S-Wort [Anm.d.Red.: er meint Selbstmord] gesagt hatte, woraufhin der Doktor sofort festzustellen versuchte, ob James es ernst meinte. Denn wenn es ihm ernst gewesen wäre, wäre der Arzt verpflichtet gewesen, einem bestimmten Protokoll zu folgen, um nicht in die Haftung für einen potentiellen Selbstmord zu geraten.
FILMSTARTS: In „Unsane“ geht es auch ums Gesundheitssystem. Wie krank ist Amerika gerade?
Steven Soderbergh: Das ist ein bisschen eine Fangfrage, so wie „Schlägst du deine Frau immer noch?“. Denn wenn ich sie beantworte, sage ich automatisch, dass das Land krank ist. Ich sehe die gegenwärtige Situation aber als Zeit unglaublicher Möglichkeiten. Ich will nicht in diesen 5-Minuten-Newskreislauf gezogen werden, ich will die Dinge aus einer größeren Perspektive betrachten und herausfinden, was ein wirklicher Trend ist, ein wirklicher Wechsel.
Und aus dieser Perspektive betrachtet lautet die gute Nachricht: Es gibt heute bei jedem Thema ein Level von Beteiligung, das so groß ist wie nie. Ich glaube, das ist eine gute Sache. Es ist zum Beispiel gut, zu wissen, wer die Leute sind, die dazu beitragen, dass es Rassismus im Land gibt. Du kennst ihre Namen, du kennst ihre Gesichter. Einerseits kannst du sagen: Ich kann kaum glauben, was Leute für Sachen aussprechen. Und ich denke mir: Nun wissen wir es immerhin und können anfangen, etwas dagegen zu tun.
Ich wollte meinen eigenen Namen auslöschen
FILMSTARTS: Als Regisseur, der sich im Laufe seiner Karriere oft neu erfunden hat, spürst du da mittlerweile einen gewissen Erwartungsdruck seitens des Publikums?
Steven Soderbergh: Nein, ich denke immer nur an das Projekt direkt vor mir. Ich frage mich also nicht, was das für andere Leute bedeutet. Aber apropos „Erwartungen“: Bei „Unsane“ habe ich versucht, die Director's Guild davon zu überzeugen, dass ich einen anderen Namen als Regisseur verwenden darf. Ich wollte den Film von meinem Namen befreien. Ich verstehe, warum es Regeln dagegen gibt. Die sollen zum Beispiel verhindern, dass sich jemand einen total unangebrachten Namen gibt, nur weil er es kann. Aber in meinem Fall war es die ernsthafte Absicht, meinen eigenen Namen auszulöschen. Ich frage mich, was passiert wäre, wenn derselbe Film von einem 23-jährigen holländischen Filmemacher gedreht worden wäre. Was würden Leute dann darüber sagen – genau dasselbe, wie wenn mein Name im Abspann steht? Wahrscheinlich nicht. Auf der anderen Seite genieße ich dank meiner 29-jährigen Karriere aber auch eine bestimmte Anerkennung und bekomme den Raum, den andere nicht kriegen. Ich glaube, das habe ich mir verdient, weil ich hart gearbeitet habe. Mein Ruf führt dazu, dass ich ernstgenommen werde, wenn ich die Idee zu einem neuen Film vorstelle.
FILMSTARTS: Mit „Logan Lucky“ hast du einen neuen Ansatz ausprobiert, was das Marketing angeht. Der Film wurde ohne die großen Verleiher beworben, ihr habt bei der wichtigen TV-Werbung gespart und euch aufs Publikum im Süden konzentriert statt auf das in Los Angeles und New York. Was steckt hinter dem Ansatz und hat er funktioniert?
Steven Soderbergh: Die Erklärung ist wirklich einfach: Ich wollte mehr Kontrolle, eine transparentere, einfachere ökonomische Struktur. Es hat funktioniert, aber nicht so gut, wie ich gehofft hatte, weil nicht so viele Leute ins Kino kamen, wie ich erwartet hatte. Ich bin immer noch dabei, die Daten zu analysieren. Es war egal, wie viel der Film einspielen würde – sobald wir ein Ticket verkauft hatten, machten wir Profit. Das meinte ich mit ökonomischer Struktur. Frustrierend war aber: Das Publikum, das wir mit unserer Werbung anvisiert hatten, Kinozuschauer im Süden der USA und im Mittleren Westen, kam einfach nicht. Warum nicht, ist schwer herauszufinden. Du kannst keine Umfrage machen, in der du die Leute fragst: Warum seid ihr nicht in den Film gegangen?
Die Leute entdecken den Film nun immerhin auf DVD und VOD. Aber ich weiß einfach nicht genau, warum dieses Publikum, das nicht oft direkt ins Visier genommen und im Mainstream-Film mit Filmstars nicht regelmäßig repräsentiert ist, wegblieb. Ich weiß nicht, ob diese Zuschauer, ohne den Film gesehen zu haben, dachten: Mich interessiert es nicht, wenn Hollywoodschauspieler diese Figuren spielen. Ich kann schließlich nicht erwarten, dass dieses Publikum weiß, dass ich nicht wirklich jemand aus Hollywood bin. Ich weiß nicht, ob Fans von Channing Tatum, oder Adam Driver oder Daniel Craig gedacht haben: Ich mag diese Schauspieler, wenn sie toll aussehen – aber nicht, wenn sie so aussehen wie hier. Es ist in jedem Fall einer meiner Filme mit den besten Kritiken. Die Mund-zu-Mund-Propaganda schien gut zu sein. Ich weiß einfach nicht, warum die Zuschauer, die den Film am meisten geschätzt hätten, keine Tickets gekauft haben. In genug Kinos war „Logan Lucky“ jedenfalls zu sehen.
FILMSTARTS: Warum hast du das kommende „Ocean's“-Spin-off „Ocean's 8“ eigentlich nicht selbst inszeniert?
Steven Soderbergh: Es war schlicht nicht meine Idee. Es war die Idee von Gary Ross. Ohne ihn würde der Film nicht existieren. Das Studio hatte nicht vor, einen anderen „Ocean's“-Film zu drehen. Garys Idee ist wirklich gut. Der Film macht Spaß und ist smart. Ich glaube, das Publikum wird ihn mögen.
FILMSTARTS: Was hältst du davon, wenn ursprünglich männlich dominierte Filme wie „Ghostbusters“ oder „Ocean's Eleven“ mit Frauen in den Hauptrollen neu aufgelegt werden?
Steven Soderbergh: Das Reboot von „Ghostbusters“ habe ich nicht gesehen. Also kann ich nicht sagen, ob das eine gelungene Unternehmung war oder nicht. Was „Ocean's“ angeht, fand ich gut, dass die Idee von meinem Freund Gary Ross kam, also einen kreativen Ursprung hatte. Bei „Ghostbusters“ war meine Wahrnehmung, dass eine Unternehmensentscheidung der Ursprung war.
FILMSTARTS: Hast du Angst, dass Leute irgendwann aufhören, ins Kino zu gehen und nur noch zuhause gucken?
Steven Soderbergh: Nein, habe ich nicht. Ich glaube immer noch, dass die Kinoerfahrung einzigartig genug ist, dass dafür Leute ihr Haus verlassen. Es ist immer noch der beliebteste Ort für Dates. Der Schlüssel ist, ob wir die aktuelle Technologie zu unserem Vorteil nutzen können, um die Kinoerfahrung nicht nur zu verbessern, sondern auch vielfältiger zu machen. Die Möglichkeit, einen Film einfach nur auf einen Server zu packen, damit ein Kino ihn runterladen kann, heißt: Das Potential ist da, der aktuellen Zuschauergeneration Filme zu zeigen, die sie noch nie im Kino gesehen hat. Viele Leute da draußen, die sich fürs Kino interessieren, haben „Der Pate“ noch nie auf der großen Leinwand geschaut. Wenn ich ein Kino hätte, würde ich jedes Wochenende einen dieser Filme zeigen, den du noch nie in groß gesehen hast.
Was anderes: Wir leben in einer merkwürdigen Zeit. Für Filme eines bestimmten Zeitfensters gibt es keine DCPs (Digital Cinema Package), zum Beispiel von meinem „Solaris“-Remake von 2002. Wenn du den für dein Kino haben willst, musst du mich entweder nach meiner persönlichen Kopie fragen oder eine 1080p-Blu-ray zeigen. Es gibt diese ganzen Filme aus den späten Neunzigern bis Mitte der 2000er, die einfach nicht als Kinoversionen existieren. Fox versucht das zu ändern, sie remastern z.B. „Solaris“ gerade als 4K-HDR-Version.
Das Problem heute ist aber nicht nur die Verfügbarkeit. Als ich ein Kind war, gab es noch einen riesigen Qualitätsunterschied zwischen dem Fernsehen und dem Kino. Der wird aber sehr schnell immer kleiner. Ich persönlich habe einen 65-Zoll-Sony-4K-HDR-Fernseher. Was ich an 4K-Material schaue, sieht großartig aus. Es gibt inzwischen mehr Leute mit 4K-Fernsehern als Kinos, die 4K-Filme abspielen können. Andererseits glaube ich: Es ist wirklich schwer, zuhause umgehauen zu werden. Das Gefühl, dass dir der Kopf in zwei Hälften zerteilt wird, auf die gute Art, bekommst du nur im Kino.
“Magic Mike 3“
FILMSTARTS: Gibt‘s irgendwas Neues zu „Magic Mike 3“?
Steven Soderbergh: Oh, ich glaube nicht, dass es einen „Magic Mike 3“ geben wird, in den ich involviert sein werde.
FILMSTARTS: Nicht mal als Kameramann wie bei „Magic Mike XXL“?
Steven Soderbergh: Nein. Zunächst mal ist die Cabaret-Show, die Channing entwickelt hat und die jetzt in Las Vegas gezeigt wird, großartig. Das hat Leute wirklich überrascht. Channing hat mit einem Regisseur und Choreografen hart daran gearbeitet und diese absolut coole Show entwickelt. Das ist keine Strip-Show. Wir haben Anfragen, sie in London und Sydney zu zeigen. Außerdem entwickeln wir ein Broadway-Musical. „Magic Mike“ gibt's nun also an anderen Orten und das ist gut so. Ich mochte „Magic Mike XXL“ wirklich und glaube, es ist ein großartiger Film und eine tolle Ergänzung zum ersten. Damit sind wir nun durch, also wollen wir was anderes probieren. Das Broadway-Musical ist mehr eine Origin-Story darüber, wie Mike in die ganze Sache reingeraten ist, es geht um ihn als junges Kind. Die Show ist wirklich clever.
FILMSTARTS: Vor fünf Jahren sagtest du, dass du in Rente gehen wirst. Wirst du so was noch mal sagen?
Steven Soderbergh: Das weiß ich nicht. Damals war es eine Reaktion auf Umstände, die sich über mehrere Jahre entwickelt hatten. Und ich meinte es ernst. Ich hatte keine Projekte in der Entwicklung, nichts vor mir. Ich wollte malen... und dann ist die Serie „The Knick“ passiert. Dabei habe ich dann gemerkt, dass mich das Filmgeschäft frustriert hat und nicht das Regieführen selbst. Außerdem glaube ich nicht, dass irgendjemand da draußen auf meine selbstgemalten Bilder wartet.
Steven Soderberghs Psychiatrie-Thriller „Unsane - Ausgeliefert“ mit Claire Foy läuft seit dem 29. März 2018 im Kino.