Mangelnde Ambition kann man den Machern von „Babylon Berlin“ wahrlich nicht vorwerfen: Der Bezahlsender Sky Deutschland und die öffentlich-rechtliche ARD haben für das Mammutprojekt die Kräfte gebündelt und so ist die auf 16 Folgen à 45 Minuten angelegte Reihe mit einem Budget von fast 40 Millionen Euro die bisher teuerste deutsche Serie überhaupt. Um es vorwegzunehmen: Das Budget ist „Babylon Berlin“ im besten Sinne anzusehen und auch sonst werden die ersten vier Folgen (fast) allen Erwartungen gerecht.
Das Team hinter „Babylon Berlin“
Damit sich die Investitionen auch tatsächlich in qualitativ hochwertiger Unterhaltung niederschlagen, wurde für die kreative Gestaltung der Serie ein Triumvirat aus absoluten Fachleuten verpflichtet: Neben Hendrik Handloegten („Liegen lernen“) als Showrunner wurden auch Achim von Borries („Was nützt die Liebe in Gedanken“) und Star-Regisseur Tom Tykwer („Lola rennt“, „Cloud Atlas“) engagiert. Anders als bei amerikanischen Vorbildern wie „Breaking Bad“ oder „Boardwalk Empire“ wechseln sich die drei Filmemacher nicht folgenweise als Regisseure ab, sondern inszenieren die gesamte Serie gemeinsam. Und das ist schon den ersten Folgen anzusehen, nicht zuletzt durch den Regie-Dreier bleibt die Serie optisch abwechslungsreich und wirkt erzählerisch dennoch wie aus einem Guss.
Die Handlung
„Babylon Berlin“ basiert auf „Der nasse Fisch“, dem ersten Band aus dem Gereon-Rath-Zyklus, einer Reihe von historischen Kriminalromanen des Schriftstellers Volker Kutscher. Die Handlung ist zur Zeit der Weimarer Republik angesiedelt und beginnt im April 1929 in Berlin.
Polizist Gereon Rath (Volker Bruch) arbeitet neuerdings bei der Berliner Sittenpolizei. Der durch seine Erfahrungen im Ersten Weltkrieg traumatisierte Ermittler wurde erst vor kurzem von seiner Heimat Köln in die Hauptstadt versetzt, wo er sich nicht nur mit dem gottlosen Gesindel auf den Straßen, sondern auch mit der zunehmenden Korruption in den eigenen Reihen herumschlagen muss. Als er mit seinem Kollegen Bruno (Peter Kurth) einen Pornoring hochgehen lässt, fällt ihm ein verdächtiges Foto in die Hände, das ihn auf die Spur einer größeren Verschwörung führt. Unter Einspruch seiner Kollegen beginnt er, auf eigene Faust zu ermitteln. Unterstützung erhält er dabei von der blitzgescheiten Hobbyermittlerin Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries), die als Stenotypistin in der Mordkommission arbeitet. Doch wie jeder in der Stadt der Sünde, hegt auch sie ein gefährliches Geheimnis...
Große Stadt, großes Ensemble
„Babylon Berlin“ hält dem hohen Erwartungsdruck zwar stand, allerdings muss man der Serie etwas Zeit einräumen, bis sie wirklich „klickt“. Die Handlung kommt zumindest in den ersten beiden Folgen noch nicht so wirklich in Fahrt und auch die sehr zahlreichen Figuren werden einem noch nicht allzu nahegebracht. Aber sie werden sorgfältig eingeführt, was sich dann im weiteren Verlauf der Serie bezahlt macht. Am Anfang fehlt allerdings noch ein wenig der klare rote Faden und es ist zunächst nicht ganz leicht, den Überblick zu behalten.
Ab Episode 3 wird das Treiben in den faszinierenden Kulissen dann zunehmend mit Spannung und Leben erfüllt. Der Protagonist Gereon Rath, dessen Motivation zuvor noch unklar blieb, bekommt nun deutlichere Konturen, seine Briefe in die Heimat, die an Dale Coopers Sprachnachrichten in „Twin Peaks“ erinnern, gewähren einen Einblick in seine Gefühlswelt. Und auch viele weitere Figuren werden langsam zu dreidimensionalen Personen, insbesondere auf der Polizeiwache tummeln sich ein paar echte Charakterköpfe. Darunter Gereons zwielichtiger Partner Bruno und der junge Sympathieträger Jänicke (Anton von Lucke), der unglücklich in Charlotte verliebt ist. Eine besondere Erwähnung verdienen auch Fritzi Haberland („Liegen lernen“, „Der Tatortreiniger“) als Gereons Vermieterin Elisabeth und Karl Markovics („Grand Budapest Hotel“) als sein österreichischer Nachbar Katelbach.
Die goldenen 20er
Der heimliche Protagonist der Serie ist von der allerersten Szene an präsent: der Sündenpfuhl Berlin in den 20er Jahren. Das Setdesign und die Kostüme sind fantastisch, dazu kommen stimmige Musik und hervorragende Schauspieler. Hier wird mit großem Aufwand eine Epoche rekonstruiert und eine Erzählwelt konstruiert. Die Detektivgeschichte wird fest in einem historisch-realistischen Setting verankert, wirkt aber gleichzeitig ausgesprochen modern. Die dort präsentierte „Spaßgesellschaft“ ist von unserer Gegenwart gar nicht so weit entfernt. Obwohl sich stellenweise düstere Abgründe auftun, ist „Babylon Berlin“ (zumindest bisher) nicht ganz so sündig, wie der Name vermuten lässt. Es wird zwar reichlich geraucht, gehurt und gesoffen, in Sachen Sex und Gewalt sind die Macher allerdings deutlich zurückhaltender als ihre US-Kollegen bei manchen Serien von HBO oder Showtime. Selbst Tykwers Netflix-Serie „Sense8“ war in diesen Bereichen um einiges gewagter.
Fazit: Nach einem langsamen Start entwickelt „Babylon Berlin“ bald einen faszinierenden Sog. Das historische Sittengemälde besticht durch opulente Kulissen, ambivalente Figuren sowie eine abwechslungsreiche Handlung und kann schon nach vier Episoden als eines der Serienhighlights des Jahres gelten.