Das Verhältnis von Lars von Trier („Dogville“, „Melancholia“) zu den Medien ist ein höchst heikles – nicht erst, aber umso mehr, seit er im Jahre 2011 aufgrund umstrittener (und teilweise verdrehter/verkürzter) Aussagen über den Nationalsozialismus vom Filmfestival in Cannes ausgeschlossen und dort zur Persona non grata erklärt wurde. Dass der eigenwillige Regisseur, der seit dem Vorfall kaum noch Interviews gibt, einer Gruppe Journalisten inklusive FILMSTARTS nun exklusiven Zugang zum Set seines neuen Films „The House That Jack Built“ gewährt, war deshalb für uns eine echte (und echt schöne) Überraschung.
Als uns am Göteborger Flughafen Mitarbeiter der Produktionsfirma Zentropa in Empfang nehmen, ist zwei Autostunden entfernt der gerade mal zweite Drehtag im Gange, aber in ihrer Einführungsrede hat Produzentin Louise Vesth trotzdem schon das eine oder andere zu berichten: Hier, in der ländlichen Gegend um Trollhättan, sei bereits das preisgekrönte Musical „Dancer In The Dark“ entstanden und von Trier schätze die Vertrautheit der Umgebung. Im Mai ziehe die Crew dann um nach Kopenhagen, um dort zusätzliche Szenen für den 8,7 Millionen Euro teuren Film (für skandinavische Verhältnisse ein extrem hohes Budget) zu filmen.
Und davon handelt der Film: „The House That Jack Built“ spielt in den 1970er Jahren und begleitet die Entwicklung des hochintelligenten Jack zu einem Serienkiller aus dessen persönlicher Sicht. Der Protagonist betrachtet jeden Mord als eigenständiges Kunstwerk und geht bei seinen Taten – entgegen der Verbrecherlogik – von Mal zu Mal immer höhere Risiken ein...
Laut Vesth wird „The House That Jack Built“ – wie schon von Triers „Nymph()maniac“-Zweiteiler – gespickt sein mit verschiedensten Referenzen und Anspielungen, beispielsweise auf Phänomene der Architektur oder auch das Wesen der Kunst selbst. Visuell gestalte sich die Umsetzung diesmal äußerst kompliziert, weshalb die Arbeit im Schneideraum zusätzliche Zeit verschlingen werde. Zum Ende ihrer Ansprache lässt die junge Produzentin schließlich durchblicken, dass eine Rückkehr von Triers nach Cannes pünktlich zum Wettbewerb 2018 – und damit eben auch eine „offizielle“ Rehabilitierung seiner Person - durchaus im Bereich des Möglichen liege.
Dann, eine Stunde nach dem Mittagessen, ist es soweit: Wir erhalten grünes Licht vom Set und machen uns auf den Weg zur Location, wo wir den Dreh einer Szene mitverfolgen dürfen. Das Szenario gestaltet sich recht übersichtlich: Uma Thurman hat als Lady 1 (die Opfer werden offenbar nummeriert) eine Reifenpanne erlitten und lehnt sich hilfesuchend durch das Beifahrerfenster von Jacks Truck. Dabei weiß sie natürlich nicht, dass sie hier gerade einen Serienkiller anspricht – jedenfalls gibt es zweifellos gute Gründe, Angst um die von ihr verkörperte Figur zu haben. Für den Moment allerdings verbirgt Jack (Matt Dillon) noch seine mordlüsterne Seite und bringt die Frau freundlicherweise zu einem Schmied, der ihren Wagenheber in einer kleinen Garage repariert. Jack selbst bleibt während der Prozedur ebenfalls anwesend. Nach etwa einer Stunde ist die Szene im Kasten und zugleich fällt die letzte Klappe für diesen Tag.
Zum Abschluss wurde noch eine Pressekonferenz und damit ein ganz besonderes Highlight anberaumt – für von Trier ist es nämlich die erste Pressekonferenz seit dem Cannes-Eklat von vor sechs Jahren. Neben dem Regisseur stehen uns auch die Hauptdarsteller Uma Thurman und Matt Dillon sowie Produzentin Louise Vesth Rede und Antwort.
Schon als er eingangs auf das Wiedersehen mit den Journalisten angesprochen wird, demonstriert der seit langer Zeit von Depressionen geplagte Regisseur, dass er seinen verschrobenen, mitunter stark sarkastisch gefärbten Humor über die Jahre nicht verloren hat: „Glücklicherweise habe ich heute die falsche Brille auf, also sehe ich alles nur sehr verschwommen.“ Vor einer Weile äußerte von Trier öffentlich seine Angst, ohne Drogen nicht kreativ sein zu können, und nun gesteht er, zumindest mit dem Trinken wieder begonnen zu haben, den Konsum jedoch so weit wie möglich in Maßen zu halten.
Uma Thurman, die hier nach „Nymph()maniac“ zum zweiten Mal mit von Trier zusammenarbeitet, soll Lady 1 mit der Braut (ihrer Kultrolle aus Quentin Tarantinos „Kill Bill“-Filmen) vergleichen und meint dazu: „Na ja, das hier ist nicht ‚die Braut‘. Es geht um einen Serienkiller und die Frau wird nicht überleben. Aber ich wähle meine Rollen nicht danach aus, was mit der Figur am Ende passiert. Für mich zählt der Regisseur - und ihr könnt mir glauben, dass mich das Drehbuch zu ‚Kill Bill‘ auch ziemlich verstört hat. Aber man vertraut den kreativen Fähigkeiten des Filmemachers und in gewisser Weise auch seiner Seele. Beziehungsweise darauf, dass er überhaupt über eine solche verfügt.“
Den Beteiligten nähere Details über die Handlung des Films oder die Figuren zu entlocken, erweist sich an diesem Tag als schwierig, aber Matt Dillon („Verrückt nach Mary“, „Wild Things“) liefert zumindest ein paar Hintergründe: „Es ist eine düstere Geschichte, aber leider sind Serienkiller nun einmal Teil der Welt, in der wir leben. Das Thema verdient es, von der Kunst untersucht zu werden. Daneben hat der Film aber auch eine poetische Seite – es ist unverkennbar Lars‘ Ansatz.“
Aber warum fiel die Wahl auf Dillon und Thurman als Hauptdarsteller? „Ich habe Matt (und Uma) ausgewählt, weil sie offensichtlich nicht lesen können. Viele Leute, die das Skript erhielten, meinten, sie würden alles tun, um mit mir zusammen zu arbeiten – nur nicht für diesen Film. Und dann gab es zwei, die tatsächlich ‚Ja!‘ sagten und ich fragte sofort: ‚Seid ihr sicher?‘“
Schließlich fällt das Thema auf Darsteller Bruno Ganz („Der Untergang“), der am Set zwar nicht anwesend war, in „The House That Jack Built“ als Verge aber auch einen Part übernehmen wird. Während Dillon seine Wertschätzung für den schweizer Kollegen zum Ausdruck bringt, wirft von Trier flapsig ein: „Hat der nicht mal Hitler gespielt?“
Auf die nächste Frage entgegnet der Däne, ihm sei die Allgegenwärtigkeit von Serienkillern in Film, Fernsehen und Literatur durchaus bewusst. Und er wisse auch, dass er aus dem Stoff demnach wohl nichts komplett Neues herauskitzeln könne. Dennoch habe er sich für den Gegenstand entschieden - und das, obwohl er die große Faszination an Serienkillern gar nicht teile. Von Trier ergänzt: „Aber jede Frau, mit der ich zusammen war, war aus unerfindlichen Gründen besessen von Serienkillern. Vielleicht hatte es auch etwas mit mir zu tun, aber nach meiner Erfahrung mögen Frauen Serienkiller.“ Der Akt des Tötens und der Akt des Kunstschaffens sind für den Filmemacher hingegen durchaus miteinander verbunden: „Du musst für beides ein Zyniker sein.“
Zwar existiert bereits ein britisches Märchen mit dem Titel "This is the House That Jack Built", doch zu guter Letzt versichert uns von Trier, dass etwas in dieser Richtung von seinem Film definitiv nicht zu erwarten ist: „Ich hasse Märchen! Als Kind lasen mir alle Hans Christian Andersen vor und ich konnte es nicht ausstehen. Ich warf die Bücher weg.“
Angesichts seiner bisherigen Werke glauben wir ihm aufs Wort. Zumal wohl kein anderer Regisseur auf die Idee käme, einem Film über eine Sexsüchtige direkt das Psychogramm eines Killers folgen zu lassen. Aber das beweist nur: LvT ist trotz all der Kontroversen ganz der Alte geblieben. „The House That Jack Built“ kann davon nur profitieren!
Wann genau der nächste Streich des dänischen Enfant terrible in den Kinos anlaufen wird, steht momentan noch nicht fest – im Frühjahr 2018 soll das Serienkillerporträt aber seine Weltpremiere feiern.