In den vergangenen Jahren brachen unter anderem „Spider-Man: A New Universe“ und „Der gestiefelte Kater: Der letzte Wunsch“ die Grenzen zwischen malerischem Zeichentrick und komplexer Computeranimation auf. Wäre das Kinopublikum kurz nach der Jahrtausendwende bloß experimentierfreudiger gewesen! Dann wären wir womöglich schon früher in den Genuss solch umwerfender Animationsverschmelzungen gekommen.
Denn die Walt Disney Animation Studios, die bereits in den 1980ern anfingen, im subtilen Maße Digitaltricks in Zeichentrickwerke einzuweben, haben schon rund ums Millennium richtig geklotzt: In mehreren Filmen brachten sie die Stärken zweier Animationswelten zusammen – doch das Publikum war offenbar nicht bereit dafür. Das Science-Fantasy-Piratenabenteuer „Der Schatzplanet“ etwa erlitt trotz seines grandiosen Looks an den Kinokassen Schiffbruch und gilt 23 Jahre später als einer der kostspieligsten Hollywood-Rückschläge.
Mittlerweile entdecken aber mehr und mehr Filmfans dieses ambitionierte Ausnahmeprojekt wieder und lassen sein Ansehen endlich steigen. Falls ihr nun neugierig geworden seid: „Der Schatzplanet“ ist im Abo von Disney+ abrufbar!
Darum geht es in "Der Schatzplanet"
Jim Hawkins (Originalstimme: Joseph Gordon-Levitt) saugt die Geschichten berüchtigter Weltraumpiraten förmlich auf – und träumt davon, eines Tages den legendären Schatzplaneten zu entdecken. Als er zum rebellischen Jugendlichen heranwächst, gerät er stattdessen ins strenge Auge des Gesetzes. Doch als ihm ein im Sterben liegender Pirat eine Schatzkarte überreicht, erhält er die Chance, sein Schicksal neu zu lenken.
Gemeinsam mit Astronom Dr. Delbert Doppler (David Hyde Pierce) bricht Jim zur riskanten Reise auf – an Bord der stolzen Galeone RLS Legacy unter Befehl der strengen Captain Amelia (Emma Thompson). Während der Reise freundet sich Jim mit dem mysteriösen Smutje John Silver (Brian Murray) an, der für ihn zu einem Ersatzvater heranwächst. Jedoch hat der Cyborg verborgene Motive...
Ein spät erfüllter Wunsch
Er mag in der Disney-Historie als Flop vermerkt sein, doch zugleich ist „Der Schatzplanet“ die spät erfolgte, ambitionierte Erfüllung eines Regietraums: Das Regie-Doppel John Musker & Ron Clements wollte eine ins All verlagerte „Die Schatzinsel“-Adaption bereits Ende der 1980er-Jahre angehen – ihre Vorgesetzten waren jedoch mehr an einem alternativen Pitch namens „Arielle, die Meerjungfrau“ interessiert.
Nachdem Musker & Clements dank dem Märchenmusical die sogenannte Disney-Renaissance losgetreten haben, wollten sie wieder und wieder den weltberühmten Abenteuerroman von Robert Louis Stevenson in einen fantasievollen Kosmos verlegen. Doch Disney setzte das Duo zunächst auf „Aladdin“ und dann auf „Hercules“ an. Erst danach bekam „Der Schatzplanet“ das grüne Licht. Nicht zuletzt dank Roy E. Disney, dem Neffen des Studionamensgebers, der sich unter anderem deshalb für den Film stark machte, weil er sich von ihm eine innovative Ästhetik versprach...
Die Weiten des Alls und eine "tiefe Leinwand"
Diesem Versprechen wurde „Der Schatzplanet“ vollauf gerecht: Der Film wurde mit der sogenannten „Deep Canvas“ verwirklicht, einer Technologie, die zuvor für das Disney-Abenteuermusical „Tarzan“ entwickelt wurde, um den dichten Dschungel zu animieren. Die „Deep Canvas“ gestattete es, virtuelle 360°-Sets zu entwerfen, durch die die Kamera gleiten kann wie durch einen realen Raum – doch die Oberflächen dieser Sets wurden von Künstler*innen individuell und digital bemalt.
Somit treffen die Räumlichkeit von 3D-Computeranimation und die lebhaft-malerische Qualität klassischer Disney-Hintergrundgemälde aufeinander.
In „Der Schatzplanet“ wurde die „Deep Canvas“ weiterentwickelt und im großen Stil eingesetzt, unter anderem um die Weite des Alls zu verdeutlichen, aufreibende Flug-Actionsequenzen zu inszenieren und das Innere der RLS Legacy besonders greifbar zu gestalten. Musker und Clements setzen in ihrem Abenteuerspektakel konsequenterweise auf komplexe, lange Kamerafahrten, wie sie im Zeichentrickfilm zuvor nahezu unvorstellbar waren.
Die Vereinigung aus CGI und Zeichentrickfilm setzt sich in der Figur des John Silver fort: Den Großteil des bärigen Mentors mit einer verborgenen Düsternis zeichnete Disney-Legende Glen Keane, der Chefzeichner solch unvergesslicher Figuren wie Arielle und Aladdin, von Hand. Die Cyborg-Prothesen Silvers wurden dagegen am Computer animiert – genauso wie der verwirrte Navigationsroboter B.E.N., den Jim auf dem Schatzplaneten kennenlernt.
Style nach Prinzip
Die Vereinigung zweier Welten folgt einem Designprinzip: Die Crew legte sich eine „70/30“-Regel auf, laut der 70 Prozent der filmischen Elemente an das zeitliche Setting der „Schatzinsel“ erinnern sollten, 30 Prozent dagegen fantastisch oder futuristisch sein durften. Dieses ästhetische Prinzip verleiht dem Film einen außergewöhnlichen, anachronistischen Look, der akustisch widergespiegelt wird:
Komponist James Newton Howard untermalt das Geschehen mit orchestralen Klängen, die sich in der Nostalgie klassischer Swashbuckler und altmodischer Seemannsmusik suhlen – aber durch moderne Elemente (etwa fetzige E-Gitarrenriffs) aufgebrochen werden.
Welch Zufall des Kinoschicksals, dass sich „Der Schatzplanet“-Produktionsdesigner Steven Olds unter anderem am Zweimaster Lady Washington orientierte, der ein Jahr später in „Fluch der Karibik“ zu sehen war – dem Film, der beim Publikum nachhaltig die Vorstellung typischer Piraten-Filmmusik verändern sollte.
„Der Schatzplanet“ dagegen ist eher ein Kult-Geheimtipp innerhalb des Disney-Kanons – genauso wie ein anderer auf die Deep Canvas setzender Actioner mit markanten Designs und eindrucksvoller Musik von James Newton Howard:
"Was zur Hölle soll das?": "Avengers"-Regisseur steht im Abspann dieses Sci-Fi-Spektakels – obwohl er keinen Finger gekrümmt hat*Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diese Links oder beim Abschluss eines Abos erhalten wir eine Provision. Auf den Preis hat das keinerlei Auswirkung.