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    Mit Erdmännchen-Energie und den Bildern einer realen Geburt: Emma Nova erklärt im FILMSTARTS-Interview, wie sie in "Vena" Vorurteilen entgegentreten will
    Susanne Gietl
    Susanne Gietl
    -Freie Autorin
    Susanne Gietl ist freie Kulturjournalistin und lebt in Berlin. Sie liebt es, mit Kunstschaffenden in Interviews und Publikumsgesprächen über ihre Arbeit zu sprechen. Sie fühlt sich bei Arthouse-Filmen zu Hause, traut sich dafür aber selten in Horrorfilme.

    Der vielfach preisgekrönte „Vena“ handelt von einer drogenabhängigen jungen Frau, die ihren ersten Sohn schon abgeben musste und nun schwanger auf ihren Haftantritt wartet. Aber der Film ist zum Glück ganz anders, als ihr jetzt alle erwartet!

    Weltkino Filmverleih

    Leider haften viele Vorurteile am Thema Drogensucht. Das weiß auch Regisseurin Chiara Fleischhacker und geht das Thema in „Vena“ (Kinostart: 28. November) sehr sensibel an: Jenny (Emma Nova) ist zwar wie ihr Freund Bolle (Paul Wollin) süchtig, nicht aber gesellschaftsunfähig. Nur die Hebamme (Friederike Becht) scheint sie zu verstehen. Für das Drehbuch mit dem Caligari Förderpreis und dem Thomas Strittmatter Preis ausgezeichnet, erschafft die Regisseurin ein sehr komplexes Bild: Liebevoll kümmert sich die werdende Mutter um ihre Orchideen und ihren sechsjährigen Sohn. Ein schönes Bild: Für ihn hat sie im Eisfach einen Schneeball eingefroren.

    Geht es Jenny schlecht, schenkt ihr Bolle einen Königinnentag. Gemeinsam machen sie dann eine Liste, wie sie verwöhnt werden kann. Manche Oberflächlichkeiten, wie Jennys künstliche Fingernägel, entpuppen sich als Mittel, um den Schein zu wahren, dass alles in Ordnung sei. „Vena“ findet neue Ansätze, um mit Vorurteilen aufzuräumen. Auch Hauptdarstellerin Emma Nova suchte nach eigenen Bildern für Jennys Drogensucht, wie sie uns beim Interview im Rahmen des Filmfest Hamburg verrät, wo „Vena“ mit dem Hamburger Produktionspreis in der Kategorie „Deutsche Kinoproduktion“ ausgezeichnet wurde:

    FILMSTARTS: „Vena“ ist ein starker, weiblicher Film, dem man gerne folgt. Trotzdem war es nicht einfach, den Film bei Festivals unterzubringen. Hast Du eine Idee, warum?

    Emma Nova: Ich glaube, dass die Geburtsszene in der Deutlichkeit, wie sie gezeigt wird, auf jeden Fall ein Faktor ist, der Menschen, oft Cis-Männer, erschreckt. Vielen fällt es nicht leicht, gewisse Szenen zu sehen, auch weil sie es nicht gewohnt sind, den weiblichen Körper in einer nicht sexuellen oder sexualisierten Form gezeigt zu bekommen. Ich kann mir auf jeden Fall vorstellen, dass es auch aus diesem Grund schwierig war, den Film bei Festivals unterzubringen - vielleicht aus Angst, dem Publikum zu viel zuzumuten. Es war deshalb umso schöner, auf dem Filmfest Hamburg Premiere zu feiern, ausgewählt von Malika Rabahallah, der neuen Festivaldirektorin, die, wie ich finde, das Festival dieses Jahr mit ihrer Arbeit auf ein ganz neues Level gehoben hat.

    FILMSTARTS: Die schwangere Jenny wohnt mit ihrem Partner Bolle zusammen. Beide sind Crystal Meth abhängig. Wie hast Du Dich da reingefühlt?

    Emma Nova: Ich habe sehr viel von Chiaras Rechercheerfahrung profitiert und auch viel mit Edith Stehfest, die selbst mal abhängig war, gesprochen. Im Film spielt sie meine Cousine Clara. Sie hat mir vor allem erzählt, wie sie sich damals gefühlt hat. Man hat oft die Extrembeispiele von Crystal-Meth-abhängigen Menschen im Kopf, die leider so tief in die Sucht rutschen, dass sie nicht mehr in der Lage sind, ihren Alltag zu bewältigen und von Obdachlosigkeit betroffen sind. Wir aber erzählen die Geschichte einer Frau, die konsumiert, aber trotzdem noch gesellschaftsfähig ist. In jedem Berufsfeld, in jeder Gesellschaftsschicht findet man Menschen, die Drogen konsumieren, um zu funktionieren. Bei der Entwicklung von Jennys Figur habe ich viel mit Tierbildern und Assoziationen gearbeitet, um die Auswirkungen der Droge auf den Körper möglichst authentisch darzustellen. In dem Fall war Crystal für mich ähnlich zu der Energie eines Erdmännchens.

    FILMSTARTS: Inwiefern?

    Emma Nova: Crystal wirkt wie jede Droge bei jeder Person anders und bei Frauen nochmal anders als bei Männern. Frauen konsumieren oft Crystal, um zu funktionieren, weil sie sich machtlos fühlen und das Gefühl haben, sie kommen nicht hinterher. Um alles zu schaffen, konsumieren sie, weil sie dann einen klareren Fokus haben. Es gibt auch verschiedene Szenen im Film, wo man diese Wachheit, dieses Da-sein, diese abgehackten Bewegungen sieht. Diese Energie habe ich irgendwie probiert, reinzubringen. Jenny kaut auf ihren Fingernägeln und muss ständig an etwas herumspielen. Sie ist körperlich sehr angespannt und rastlos. So einen Rausch zu spielen ist eigentlich wie eine Art Full-Body-Workout, danach ist man ziemlich fertig. Am Ende des Tages portraitieren wir aber immer noch eine Einzelperson. Es geht um Jenny. Es ist ihr Konsumverhalten, ihr Leben, und eben keine bloße Art von Klischee von Crystal-Meth-Konsumenten.

    Das sieht man in Filmen über (Co-)Drogensucht selten: Jenny (Emma Nova) und Bolle (Paul Wollin) haben tatsächlich ein liebevolles Verhältnis miteinander. Weltkino Filmverleih
    Das sieht man in Filmen über (Co-)Drogensucht selten: Jenny (Emma Nova) und Bolle (Paul Wollin) haben tatsächlich ein liebevolles Verhältnis miteinander.

    FILMSTARTS: Hat es geholfen, dass Du und Paul Wollin im Film abhängige Figuren verkörpert und somit ähnlich spielen musstet?

    Emma Nova: Paul und ich haben uns gegenseitig sehr unterstützt und waren füreinander die haltende Hand des anderen. Ohne Paul wäre das nicht möglich gewesen, mich so fallen zu lassen. Ich glaube, ihm ging es ähnlich. Und dennoch hat jede unserer Figuren mit ihren ganz individuellen Schwierigkeiten innerhalb einer Drogensucht zu kämpfen. Somit war jede und jeder von uns auf seine persönliche Rollenentwicklung konzentriert, was toll und wichtig war. Auch all die äußerlichen Besonderheiten, im Fall von Jenny, die Haare, Nägel, Wimpern (Maske: Selina Wriessnegger, Viktoria Wolfram) sowie die bunten Outfits (Kostümbild: Marie-Luise Wolf) und natürlich auch der Bauch (SFX: Martin Kleist) haben es mir viel leichter gemacht, mich in sie hineinzufühlen und zu verstehen, wer sie ist.

    FILMSTARTS: Für die Schwangerschaft gab es ein Bauchdouble, Du hast aber auch einen Kunstbauch bekommen. Wie war das für Dich?

    Emma Nova: Ich hatte zwei „Umschnallbäuche“ in verschiedenen Größen. Einen davon hatte ich auch für eine kurze Zeit zu Hause und bin damit einfach mal U-Bahn gefahren, um auszuprobieren, wie es sich anfühlt. An Tagen, wo es um Nacktszenen ging, hatte ich einen geklebten „Prostatics-Bauch“. Es ist komisch, sich mit so einem Schwangerschaftsbauch zu sehen, vor allem wenn man selbst noch keine Schwangerschaft erlebt hat. Man steht dann vorm Spiegel und denkt sich: „Wow. Da ist jetzt einfach eine kleine Kugel.“ Es hat mich berührt. Ich stand immer wieder da und habe den Bauch gestreichelt, ganz automatisch, auch wenn ich selbst noch gar nicht weiß, ob ich überhaupt Kinder will oder bekommen kann. Vor allem auch, wenn man vielleicht nicht mehr Anfang, sondern Ende 20 ist, rückt dieses Thema noch mal mehr in die Realität. Am Set war das dann natürlich etwas anders, weil so ein Teil auch schon einiges wiegt. Da war ich am Ende des Tages sehr dankbar, den Bauch einfach ausziehen zu können. (lacht)

    Der künstliche Bauch hat auch bei Schauspielerin Emma Nova eine Menge unerwarteter Reaktionen ausgelöst. Weltkino Filmverleih
    Der künstliche Bauch hat auch bei Schauspielerin Emma Nova eine Menge unerwarteter Reaktionen ausgelöst.

    FILMSTARTS: Später geht Jenny in Haft, wo sie auch ihr Baby bekommt. Wie hast Du Dich damit auseinandergesetzt?

    Emma Nova: Chiara und ich hatten ein Treffen im offenen Vollzug in Nordrhein-Westfalen und haben dort eine junge Mutter kennengelernt. Allein schon diese Energie zu spüren, da hinzukommen, alles abzugeben, war sehr interessant. Es war kein Hochsicherheitstrakt, aber es gab schon viele verschlossene Türen und strenge Regeln, die es einzuhalten galt. Die junge Mutter hatte gerade erst entbunden und hat erzählt, wie es sich anfühlt, in Haft zwei Kinder zu haben und wie schwierig sich das gestaltet. Was für eine Einsamkeit man da drin hat, wie es mit einem Kind im Kindergartenalter ist. Man stellt sich die Frage: Was sagt man dem Kind, wo wir hier sind? Sie hat auch darüber geredet, wie sie es sich vorstellt, wenn sie wieder rauskommt. Abgesehen davon habe ich auch hier wieder viel von Chiaras Recherchearbeit profitiert.

    FILMSTARTS: Hast Du noch zu jemanden aus der Recherchezeit Kontakt?

    Emma Nova: Zu Hilly Škorić habe ich noch Kontakt. Sie hat ihren Sohn in Haft bekommen und den Verein Hilf-Reich e.V. für Kinder und Jugendliche gegründet. Ich bin unglaublich stolz auf sie. Sie engagiert sich dafür, dass sich Jugendliche gut aufgehoben fühlen und nicht dieselben Fehler begehen wie sie. Sie ist komplett offen damit umgegangen, was sie erlebt und gesehen hat. Auch mit so Sachen wie: Was darf man in Haft behalten und was nicht und wie ist die Stimmung unter den Insassinnen. Wenn diese ganzen tollen Frauen nicht gewesen wären, dann hätte ich ganz viele Einblicke nicht gehabt.

    Emma Nova und FILMSTARTS-Autorin Susanne Gietl bei der Berliner Premiere von „Vena“. privat
    Emma Nova und FILMSTARTS-Autorin Susanne Gietl bei der Berliner Premiere von „Vena“.

    FILMSTARTS: In Filmen gibt es relativ wenig Aufklärung, wie eine Geburt wirklich abläuft. Oft ist nach den Wehen plötzlich das Baby da. Wie war das denn für Dich, Dich mit dem Thema Geburt so ausführlich vertraut zu machen...

    Emma Nova: … vor allem, wenn man als Person mit Gebärmutter theoretisch auch in der Lage wäre, ein Kind zur Welt zu bringen. Ich habe mich ehrlich gesagt vor „Vena“ nicht so viel mit dem Thema Geburt auseinandergesetzt. Jetzt dafür umso mehr. Es gibt einen Instagram-Account namens „badassmotherbirther“, der dazu dient, über Geburten aus aller Welt aufzuklären. Da sieht man die krassesten und schönsten Sachen. Das ist so unglaublich, was für Naturgewalten Frauen/Menschen mit Uterus sind.

    FILMSTARTS: Was war für Dich neu?

    Emma Nova: All diese ganzen anatomischen Aspekte. Dass es so etwas wie einen Schleimpfropf gibt, wie der aussieht und was der Propf überhaupt genau ist. Dass Milch beim Stillen wie eine Fontäne quer durch den Raum schießen kann, wusste ich nicht. Oder wie eine Nabelschnur pulsiert, das sieht so cool aus. Ich habe auch viel von Chiara aus ihrer eigenen Erfahrung als Mutter oder eben auch aus ihrer zusätzlichen Recherche gelernt. Ich bin total ehrfürchtig vor dem, was so viele Frauen tagtäglich leisten.

    Jennys perfekt gestylten Fingernägel sind auch ein Versuch, sich an ein letztes Stück heile Welt zu klammern. Weltkino Filmverleih
    Jennys perfekt gestylten Fingernägel sind auch ein Versuch, sich an ein letztes Stück heile Welt zu klammern.

    FILMSTARTS: Ihr habt auch eine reale Geburt nachgestellt. Hast Du das Video wie einer Art gefilmte Gebrauchsanleitung verwendet?

    Emma Nova: So ähnlich. Ich hatte einen Zusammenschnitt von der Geburt bekommen. Ich habe mir genau angeschaut, in welchen Momenten was genau passiert – die körperlichen Reaktionen und natürlich diese ganzen signifikanten Dinge. Welche Hand geht zuerst ans Tuch, wie sind die Beine aufgestellt und was passiert danach? Wann trinkt sie Wasser, in welchem Moment legt sie sich zurück? Wann und wie atmet sie? Das ist wie eine Choreografie, die wir uns überlegt und nachgestellt haben. Ich habe immer noch die Original-Socken von der Geburt von Lara, unserem Geburtsdouble, weil ich natürlich dieselbe Kleidung wie sie beim Drehen anhaben musste, damit man die Szene schneiden kann. Zufälligerweise hatte Lara ein braunes Paris T-Shirt bei der Geburt an. Es war total verrückt, weil Chiara in das Drehbuch reingeschrieben hatte, dass Jenny in einem „I Love Paris“-T-Shirt im Krankenhaus ist und ihr Kind bekommt. Das war nicht abgesprochen, sondern purer Zufall. Wir hatten viele solcher Momente am und außerhalb vom Set, die man sich nur mit dem „Vena-Glück“ erklären kann.

    FILMSTARTS: Wie gut konntest Du Dich nach dem Dreh von der Rolle der Jenny lösen?

    Emma Nova: Das hat auf jeden Fall mindestens ein halbes Jahr gebraucht, um alles loslassen zu können. Es sammelt sich ja im Körper auch eine Art von Energie an. Das war manchmal extrem. Als wir gedreht haben, konnte ich eines Morgens meinen Kopf nicht mehr bewegen, woraufhin wir eine Woche pausieren mussten, weil der Arzt bei mir einen Torticollis, also einen muskulären Schiefhals festgestellt hatte. Es brauchte etwas Zeit, bis mein Körper sich vollständig regeneriert hatte, aber ich würde es jederzeit wieder genauso tun.

    „Vena“ läuft seit dem 28. November 2024 in den deutschen Kinos.

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