Als sich Peter Jackson anschickte, „Der Herr der Ringe“ als Realfilm zu adaptieren, drängten sich zahlreiche Herausforderungen auf. Schließlich galt es nicht bloß, eine epochale literarische Erzählung filmisch zu verdichten – es galt zudem, die fantastischen Orte und Wesen, die Mittelerde ausmachen, zum Leben zu erwecken.
Eine Nuss, die es zu knacken galt, betraf die Hobbits: Obwohl sie sehr menschlich aussehen, sind sie deutlich kleiner. Es überzeugend darzustellen, wenn sie mit menschengroßen Figuren interagieren, war eine knifflige Hürde, die die „Herr der Ringe“-Crew aber meisterte. Um zu diesem bezaubernden Ergebnis zu gelangen, richtete sie ihren Blick auf einen Disney-Fantasyfilm mit Sean Connery: „Das Geheimnis der verwunschenen Höhle“!
Darum geht es in "Das Geheimnis der verwunschenen Höhle"
Darby O'Gill (Albert Sharpe) liebt es, im Pub Geschichten über Leprechauns (oder in der deutschen Synchro: Zwerge) zu erzählen. Zu ihnen hege er engen Kontakt – insbesondere zum 5.000 Jahre alten König Brian Connors von Knocknasheega (Jimmy O’Dea). Als Darby aufgrund seiner ständigen Erzählungen seine beruflichen Pflichten aus den Augen verliert, wird er in den Ruhestand versetzt. Darby macht sich Sorgen, dass dies dem Ruf seiner Tochter Katie (Janet Munro) schadet.
Jedoch verkompliziert sich Darbys Gemütszustand, als er seinen Nachfolger kennenlernt: den lebensfrohen, kultivierten Michael McBride (Sean Connery) aus Dublin, der wie gemacht für Katie scheint. Also versucht sich der besorgte Vater als Verkuppler und bittet König Brian um Hilfe. Der gibt sich allerdings nicht einfach so mit derartigen Kinkerlitzchen ab...
So beginnt eine abenteuerliche Fantasy-Mär, die ein feuchtfröhliches Leprechaun-Fest umfasst sowie Begegnungen zwischen Darby O'Gill und finsteren Gestalten, neben denen die listigen Leprechauns wie harmlose Zeitgenossen wirken...
So wurden die Leprechauns ins Kino gezaubert
Regisseur Robert Stevenson und die Disney-Trickabteilung studierten im Vorfeld der Dreharbeiten anno 1958, welche Stärken und Schwächen alle Tricks aufweisen, die genutzt werden konnten, um Figuren unterschiedlicher Größe interagieren zu lassen. Stevenson und die Trickspezialisten Eustace Lycett und Ub Iwerks kamen zum Schluss, dass es nicht den einen, perfekten Weg gibt. Also beschlossen sie, auf eine Kombination aus Produktionsverfahren und Illusionen zurückzugreifen.
Damit sollte sich die Filmwelt lebendiger anfühlen und das Publikum daran gehindert werden, die Illusion zu durchschauen. Der wichtigste Stützpfeiler dazu war der Rückgriff auf forcierte Perspektiven: Kulissen wurden so gebaut, dass sich Sharpe in Standard-Ausstattung nah an der Kamera positionieren konnte, während sich O’Dea in vierfacher Entfernung von der Kamera befand und von überdimensionalen Kulissen umgeben war.
Dazu mussten die Augenlinien der Darsteller minutiös berechnet und eingehalten werden – ein aufwändiger, aber in der Kinohistorie häufig verwendeter Trick. Die „Das Geheimnis der verwunschenen Höhle“-Crew schöpfte jedoch aus dem Vollen und baute speziell für den Film ein neues, extra langes Studio. Iwerks und der Ingenieur Bob Otto entwickelten zudem eine neuartige Kamera, mit der sich die beiden Sets nahtlos einfangen ließen.
Außerdem beschreibt John Kenworthy in seiner Iwerks-Biografie „The Hand Behind The Mouse“, dass für eine beispiellose Ästhetik eine zuvor ungeahnte Anzahl an Scheinwerfern verbaut wurde: 649 zielgenau platzierte Scheinwerfer beleuchteten die Bühne, was eines Tages zu einem stadtweiten Stromausfall führte.
Neben den Drehs mit forcierter Perspektive wurden detaillierte Gemälde von Trickmalerei-Spezialist Peter Ellenshaw, Effektpuppen, Rückprojektionen und das sogenannte Schüfftan-Verfahren verwendet. Dabei wird am Filmset ein riesiger Spiegel errichtet, sodass die Kamera sowohl den Cast einfängt, als auch das Spiegelbild eines Modells. Bei akkuratem Aufbau lassen sich so Figuren in vermeintlich riesige Bauten transportieren.
Diese Verquickung aus altbewährten, aber optimierten Tricks, technischer Innovation und luxuriösen Produktionsbedingungen hinterließ Eindruck: „Das Geheimnis der verwunschenen Höhle“ wurde 2017 von Trickeffekt-Spezialist*innen unter die 70 einflussreichsten Effektfilme aller Zeiten gewählt. Und in Norbert Stresaus Nachschlagewerk „Der Fantasyfilm“* wird Steven Spielberg zitiert, wie er dem Disney-Klassiker das „perfekteste Perspektivenspiel der Filmgeschichte“ attestiert.
Von der verwunschenen Höhle nach Mittelerde
Ein weiterer großer Fan von „Das Geheimnis der verwunschenen Höhle“ ist Randall William Cook, der Effektspezialist hinter Filmen wie „Das Ding aus einer anderen Welt“, „Ghostbusters“ und der „Herr der Ringe“-Trilogie. Wie er dem VFX Voice Magazine verriet, war das Disney-Kleinod einer der Gründe, weshalb er Trickkünstler geworden ist: „,Das Geheimnis der verwunschenen Höhle' war eine riesige Inspiration für mich.“
Als besonders magisch bezeichnet er den Moment, in dem Leprechauns um Darby tänzeln, da die Sequenz durch erstaunlich geschickten Gebrauch forcierter Perspektive „den Verstand verwirrt“. Seine Passion für den Film lebte Cook ausgiebig bei der Arbeit am 80er-Horror-Kultfilm „Die Pforte“ aus, wo er versuchte, mit schmalen finanziellen Mitteln durch zielgenaue Nachahmung der Tricks von Iwerks, Ellenshaw und Lycett ähnliche Ergebnisse zu erzielen.
Als „Der Herr der Ringe“-Trilogie anstand, folgten Jackson und Cook dann im ganz großen Stil dem Vorbild von „Das Geheimnis der verwunschenen Höhle“: Nicht nur, dass sie sich auf Lektionen aus der Produktionsgeschichte des Disney-Fantasyfilms stützten, einzelne Augenblicke in der Trilogie sind auch als subtile visuelle Rückverweise auf ihn zu verstehen. Das reicht sogar über die Darstellung der Hobbits hinaus:
Der Look der Nazgûl erinnert frappierend an die schaurige Banshee aus „Das Geheimnis der verwunschenen Höhle“ – ein finster schimmerndes Gespenst, das Darby O'Gill um sein Leben bangen lässt. Doch das ist nicht das einzige Mal, dass einer der weniger berühmteren Disney-Filme solch ein langes Echo nach sich ziehen sollte, wie ihr im folgenden Artikel nachlesen könnt:
Echt schaurig: Dieser fast in Vergessenheit geratene Disney-Horrorfilm (!) erlebt gerade einen zweiten FrühlingDies ist eine aktualisierte Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.
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