Es ist erstaunlich, wie spielend der koreanische Horrorfilm „The Wailing – Die Besessenen“ zwischen den Genres hin- und herspringt. Der düstere Thriller über eine Reihe ungeklärter Selbstmorde und anscheinend fast ritualisierten Familienmorden wechselt plötzlich in eine humoristische Schiene, nur um nach diesem kurzen Intermezzo plötzlich in Sachen Härte neue Sphären zu erreichen. Schlussendlich wird der Film zu einer albtraumhaften Horror-Erfahrung, die weder mit Blut noch mit kryptisch-schaurigen Bildern geizt.
Religiöser Fanatismus wird hier ebenso behandelt wie der Konflikt zwischen alten Traditionen und gesellschaftlicher Weiterentwicklung. Wo ist in einem modernen Korea, das sich immer stärker an westlichen Lebenswerten orientiert, noch Platz für den alten Glauben und überlieferte Weisheiten?
„The Wailing – Die Besessenen“ ist dabei ebenso Exorzismus-Drama wie Cop-Thriller und surrealer Horror-Schocker. Kein Wunder also, dass der wilde Genre-Mix bereits kurz nach seiner Europa-Premiere während der Filmfestspiele in Cannes für Aufsehen sorgte – und sogar „Gladiator 2“-Regisseur Ridley Scott tief beeindruckte, der zwischenzeitlich sogar versucht haben soll, ein amerikanisches Remake auf den Weg zu bringen.
Aus diesen Plänen ist (glücklicherweise) nichts geworden. Wahrscheinlich wäre der Versuch, dieses komplexe Mysterium, das seine Wurzeln tief in der koreanischen Glaubenskultur verankert hat, auf den amerikanischen Markt zu übertragen, krachend gescheitert. Wer jetzt neugierig geworden ist, kann den Film aktuell auf Amazon Prime Video streamen, wo er gegen einen schmalen Taler als VoD abgerufen werden kann:
Darum geht es in "The Wailing – Die Besessenen"
Die Ortschaft Goksung im ländlichen Teil Südkoreas wird von einer Reihe bizarrer Vorfälle erschüttert. Familienangehörige bringen einander auf bestialische Art und Weise um, die Selbstmorde in der Region häufen sich und zudem macht auch noch ein ansteckender Hautausschlag die Runde, der die Infizierten ganz schön mitnimmt. Der Polizist Jong-gu (Kwak Do-Won) ist auf eine solche Fülle an Fällen nicht vorbereitet und schlichtweg mit der Situation überfordert. Dennoch versucht er bestmöglich Licht in die Sache zu bringen.
Doch als seine kleine Tochter sich ebenfalls seltsam aufführt, wird der Fall persönlich. Die Familie zieht einen Schamanen (Hwang Jeong-min) zurate, der vermutet, dass sich ein Dämon in ihr eingenistet hat – und beginnt schon bald mit der Durchführung eines aufwändigen Austreibungsrituals. Verantwortlich für all die Dinge könnte der japanische Fremde (Jun Kunimura) sein, der als Einsiedler tief im Wald haust und dort ebenfalls merkwürdige Zeremonien abhält...
"The Wailing" liefert keine klaren Antworten
„The Wailing – Die Besessenen“ ist einer jener Filme, die auch mit dem Einsetzen des Abspanns noch Fragen offen lassen. Wer oder was steckt hinter den schrecklichen Verbrechen, die sich in dieser kleinen, unscheinbaren Gemeinde zugetragen haben? Sind hier wirklich übernatürliche Mächte am Werk – und wenn ja, aus welchem Kulturkreis? Schließlich ist Korea ein Glaubens-Schmelztigel, in dem Katholizismus, Buddhismus und animistischen Religionen koexistieren. Oder gibt es doch eine weltliche Erklärung für diesen angeblichen Spuk?
Regisseur und Drehbuchautor Na Hong-jin („The Chaser“) legt immer wieder falsche Interpretations-Fährten, von denen letztlich aber keine eine endgültige Antwort liefert. Das mag für einige Zuschauer*innen vielleicht in einem frustrierenden Filmerlebnis enden, bietet dadurch aber den entsprechenden Raum für eigene Interpretationen. Letztlich bleibt die Frage, wie viel und ab wann wir bereit sind zu glauben, wenn die weltlichen Deutungsansätze und das moderne, aufgeklärte Denkvermögen an ihre Grenzen geraten.
Kino für die Sinne
Vielleicht tut man gut daran, „The Wailing – Die Besessenen“ auch einfach als sinnliche Rauscherfahrung zu erleben. Spätestens mit der intensiven Schamanen-Zeremonie gewinnt der Film nach einem gemächlichen Start noch einmal deutlich an Intensität. Der hypnotischen Wirkung des ausgeführten Rituals kann man sich nur schwerlich entziehen – die Gesänge des Teufelsaustreibers werden getrieben von einer Vielzahl an Schellen-Instrumenten, die einen unglaublich intensiven Klangteppich bilden.
Und auch im Anschluss an diese Szene brummt und dröhnt es unheilvoll. Es ist fast so, als wären dies die Nachwirkungen jener Dämonenzeremonie, die noch in unseren Köpfen nachhallen und dort bis zum furiosen Finale weiter klingen. Wenn nach dem Film endlich wieder Ruhe einkehrt, muss man erst einmal tief durchschnaufen – doch vergessen wird man dieses außergewöhnliche Filmerlebnis wohl so schnell nicht.
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