Sommer 2003 war eine starke Filmzeit für Seeräuber: Parallel zu Johnny Depp alias Käpt'n Jack Sparrow machte auch Brad Pitt die Meere unsicher – als Sprecher des diebischen Lügners, Betrügers und Schatzsuchers Sinbad! Leider ging „Sinbad - Der Herr der sieben Meere“ in den Kinos unter und geriet daraufhin in Vergessenheit: Mit einem globalen Einspiel von 80 Millionen Dollar wurde das fantasievolle Animationsspektakel komplett von „Fluch der Karibik“ überschattet.
Im Zuge dessen gab DreamWorks Animation für über ein Jahrzehnt das Zeichentrickfilmmedium auf. Das macht „Sinbad“ zu einem filmhistorisch bitteren, aber ungebrochen faszinierenden Kleinod. Nachholen lässt es sich denkbar einfach: „Sinbad“ ist auf vielen Plattformen als VOD erhältlich, darunter Amazon Prime Video.
"Sinbad": Ein Sturkopf manövriert durch göttliches Chaos
Der wagemutige Sinbad (Originalstimme: Brad Pitt / in der deutschen Synchro: Benno Fürmann) ist der berüchtigste Gauner der sieben Weltmeere! Doch eines Tages wird ihm fälschlich angelastet, das sagenumwobene Buch des Friedens gestohlen zu haben. Nun muss er es innerhalb von zehn Tagen wiederbeschaffen, sonst wird sein alter Weggefährte Proteus (Joseph Fiennes / Benjamin Völz) hingerichtet!
Erst will sich Sinbad einfach aus dem Staub machen, doch Proteus' Verlobte macht ihm einen Strich durch die gewissenlose Rechnung: Die gewiefte Marina (Catherine Zeta-Jones / Jasmin Tabatabai) drängt ihn dazu, den Helden zu geben. Das ist viel verlangt, denn auf ihrer Reise müssen sich Sinbad und Marina gegen mystische Monster und Eris (Michelle Pfeiffer / Daniela Hoffmann) zur Wehr setzen – die Göttin des Chaos...
Nicht nur die listige Eris, auch Marina und Sinbad haben einen mächtigen Schelm im Nacken: „Gladiator“-Autor John Logan rückte weit von dem ab, was man in Hollywood-Trickfilmen gewohnt ist. Sinbad ist ein störrischer, mieser Egoist, der noch dazu über unverschämtes Glück verfügt. Marina schließt sich ihm nicht etwa an, um ihm ins Gewissen zu reden – sie sucht vornehmlich eine Ausflucht, um ihren Abenteuerdurst zu stillen. Proteus letztlich wirkt zwischen diesen Teilzeit-Charakterschweinen derart leichtgläubig, dass es fast wehtut.
Das sind dornige Gefühle, die man nur höchst selten im US-Familienkino für die Hauptfiguren empfindet – doch sie sollten kein Grund sein, sich „Sinbad“ gar nicht erst anzuschauen! Insbesondere für ältere Trickfilmfans ist es erfrischend, ein gezeichnetes Abenteuer mit derartig widerborstigen Persönlichkeiten durchzustehen. Nicht zuletzt, weil Logan und die Regisseure Tim Johnson & Patrick Gilmore dieses atypische Charakterwachstum zu einer Spannungs-Triebfeder aufbauen: Nicht der Verbleib des Buchs des Friedens fesselt, sondern die Frage, wann sich Sinbads und Marinas Gewissen meldet!
Sinbad und die karibischen Flüche
Das Abenteuer, das diese Dickschädel erleben, dürfte „Fluch der Karibik“-Fans so manches Déjà-vu verschaffen: Es geht um einen wenig vertrauenerweckenden Seefahrer, einen integren jungen Mann und dessen verwegene Geliebte. Es gibt einen Kampf gegen ein Tentakelmonster, eine sich in die Geschicke der Sterblichen einmischende Göttin, eine Fahrt durch ein Eismeer und die Reise über den Rand der Welt! Wer nun wittert, dass die populäre Realfilmreihe dreisten Ideendiebstahl bei einem wenig bekannten Trickfilm betrieben hat, irrt jedoch:
Die Ähnlichkeiten haben einen nachvollziehbaren Ursprung! Bevor Logan die „Sinbad“-Drehbuchpflichten übernahm, entwarfen Ted Elliott und Terry Rossio die Story – die federführenden Autoren der ursprünglichen „Fluch der Karibik“-Trilogie! Wie sie auf ihrer Webpräsenz Wordplayer behaupten, sahen sie alle obig genannten Elemente bereits für „Sinbad“ vor, verkrachten sich allerdings mit dem damaligen DreamWorks-Animation-Chef Jeffrey Katzenberg.
Angesichts dessen überrascht es nicht, dass sie ihre „Sinbad“-Einfälle danach in einem anderen Medium mit neuem Kontext wiederaufleben ließen. Und wer will sich schon beklagen? In ihrer Umsetzung sind „Sinbad“ und die „Fluch der Karibik“-Saga tonal und dramaturgisch eigenständig genug, dass diese Parallelen letztlich Nebensächlichkeiten werden – und es kommt selbstredend der mediale Unterschied hinzu!
Brillante Hintergründe und eine göttliche Schurkin
Wie viele Trickfilme der frühen 2000er vereint „Sinbad“ im großen Stil Zeichentrick mit Computeranimation. Die Übergänge stechen zwar öfter ins Auge, manchmal sogar auf irritierende Weise. Jedoch ist dies angesichts des imposanten Produktionsdesigns und der wuchtigen Effektanimation leicht verziehen:
Die Hafenstadt Syrakus ist eine wahre Augenweide, die tückischen Fabelwesen hinterlassen imposanten Eindruck und die Actionpassagen sind einfallsreich-beschwingt. Die alles überragende Geheimwaffe des Films ist jedoch die göttlich animierte Eris: Unentwegt ist sie in Bewegung, ihre Haare fließen betörend, ihre Mimik ist ausdrucksstark sowie einschüchternd.
Diese gerissen-boshafte Figur mit gewaltiger Präsenz wertet „Sinbad“ im Alleingang zum Muss für Trickfilmfans auf – und hat noch dazu eine denkwürdige Erkennungsmusik: Was „The Last Duel“-Komponist Harry-Gregson Williams als verspielt-listige Komponente etabliert, verwandelt sich sukzessive zur schaurig-neckischen Bereicherung dieser rau-fabelhaften Filmwelt.
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