Er mag dem breiten Publikum nicht geläufig sein, ist aber einer der prestigeträchtigsten Regisseure der Kinogeschichte: Michelangelo Antonioni verantwortete mit dem Psychothriller „Blow Up“ einen Skandalklassiker, formte das europäische Kunstkino prägend mit und erreichte eine Ehre, die keinem anderen Regisseur zuteil wurde.
Antonioni wurde als einziger Regisseur der Geschichte mit der Goldenen Palme, dem Goldenen Löwe, dem Goldenen Bären, dem Goldenen Leopard sowie dem Oscar fürs Lebenswerk ausgezeichnet – also sämtlichen renommierten Filmpreisen des Westens.
Doch Antonioni hinterließ auch Spuren im Blockbusterkino, wenngleich posthum. Denn sein zum Underground-Klassiker aufgestiegener Riesenflop „Zabriskie Point“ ist die wichtigste Inspirationsquelle für eine der eindrucksvollsten „Inception“-Sequenzen!
"Zabriskie Point": Der explosive Abschluss der studentischen Protestbewegung
Das unbekümmerte Hippiemädchen Daria (Daria Halprin) lernt den ungestümen, politisch aktivistischen Mark (Mark Frechette) kennen. Sie finden zügig einen Draht zueinander, treiben ihre Spielchen miteinander, pflegen eine sexuell hemmungslose Beziehung. Dann kommt es zum Bruch. Im politischen Klima der Vereinigten Staaten, sowie zwischen Daria und Mark...
Bei der bildgewaltigen Aufbereitung dessen, wie sich die sozialpolitische US-Gegenbewegung der 1960er-Jahre ein letztes Mal aufbäumt und zu ihrem bitteren Ende findet, machte Antonioni keine halben Sachen: Sein Underground-Drama soll sieben Millionen Dollar gekostet haben! 1968, als die Dreharbeiten zu „Zabriskie Point“ aufgenommen wurden, war das eine stattliche Summe, erst recht in diesem Genre.
Doch das Budget ist dem mit Rock-Knallern bestückten, visuell imposanten Anti-Establishment-Film durchweg anzumerken. Falls ihr euch selbst einen Eindruck verschaffen möchtet: „Zabriskie Point“ ist derzeit via Amazon Prime Video als VOD verfügbar,
Die zeitgenössische Kritik und das Publikum waren aller Ambition zum Trotz kaum beeindruckt: An den Kinokassen nahm „Zabriskie Point“ bloß eine Million Dollar ein, auch ein Großteil der Filmpresse war wenig angetan. Im Standardwerk „The Fifty Worst Films of All Time (and How They Got That Way)“ wählten die Autoren Harry Medved und Randy Dreyfuss das Hippie-Drama sogar zum „schlechtesten Film, den jemals ein genialer Regisseur gemacht hat“.
Zwei verschiedene, zerplatzende Träume
Diesen Ruf schüttelte „Zabriskie Point“ sukzessive ab: Mittlerweile gilt er als Underground-Kultklassiker, der ebenso intensiv wie poetisch die Implosion der 1960er-Counterculture einfängt. Eine spektakuläre Bilderfolge im einzigartigen Finale des Films formte zudem die Traumbilder in Christopher Nolans monumentalem Kassenschlager „Inception“!
Wer „Inception“ gesehen hat, erinnert sich mit Sicherheit an diese Szene: Protagonist Dom Cobb (Leonardo DiCaprio) erläutert Ariadne (Elliot Page) die Regeln der Traumwelt. Während sie in einem Pariser Café sitzen, weist Cobb darauf hin, dass man sich nie an den Anfang eines Traums erinnert, da Träume stets mittendrin zu beginnen scheinen.
Cobb fragt Ariadne anschließend, wie sie zum Café gekommen sind – worauf Ariadne keine Antwort hat und realisiert, sich in einem Traum zu befinden. Dieser bricht in sich zusammen: Die Gesetze der Physik werden außer Kraft gesetzt, Dinge fliegen grundlos in die Luft und explodieren. Falls ihr nun Lust bekommen habt, „Inception“ noch einmal zu sehen (oder nachzuholen): Derzeit ist der Megahit bei Prime Video im Abo enthalten!
Der explodierende Traum in „Inception“ erinnert frappierend an das gewaltige Finale von „Zabriskie Point“, in dem sinnbildlich der amerikanische Traum zerbirst: Es beginnt mit einem explodierenden Haus und wird in Superzeitlupe immer detaillierter und filigraner, bis auch Bücher chaotisch durch die Luft gleiten. Die Idee, so in „Inception“ Parallelen zu Antonionis Kultklassiker herzustellen, kam jedoch nicht Nolan!
Wie "Inception" zu "Zabriskie Point" fand
Der Einfall kam Effektkünstler Paul Franklin, der für „Interstellar“ und „Inception“ mit je einem Oscar ausgezeichnet wurde. Das verriet Franklin im Kollegengespräch mit Jonas Ussing, der als VFX-Künstler unter anderem am indischen Blockbuster „RRR“ mitwirkte und auf seinem YouTube-Kanal The Movie Rabbit Hole mit Missverständnissen über CGI aufräumt.
„Nolans Drehbücher beschreiben sehr genau – sie zeigen die Handlung auf, sorgen dafür, dass du die Emotionen verstehst und die visuelle Geschichte begreifst, die er erzählen will. Aber sie schreiben nicht vor – sie sagen dir nicht, wie du etwas zu machen hast“, erläutert Franklin im Interview mit Ussing. Er führt fort, dass Nolans Skript verdeutlicht, dass besagte Szene bildlich vorführen muss, wie Ariadne die Kontrolle über die Traumwelt verliert, dadurch in Panik gerät und der Traum daher umso intensiver zerbricht.
„Da ich wusste, dass Chris[topher Nolan] so viel davon wie möglich real umsetzen möchte, habe ich überlegt, was ich bereits alles gesehen habe, das solch einen Look meisterte“, so Franklin, der sich daher an die Explosionen in „Zabriskie Point“ erinnerte. „Es fühlt sich nicht so an, als würden die Sachen fallen – sie scheinen zu schweben und durch die Luft zu taumeln“, schwärmt Franklin. „Wir fanden, dass das das perfekte Referenzmaterial sei“, fasst er die unwirklich scheinende Szene zusammen.
Er verrät auch, dass man letztlich beschloss, in dieser „Inception“-Sequenz auch einen Bücherstand in die Luft zu sprengen, um direkt auf „Zabriskie Point“ zu verweisen. Letztlich nutzte man einen cleveren Mix aus realen Explosionen und digitalen Tricks, um das Feeling der „Zabriskie Point“-Sequenz aufleben zu lassen, aber DiCaprio und Page mitten in dieses Chaos zu versetzen, was rein praktisch niemals möglich gewesen wäre.
Doch nicht nur der Look von „Inception“ ist eindrucksvoll, sondern auch der Sound. Und ein Stück auf dem „Inception“-Soundtrack hat ein berührendes Eigenleben entwickelt, wie wir euch im folgenden Artikel näher erläutern:
"Ich werde dich nie vergessen": Aus diesem traurigen Grund ist die Musik aus Christopher Nolans "Inception" so bedeutungsvoll*Bei den Links zum Angebot von Amazon handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diese Links oder beim Abschluss eines Abos erhalten wir eine Provision. Auf den Preis hat das keinerlei Auswirkung.