Die Idee von „Alles steht Kopf“ ist so einfach wie genial: Was wäre, wenn die verschiedenen Emotionen in den Köpfen der Menschen in Wahrheit Figuren wären, die sich regelmäßig um die Vorherrschaft an einem Gefühls-Schaltpult kabbeln müssen? Unter der Regie von Pete Docter („Die Monster AG“, „Oben“) avancierte der ebenso clevere wie emotionale Animations-Blockbuster nicht nur zum Publikums-Megahit – sondern auch zu einem modernen Pixar-Klassiker!
Jetzt kommt Teil 2 – und damit ein Nachschub an neuen Emotionen: Pubertät! Plötzlich ist nichts mehr wie zuvor, die Gefühle Zweifel, Peinlich, Neid und Ennui übernehmen das Schaltpult im Kopf der 13-jährigen Riley, während die alteingesessenen Emotionen Freude, Kummer, Angst und Wut ihren Platz räumen müssen. Wir haben mit „Alles steht Kopf 2“-Regisseur Kelsey Mann bei einem exklusiven One-on-One-Zoom-Call gesprochen – und ihm dabei nicht nur nach den besonderen Herausforderungen dieses Films, sondern vorausschauend auch schon mal nach „Alles steht Kopf 3“ ausgequetscht.
"Oh mein Gott, soll ich das wirklich machen?"
FILMSTARTS: Sein Regiedebüt ausgerechnet mit einem so heiß erwarteten Film wie „Alles steht Kopf 2“ zu geben, stelle ich mir gleichermaßen großartig und furchteinflößend vor. Wie war das, als du den Job übernommen hast – und welches der Gefühle hat am Ende den Sieg in deinem Kopf davongetragen?
Kelsey Mann: Diese Erinnerung ist auch jetzt, Jahre später, noch ziemlich klar, weil sie für mich wirklich prägend war. Es hat lange gedauert, bis ich überhaupt zu Pixar gekommen bin. Ich habe als Story Artist angefangen – und wenn ich in dem Job bis zur Rente gearbeitet hätte, wäre ich auch so unglaublich glücklich gewesen. Aber dann bekam ich immer mehr Chancen. Plötzlich bekam ich die Möglichkeit, als Story Supervisor zu arbeiten. Das habe ich bei einigen Filmen gemacht, und dann hat mich unser Chef Pete Docter zu einem Meeting eingeladen.
Ich hatte keine Ahnung, worum es ging. Und sie fragten mich, ob ich nicht Interesse hätte, über Ideen für eine weitere Geschichte in der Welt von „Alles steht Kopf“ nachzudenken. Weißt du, da ist definitiv ein bisschen Angst dabei, so nach dem Motto: „Oh mein Gott, soll ich das wirklich machen?“ Aber schlussendlich hat doch Freude den Platz an meinem Schaltpult übernommen, denn wie oft bekommt man eine solche Chance schon? Also ging ich am nächsten Tag zurück und sagte: 1.000 Prozent, ich bin dabei!
FILMSTARTS: Immer wenn ich „Alles steht Kopf“ sehe, dann bewerte ich danach zwei, drei Tage lang alle meine sozialen Interaktionen anhand von fiktiven Figuren, die da plötzlich in meinem Kopf an einem Schaltpult sitzen. Wie geht es einem da erst, wenn man jahrelang jeden Tag an einem solchen Film gearbeitet hat?
Kelsey Mann: Sie tauchen oft auf, aber ich denke, auf eine gute Weise. Unser Film befasst sich viel mit der Emotion Zweifel – und das aus einem guten Grund: Sie tauchte plötzlich in meinem Kopf auf, als ich ein Teenager war, und sie ist immer noch da, speziell bei der Arbeit an einem solchen Film, der so lange dauert, da gibt es viel Druck.
Ein Projekt wie „Alles steht Kopf 2“ ist echt hart – und genau wie im Film hilft es, den Vorhang zurückzuziehen und zu verstehen, was in unseren Köpfen vor sich geht, um diese Emotionen zu beruhigen. Deshalb finde ich es wirklich hilfreich, weil vieles, was ich in den Film eingebracht habe, Wege sind, um mit deinen Gefühlen umzugehen und sie zu bewältigen. Oft denke ich: Mein Zweifel hat gerade das Steuer übernommen. Muss das wirklich sein? Auch Zweifel hat ja einen Job, nämlich uns zu schützen. Aber wenn alles in Ordnung ist, dann muss man Zweifel auch sagen können, dass sie zurücktreten soll: „Es ist alles okay, keine Sorge.“
FILMSTARTS: Kannst du die vier neuen Emotionen Zweifel, Neid, Peinlich und Ennui danach ranken, wie schwer es war, das richtige Design für sie zu finden?
Kelsey Mann: Von den vier neuen Emotionen würde ich sagen, dass Zweifel ziemlich schwierig war. Ich habe ihr Vorgehen immer als eine Art emotionale Übernahme gepitcht, also wusste ich, dass sie der Antagonist des Films sein würde. Aber zunächst wirkte sie zu sehr wie eine typische Bösewicht-Figur, die nicht wirklich realistisch erschien. Ihr Design hat sich im Laufe der Produktion deshalb stark verändert. Neid war auch ziemlich schwer, weil man sie leicht mit Eifersucht verwechseln kann. Außerdem soll ja jedes Gefühl auch eine potenziell positive Seite haben, aber was genau ist die positive Seite von Neid? Es hat eine Weile gedauert, bis wir ihren Charakter richtig hinbekommen haben.
Peinlich hat auch eine Weile gedauert. Anfangs hat er viel mehr gesprochen. Aber dann habe ich bei meiner Tochter etwas bemerkt: Sie war immer sehr gesprächig, aber nach ihrem 13. Geburtstag wurde sie plötzlich sehr still. Und ich dachte: „Oh mein Gott, Peinlich sollte es peinlich sein, überhaupt zu sprechen.“ Zudem hat sich seine Größe verändert. Er war anfangs fast so klein wie Traurigkeit. Aber dann war ich wirklich begeistert von der Idee, dass Peinlich der größte Charakter sein sollte, weil gerade das sein schlimmster Albtraum ist. Wenn du peinlich berührt bist, willst du dich möglichst klein machen. Aber er ist so groß, dass er sich nicht verstecken kann. Das fühlte sich richtig für ihn an.
Glaub es oder nicht, bei Ennui war das Haar das Herausforderndste. Die Simulation ihrer Haare war wirklich schwierig. Oft mussten wir sie an einem Ort belassen, weil Bewegung mit ihren Haaren zu teuer und kompliziert gewesen wäre. Aber zum Glück will Ennui ja eigentlich sowieso keinen Finger rühren. Also war es ziemlich einfach, sie nicht zu bewegen. Wir hatten früh die Idee, dass sie wie eine nasse Nudel designt ist. Wenn ich die vier Emotionen also in eine Reihenfolge bringen müsste, würde ich sie wahrscheinlich in dieser Reihenfolge einordnen.
Wie kam es zu Ennui
FILMSTARTS: Warum Ennui und nicht einfach Langeweile? Wolltet ihr ein bisschen mit euren Fremdsprachenkenntnissen angeben oder wolltest du einfach unbedingt mit Adèle Exarchopoulos (spricht die Figur im englischen Original) zusammenarbeiten?
Kelsey Mann: Ich wünschte, ich wäre selbst auf Adéle gekommen, als wir an dem Charakter gearbeitet haben: Sie ist perfekt für die Rolle, und ich kann es kaum glauben, dass wir sie bekommen konnten. Aber der Grund, warum sie Ennui und nicht Langeweile verkörpert, ist folgender: Riley schlittert in die Pubertät – und Freude muss mit all diesen neuen Emotionen klarkommen, die Riley in dieser komplexen Phase viel besser zu verstehen scheinen als sie selbst.
Ich dachte, dass es da doch spannend wäre, einen Charakter zu haben, bei dem Freude schon am Namen scheitert. So nach dem Motto: „Warte, was bist du?“ Sie weiß nicht, wie man ihren Namen richtig ausspricht, geschweige denn, was er bedeutet. Und obendrein ist Ennui bilingual, ist also offensichtlich fortschrittlicher als Freude. Ich wollte, dass Freude sich von diesen neuen Emotionen eingeschüchtert fühlt. Deshalb ist Ennui im Film gelandet.
FILMSTARTS: Ist „Alles steht Kopf 2“ für dich vornehmlich Unterhaltung – oder würdest du Eltern empfehlen, den Film mit ihren Kindern kurz vor der Pubertät zu sehen, um eventuell etwas mehr Verständnis füreinander zu schaffen?
Kelsey Mann: Ich würde es mir wünschen. Ich bin Vater und habe jetzt zwei Kinder. Mein Sohn ist 17 und meine Tochter ist 16. Es gibt nur sehr wenige Filme, bei denen ich sagen kann: „Lasst uns diesen Samstag zusammen ins Kino gehen.“ Ich wollte einen dieser Filme machen, und ich fühle mich so glücklich, bei Pixar zu arbeiten, weil wir die Möglichkeit haben, genau solche Filme zu machen. Davon gibt es meiner Meinung nach nicht genug.
FILMSTARTS: In Rileys Erinnerungen finden sich eine 2D-Figur aus ihrer Lieblingsserie aus Vorschulzeiten sowie ein Charakter aus einem Action-Videospiel in Pixel-3D-Grafik. War es besonders schwer, diesen vom Rest des Films abweichenden Look hinzubekommen – oder war es im Gegenteil sogar besonders leicht, weil die beiden Figuren mit ihrem abweichenden Look ja bewusst aus dem Film herausstechen sollen?
Kelsey Mann: Es war wirklich hart. Tatsächlich waren wir uns nicht sicher, wie der Bloofy-Charakter aussehen sollte. Es ist eines von Rileys Geheimnissen, weil sie immer noch gerne eine Vorschulsendung schaut, obwohl sie ein Teenager ist. Das war immer die Idee, aber wir waren uns nicht sicher, was für eine Art von Show es genau sein sollte. Ist das ein 2D- oder ein 3D-Charakter? Anfangs dachte ich, es würde ein 3D-Charakter sein, aber mit wirklich eingeschränkter Animation, weil er aus einer dieser Shows stammt, die kein großes Budget haben. Aber dann kamen die Animatoren und sagten: „Was, wenn es 2D ist? Das wäre so cool.“ Es ist viel schwieriger, das zu machen. Aber alle waren so begeistert von der Herausforderung.
Das ist etwas, was ich an Pixar liebe – die Leute scheuen sich nicht davor, sich einer echten Herausforderung zu stellen. Und so haben wir uns nicht nur bei Bloofy, sondern auch bei Lance Slashblade, dem Videospielcharakter, in den Riley heimlich verliebt ist, auf diese Herausforderung eingelassen.
FILMSTARTS: Disney-Chef Bob Iger hat kürzlich verkündet, dass das Studio fortan noch stärker auf seine erfolgreichen Franchises setzen will. Wurdest du also schon gefragt, ob du nicht eventuell auch schon Ideen für „Alles steht Kopf 3“ in der Schublade liegen hast?
Kelsey Mann: Nein, dieses Meeting hatte ich zum Glück noch nicht. Das Einzige, woran ich momentan denke, ist, diesen Film in die Welt zu bringen und dann eine Pause zu machen. Ich könnte wirklich einen Urlaub gebrauchen.
„Alles steht Kopf 2“ (» zur ausführlichen FILMSTARTS-Kritik) läuft seit dem 12. Juni 2024 in den deutschen Kinos – und hat da vor allem nach den bisherigen Rekordmeldungen sicherlich nicht die schlechtesten Chancen. Im nachfolgenden Artikel erfahrt ihr zudem noch etwas zu einer gelungenen Entscheidung bei der deutschen Synchronbesetzung:
"Wer wird Millionär?"-Legende in "Alles steht Kopf 2" - darum passt diese Synchro wie die Faust aufs Auge