Eine absolut würdige Fortsetzung für den Pixar-Klassiker!
Von Christoph PetersenPlötzlich blinkt der rote Alarmknopf wild drauflos. Pubertät! Ein Bauarbeitertrupp stürmt die Kommandozentrale im Kopf der 13-jährigen Riley (Stimme im Original: Kensington Tallman), wo die bereits aus dem ersten Teil bekannten Freude (Amy Poehler), Kummer (Phyllis Smith), Angst (Tony Hale), Ekel (Liza Lapira) und Wut (Lewis Black) mit der Situation völlig überfordert sind. Sogar das Sofa wird mit einer Motorsäge in der Mitte durchtrennt, um zusätzlichen Platz zu schaffen für die neuen Emotionen, die Riley in ihrer anstehenden Teenager-Phase benötigen wird: Zweifel (Maya Hawke), Neid (Ayo Edebiri), Peinlich (Paul Walter Hauser) und Ennui (Adèle Exarchopoulos) übernehmen langsam, aber sicher die Herrschaft über das Kontrollpult. Und bevor das ganze Handwerker-Chaos wieder beseitigt werden kann, ist erst einmal Mittagspause.
Mit „Toy Story“, dem ersten abendfüllenden computeranimierten Film der Geschichte, hat Pixar 1995 nicht weniger als eine Revolution des Animationsgenres angestoßen. Seitdem galt stets die Maxime, dass Fortsetzungen nur angegangen werden, wenn die Story stimmt. Aber in den vergangenen Jahren hat auch beim „Die Monster AG“-Studio der Druck zugenommen: Erst kürzlich hat Disney-Boss Bob Iger in einem Call mit Investoren noch einmal bestätigt, dass sich die Animationssparte in näherer Zukunft erst einmal auf Sequels konzentrieren wird – und was läge da näher, als „Alles steht Kopf“ von „Oben“-Mastermind Pete Docter fortzusetzen? Immerhin ist das oscarprämierte Meisterwerk bis heute das zweiterfolgreichste Pixar-Original überhaupt (das Einspielergebnis von ca. 850 Millionen Dollar wurde bislang nur von „Findet Nemo“ mit 940 Millionen Dollar übertroffen).
Wie bei der Pubertäts-Riley heult bei solchen Aussagen auch im Kopf von innovationshungrigen Pixar-Fans der Alarmknopf los. Aber keine Angst, die Zweifel an „Alles steht Kopf 2“ waren unangebracht. Kummer, Ekel und Wut kann man beim Kinobesuch beruhigt zu Hause lassen, und neidisch werden hier höchstens die anderen Studios. Debütregisseur Kelsey Mann und sein Team punkten nicht nur mit cleveren Einfällen fast schon im Sekundentakt, sondern begegnen dem pubertären Gefühlswirrwarr ihrer Eishockey-fanatischen Protagonistin auch mit einer Aufrichtigkeit, die erstaunlicherweise null peinlich ist. Selbst Ennui-geplagte Teenies sollten deshalb ihre Null-Bock-Attitüde überwinden und sich ins nächste Lichtspielhaus schleppen.
Ob sich die Drehbuch-Verantwortlichen einfach noch sehr, sehr gut an ihre eigenen Flegeljahre erinnern konnten oder ob es nicht doch geholfen hat, reale Teenager*innen in die Story-Findung mit einzubeziehen, können wir im Nachhinein auch nicht sagen. Auf jeden Fall ist das Ergebnis trotz einer klaren Moral so gar nicht „cringe“, sondern scheint tatsächlich geeignet, zumindest ein klitzekleines bisschen zum Verständnis zwischen Pubertierenden und Erziehenden beizutragen (vor allem auch, weil an den passenden Stellen häufig kurz in die Kommandozentralen in den Köpfen von Rileys aktuellem Gegenüber hinüber geschaltet wird).
Natürlich gibt es auch diesmal wieder allerlei Wortspiele, die mit den Geschehnissen in Rileys Kopf zu tun haben (und zwar sowohl im englischen Original als auch in der deutschen Synchro, wobei es nicht immer dieselben sein müssen): So zieht bei der Reise von Freude & Co. zum Hinterkopf plötzlich ein aus Gedanken bestehendes Unwetter auf, ein sogenannter „Brainstorm“! Aber die eigentliche Qualität der zahllosen Einfälle zu den Abläufen im menschlichen Gehirn liegt zum Glück nicht allein in ihrer Tauglichkeit für Kalauer. Stattdessen sind viele Situationen im selben Moment derart abstrakt und doch präzise, dass man sich in ihnen sofort selbst wiedererkennt. So zum Beispiel, als Riley in der Nacht vor einem bedeutenden Eishockey-Vorspielen fürs Highschool-Team nicht einschlafen kann:
Massenhaft merkwürdige Blob-Wesen hocken da in der Fantasie-Werkstatt an Zeichentischen, die sicher nicht zufällig an ein klassisches Disney-Studio erinnern, um sich schon mal den kommenden Tag auszumalen: Während Zweifel vor allem wissen will, was alles grausam schiefgehen könnte, womit Riley endgültig in eine ruhelose Panik versetzt wird, steuert Freude mit positiven Fantasien vom Siegen und von Freundschaft dagegen, um vielleicht doch noch ein paar Stunden Schlaf vor der wichtigen Partie zu ermöglichen. Wer kennt das nicht? Es ist auch im Sequel kaum weniger erstaunlich, mit welcher Cleverness hier neurobiologische Abläufe mit den anthropomorphen Emotionen in ein kunterbuntes, aber nichtsdestoweniger immer nachvollziehbares Gefühlsuniversum übersetzt werden.
Wie im Vorgänger müssen die zwischenzeitig in den Geheimnis-Safe gesperrten Gefühle irgendwie zurück den Weg in die Kommandozentrale finden, um Zweifel doch noch rechtzeitig Einhalt zu gebieten. Dabei gibt es meist mehr, manchmal aber auch weniger gelungene Stationen auf dem temporeichen Gefühls-Roadtrip. Dass „Alles steht Kopf 2“ trotz kleinerer Hänger so hervorragend funktioniert, liegt auch an den Neuzugängen in Rileys Kopf:
Peinlich, Neid und Ennui steuern verlässlich zündende (Slapstick-)Pointen bei, während sich Zweifel als wirklich starke Antagonistin entpuppt: Man nimmt ihr einfach ab, dass sie mit ihrer Selbstzweifel schürenden Führung tatsächlich nur das Beste für Rileys Zukunft an der Highschool will. Auch das Sequel bleibt der zentralen Erkenntnis des Originals treu, dass jede Emotion durchaus ihre Berechtigung hat. Der Mix macht’s.
Nachdem speziell „Toy Story 4“ neue Maßstäbe im Bereich nahezu fotorealistischer Computeranimationen gesetzt hat und „Elemental“ im vergangenen Jahr vor allem mit atemberaubenden Animationen von Feuer und Wasser begeistern konnte, liefert „Alles steht Kopf 2“ zwar auch die übliche, dem Großteil der Konkurrenz haushoch überlegende Pixar-Qualität, die ganz großen technischen Sprünge bleiben allerdings aus. Stattdessen toben sich die Animator*innen bei zwei besonderen Gaststars aus:
Mit dem an das Kinderfernsehen-Phänomen „Bluey“ angelehnten Hund Bloofy taucht eine 2D-Figur samt Bauchtaschen-Sidekick wie aus einer niedrig budgetierten Vorschul-Serie auf – und Rileys heimlicher Schwarm Lance Swordblade ist ein pixeliger Samurai wie aus dem Nintendo-Beat-´em-Up „Super Smash Bros.“. Eine verspielte Erweiterung des bekannten 3D-Looks, der sicherlich auch tricktechnisch sehr viel herausfordernder war, als es auf den ersten Blick womöglich den Eindruck macht.
Fazit: „Alles steht Kopf“ war damals so originell und überraschend, das lässt sich schlicht nicht wiederholen. Trotzdem ist „Alles steht Kopf 2“ eine absolut würdige Fortsetzung, gerade weil der Film die unterschiedlichen Gefühle in all ihrer Komplexität erfreulich ernst nimmt und auch die unerfreulicheren Seiten des Lebens und der Pubertät ihren verdienten Platz erhalten!