Etwas altbackene, aber stilvoll-ausdrucksstarke Mode. Überfüllte Räume, dezent gebrochene Bildsymmetrie. Ein Soundtrack, der wie ein Best-of der Platten klingt, die im staubigen Vinyl-Laden für die Stammkundschaft reserviert sind: Wes Anderson hat einen unverkennbaren Stil, den er seit Jahrzehnten leicht variiert, doch konsequent durchzieht. Aber auch in dieser Filmografie voller Konstanten gibt es Bewegung.
Mich etwa drohte Anderson mit seinem Oscar-Abräumer „Grand Budapest Hotel“ zu verlieren. Dafür bin ich Fan von „Asteroid City“, den unser Chefkritiker Christoph Petersen ermüdend fand. „Kennst du einen, kennst du alle“ lässt sich also keinesfalls sagen. Was ich unterschreiben würde: „Liebst du einen, willst du sie alle sehen!“
Denn seit ich erstmals „Die Royal Tenenbaums“ gesehen und begeistert aufgesogen habe, kann ich nicht anders, als gespannt jeden neuen Anderson-Film zu erwarten. So tief hat sich der Film in mein Herz gebrannt. Und nicht nur in meines: Die BBC kürte ihn zu einem der 100 besten Filme des 21. Jahrhunderts, Empire zu einem der 200 besten Filme aller Zeiten. Ich würde ihn sogar höher platzieren. Egal, ob ihr ihn nachholen oder auffrischen möchtet: „Die Royal Tenenbaums“ ist im Abo von Disney+ enthalten.
"Die Royal Tenenbaums": Er dachte, ihnen liegt die Welt zu Füßen
Es schien, als hätte Royal Tenenbaum (Gene Hackman) der Welt unaufhaltsame Genies beschert: Sein Sohn Chas war ein ausgebuffter Wirtschaftsexperte, sein Sohn Richie umjubeltes Tennis-Ass. Und Adoptivtochter Margot machte in Kinderjahren als Bühnenautorin von sich reden. Aber alles Glück brach auseinander. Royals Frau Etheline (Anjelica Huston) verlangte die Trennung und wurde zur Archäologin, die sich bei Steuerberater Henry Sherman (Danny Glover) geborgener denn je fühlt.
Chas (Ben Stiller) wurde zum hypernervösen Helikoptervater. Richie (Luke Wilson) zum seltsamen Ex-Sportler, der die Weltmeere befährt. Margot (Gwyneth Paltrow) gab ihre Kreativität auf, heiratete den deutlich älteren Neurologen Raleigh St. Clair (Bill Murray) und ist nun schwermütige Geheimniskrämerin.
Bloß der suchtmittelabhängige Ex-Nachbarsjunge Eli Cash (Owen Wilson) klammert sich als erfolgreicher, aber mäßig geachteter Autor verzweifelt an den einstigen Glanz der Tenenbaums. Ein desolater Zustand, den Royal zu ändern beschließt: Er behauptet, sterbenskrank zu sein, zieht zurück zu Etheline und forciert eine Rückkehr des früheren Familiensinns. Das kann nicht so klappen, wie er es sich ausmalt...
Kauziger Witz ...
Durch ihre Stilisierung und Erzählweise können manche Anderson-Filme distanzierend wirken – so erging es mir mit „Grand Budapest Hotel“. In „Die Royal Tenenbaums“ dagegen intensivieren Andersons Markenzeichen die Erfahrung. Die Passagen, in denen die fiktionale Buchvorlage gezeigt wird, die einordnende Erzählstimme, die theatralen Kulissen: All dies entwickelt zunächst kauzig-exzentrischen Humor.
Der passt perfekt zu den Dickschädeln, um die sich der Film dreht, und aus deren Eigenschaften Anderson und sein Co-Autor Owen Wilson viel Witz ziehen. Wie aus dem Umstand, dass sich der von Wilson gespielte Stadtjunge als Cowboy vermarktet, oder der unbeabsichtigte Zynismus, der ständig Stillers besorgtem Vater herausrutscht:
Wenn nicht gerade eine eklatante Schere aus dem Gesagten und dem Gezeigten komödiantischen Effekt hat, dann sind es weltfremde Aussagen der Figuren oder eine harmlos-massive Form der Fehlkommunikation. Gräben, die durch Andersons Stil besonders groß wirken.
... intensive Emotion
Andersons Stilistik intensiviert ebenso die rührende Komponente dieser Geschichte: Royal glaubt, dass in seiner Familie einst alles perfekt lief, und nur er wieder Ordnung herstellen kann. Nach und nach muss er aber einsehen, dass es nie eine Tenenbaums-Glanzzeit gab. Er ist nostalgisch für eine Zeit, die er sich eingebildet hat. Das Einzige, was der disharmonischen Truppe also bleibt, wäre es, sich erstmals einem Einklang zu nähern.
Die warme, distanzierende Erzählstimme, die Aufnahmen des fiktiven, hübsch-betagten Tenenbaums-Romans, die schöne Auswahl an reumütigen bis geradewegs deprimierten Musikstücken aus vergangenen Zeiten: All dies unterstreicht Royals Sehnsucht, eine Vergangenheit zu rekreieren, die nicht existiert.
Auch die übertrieben ausstaffierten, teils erdrückenden Kostüme, die die Figuren wie identitätsstiftende Uniformen auftragen, schlagen in diese Kerbe. Oder Details wie der Vorratsschrank voller Gesellschaftsspiele, in den sich Royal verkriecht: Wären gemeinsame Spieleabende bei den Tenenbaums so bedeutsam, wie die Existenz dieser Spielekammer suggeriert, gäbe es unter den zahlreichen Rückblenden eine, die sich auf einen schönen Spieleabend konzentriert. Die bleibt aber aus – was mir im Verlauf der Geschichte mehr und mehr leid tut.
Denn eingangs mag „Die Royal Tenenbaums“ wie ein Film wirken, der sich über diese wohlhabende Familie und ihren Absturz lustig macht. Doch nicht nur, dass wir durch die zugespitzten, aber stets einen wahrhaftigen emotionalen Kern aufweisenden Ereignisse diese Chaosköpfe kennen und lieben lernen: Allerspätestens die mit „Needle In The Hay“ unterlegte Gänsehautszene rund um den emotional tief verletzten Richie zeigt, wie ernst Anderson die Geschichte nimmt. Schlussendlich ist „Die Royal Tenenbaums“ eine universelle Erzählung:
Es geht nicht darum, Mitleid mit vermeintlich bessergestellten Figuren zu entwickeln. Sondern darum zu erkennen, dass die Tenenbaums als ultimative Zuspitzung von Problemen dienen, die in jeder Familie vorkommen können, wir also nicht allein sind. Bei den Tenenbaums kommt bloß jedes einzelne emotionale Problem zusammen – und wir dürfen uns wie im Süßwarenladen daraus das aussuchen, das uns persönlich die größten Zahnschmerzen bereitet. Und die hübsch-nostalgische Verpackung spendet danach Trost.
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