Es war ein Coup für den schwarzen Ex-Journalisten und Drehbuchautoren Cord Jefferson: Nachdem er jahrelang als Autor an Serien wie „Master of None“, „The Good Place“ und „Watchmen“ mitgeschrieben hatte, wandte er sich vor ein paar Jahren dem Roman „Ausradiert“ (im Original: „Erasure“) von Percival Everett zu.
Jefferson schrieb nicht nur das auf diesem Roman basierende Drehbuch, sondern führte beim hierzulande „Amerikanische Fiktion“ betitelten Film auch erstmals selbst Regie. Bei der diesjährigen Oscar-Verleihung war „Amerikanische Fiktion“ mehrfach nominiert und gewann schließlich eine Auszeichnung für das „Beste adaptierte Drehbuch.
Und das völlig zu Recht, denn „Amerikanische Fiktion“ greift die zentralen Aufreger-Themen von „Ausradiert“ auf satirisch zugespitzte, aber zugleich angenehm vielschichtige Weise auf. Klingt nach einem Film für euch? Dann findet ihr „Amerikanische Fiktion“ im Abo bei Amazon Prime Video:
Im Mittelpunkt steht der in Los Angeles lebende schwarze Schriftsteller und College-Professor Thelonious Ellison (Jeffrey Wright), von Freunden und Familie „Monk“ genannt. Zu Beginn von „Amerikanische Fiktion“ befindet sich Monk in einer Schaffenskrise:
Seine Romane haben Anspruch und genießen in akademischen Kreisen hohes Ansehen, verkaufen sich aber kaum. Zudem gerät er in seinen Literaturseminaren immer öfter mit sensiblen, vornehmlich weißen Student*innen aneinander, die sich von seiner Buchauswahl fürs Seminar getriggert fühlen.
Die Folge ist, dass Monk vorübergehend das College verlassen soll, um sich zu sammeln. Es verschlägt ihn in seine Heimatstadt Boston, wo er seine immer vergesslicher werdende Mutter besucht, um die sich hauptsächlich seine Schwester Lisa (Tracee Ellis Ross) und die Haushaltshilfe Lorraine (Myra Lucretia Taylor) kümmern. Doch sein Karriere-Ärger lässt ihn nicht los:
Bei einer Literaturveranstaltung fällt ihm das gut besuchte Panel von Erfolgsautorin Sintara Golden (Issa Rae) auf, die einen Roman namens „We's Lives In Da Ghetto“ veröffentlicht hat. Das Buch handelt von armutsbetroffenen und kriminellen schwarzen Figuren, die exakt den Stereotypen gegenwärtiger schwarzer Fiktion entsprechen, die Monk so verachtet. Und es verkauft sich blendend...
Voyeuristisch aufbereitetes Elend als Verkaufsschlager
„Amerikanische Fiktion“ greift damit wie Everetts Romanvorlage ein Gegenwarts-Phänomen auf, das an jüngere Beispiele wie den auf Sapphires Roman „Push“ basierenden Film „Precious - Das Leben ist kostbar“ erinnert. In diesem Drama spielte Gabourey Sidibe eine stark übergewichtige, schwangere, in ihrer Familie missbrauchte und HIV-infizierte Teenagerin, die sich mit Mühe, Not und Mut durchs Leben schlägt und dabei zahlreiche Demütigungen erträgt.
So gefeiert und berührend dieses Drama auch war (neben zwei Oscars gab es etwa starke 4 von 5 Sternen von FILMSTARTS), wirft es wie viele in ähnlichen Milieus spielende Produktionen die Frage auf, ob sich „schwarze“ Geschichten nur verkaufen, wenn sie von teils voyeuristisch aufbereitetem Elend und Gewaltexzessen handeln. „Amerikanische Fiktion“ trifft in satirisch zugespitzten, sehr lustigen Szenen durchaus zielsicher dieses Thema und stimmt entsprechend nachdenklich.
Familiäre Komplexität und ein Kunst-Kommerz-Konflikt
Doch Cord Jefferson hat seinem Film zudem viel Herz verliehen, indem er den Blick gleichermaßen auf Monks lange vernachlässigtes Familienleben richtet: Bald stellt sich nämlich heraus, dass die Vergesslichkeit seiner Mutter auf eine rapide voranschreitende Alzheimer-Erkrankung zurückzuführen ist. Ein plötzlicher Schicksalsschlag sorgt zudem dafür, dass Monk sich allein um ihr Wohlergehen kümmern muss, was seine finanziellen Mittel zu erschöpfen droht.
Dabei ist ihm sein Bruder Cliff (Sterling K. Brown), ein plastischer Chirurg, der seine Homosexualität so lange unter Verschluss hielt, bis sie ihm spektakulär um die Ohren flog, keine große Hilfe: Er lässt keine Gelegenheit aus, Monk wegen seiner akademischen Überheblichkeit aufzuziehen und fühlt sich von seiner Mutter ohnehin nicht akzeptiert. Die Ellisons haben eine komplizierte Familiengeschichte, die Cord Jefferson mit viel Gefühl fürs Zwischenmenschliche, das Nicht-Gesagte und dennoch im Raum Schwebende aufbereitet.
Zugleich gelingt es ihm aber, den komödiantischen Aspekt weiter voranzutreiben: In einer sorgen- und alkoholumnebelten Nacht beginnt Monk nämlich einen als Satire gedachten Roman im Stile von Sintara Goldens Erfolgswerk zu schreiben und nennt ihn „My Pafology“. Zu seiner großen Verwunderung avanciert „My Pafology“ aber in Verlagskreisen bald zum heiß gehandelten, betont „schwarzen“ Roman, da dort niemand Monks sarkastisches Ansinnen versteht.
Nichtsdestotrotz kann er das Geld gut gebrauchen. Und ebendieser Kunst-Kommerz-Konflikt bringt Monk bald an den Rand der Verzweiflung und stellt ihn schließlich vor selbstkritische Fragen. Diese bereitet „Amerikanische Fiktion“ auf gleichermaßen launige wie gefühlvolle Weise auf, kommt dabei ohne Belehrungen oder Abflachungen aus und präsentiert schließlich ein vieldeutiges Ende, das diesen sehr sehenswerten Film konsequent abrundet.
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