Am 29. Februar 2024 ist „The Zone Of Interest“ in den deutschen Kinos gestartet. Jonathan Glazers vielschichtige Auseinandersetzung mit der Banalität des Bösen gehört dabei definitiv zu den interessantesten Filmen des aktuellen Kinojahres – nicht ohne Grund hat das experimentelle Drama in unserer FILMSTARTS-Kritik fantastische 4,5 Sterne erhalten und schrammt damit nur knapp an der Bestnote vorbei. Dazu kommen gleich fünf Oscarnominierungen!
„The Zone Of Interest“ ist ein verdammt unangenehmer Film, der seine Zuschauer*innen noch Tage nach dem Kinobesuch nicht loslassen wird. Im Mittelpunkt steht die Familie von Rudolf Höß (Christian Friedel), seines Zeichens Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz. Beheimatet ist dieser mit seiner Frau Hedwig (Sandra Hüller) und seinen Kindern direkt neben dem Schauplatz unmenschlicher Verbrechen. Nur eine Mauer trennt ihren schönen Garten von jenem Ort, an dem tagtäglich Menschen gequält, vergast und verbrannt werden.
FILMSTARTS-Redakteur Stefan Geisler hatte die Gelegenheit, bereits vor Kinostart mit Sandra Hüller und Christian Friedel über ihren Film, die Unmöglichkeit eines Lebens im Schatten von Auschwitz, moderne Wohlstandsmauern und die Wichtigkeit menschlicher Facetten selbst in der Figur eines Massenmörders zu sprechen.
Schon die Dreharbeiten zu „The Zone Of Interest“ haben sich besonders gestaltet, denn Jonathan Glazer und sein Team haben zum großen Teil mit versteckten Kameras mit Bewegungssensoren gearbeitet, wobei die Schauspieler*innen nicht immer wussten, ob gerade gedreht wird und welche Kamera sie aufnimmt.
FILMSTARTS: Die Kameraarbeit in „The Zone Of Interest“ unterscheidet sich stark von gewöhnlichen Filmproduktionen. Regisseur Jonathan Glazer hat es selbst einmal als „Big Brother“ in einem Nazihaus beschrieben. Wie hat diese besondere Kameraarbeit euer Spiel beeinflusst?
Christian Friedel: Ich empfand es als eine unglaublich luxuriöse Form der Arbeit, da man nicht an die ganzen typischen technischen Sachen denken musste, die sonst beim Dreh eine Rolle spielen. Continuity war beispielsweise egal. Wir waren alle in der gleichen Anspannung, da es keine technischen Unterbrechungen gab. Manchmal wusste man auch nicht, wie lange er jetzt eigentlich die Szene laufen lässt.
Das war aber wirklich großartig so, weil dadurch spielt Zeit eine andere Rolle. Hier standen die Tonalität und der Kern der Szene im Mittelpunkt. Und durch dieses Kamerasystem haben wir wirklich den Luxus gehabt, Zeit zu haben und gar nicht über die Kameras nachzudenken. Durch die gemeinsame Anspannung konnten wir dann etwas kreieren, was dann hoffentlich die Wahrheit widerspiegelt, die gesucht wurde.
Sandra Hüller: Ich würde das auch so beschreiben. Das war luxuriös. Und dadurch, dass die Richtung fehlte, in die man spielen konnte – es war ja gar nicht klar, welche Kamera was einfängt – und wir eigentlich immer verbunden waren mit unseren Kolleg*innen im Haus und die Kameras nie umgedreht wurden, ist nie jemand in der Spannung abgefallen. Man wird permanent beobachtet und steht dadurch auch als Mensch auf dem Prüfstand. Die Spannung, die dadurch erzeugt wurde, ist total interessant.
"Natürlich habe ich nie vergessen, dass es sich um einen Filmdreh handelt"
FILMSTARTS: Hattet ihr durch dieses besondere Kamerasystem auch mehr Freiraum zum Improvisieren?
Sandra Hüller: Ich habe das nicht so empfunden.
Christian Friedel: Wir hatten beispielsweise in einer Szene ein Abendessen und ich musste der Familie sagen, dass ich versetzt werde. Dann haben wir das gespielt und natürlich rechnet man damit, dass irgendwann mal jemand „Cut“ ruft. Aber das kam nicht. Und dann haben wir einfach angefangen, Abend zu essen. Natürlich haben wir auch mit den Kindern gesprochen, die mich gefragt haben, was wir hier eigentlich essen würden – und ich habe gesagt, dass das Schildkrötensuppe ist. Die Kinder haben darauf reagiert und es entstand dabei so eine interessante Stimmung. Man hat sich an Szenen rangetastet. Diese Art der Improvisation hat mir geholfen, den richtigen Impuls und die Sätze zu finden, die eigentlich wichtig waren für die Szenen.
Einer unserer ersten Drehtage war eine Szene draußen am See mit der Familie. Mal ging ich ins Wasser mit meinem „Größten“, also meinem Filmsohn, dann gingen die Kinder Beeren suchen, dann haben wir uns wieder getroffen und Kekse gegessen. Wir wussten da zum Beispiel auch nicht, wo die Kameras sind. Wir haben einfach einen Tag am See gehabt. Natürlich habe ich nie vergessen, dass es sich um einen Filmdreh handelt. Das ist ein kitschiger Wunsch, der vielleicht manchmal da ist. Aber man hatte durch die Zeit dann die Möglichkeit, wirklich zu sein. Wenn man im Theater improvisiert, kommt man manchmal an einen Punkt Null. Das ist der spannendste Punkt, weil man dann nicht weiß, wie es weitergeht und manchmal auch überrascht wird von dem, was da passiert. Und vielleicht ist es genau das Prinzip des Films, diesen Punkt zu erreichen.
Sandra Hüller: Ich glaube, dieser Punkt der ausgedehnten oder der sich verändernden Zeit, der ist wirklich sehr wichtig gewesen für das Spiel. Dass das Haus vorbereitet war, wenn wir es morgens betreten haben und nichts mehr daran verändert wurde, bis wir es wieder verlassen haben, das war der eigentliche Luxus.
FILMSTARTS: Wie war eure erste Reaktion, als ihr das Drehbuch bekommen habt? Die ganze Kraft des Films entfaltet sich erst im Zusammenspiel der einzelnen Elemente. Das Sounddesign (Anm. d. Redaktion: Eine bedrückende Tonspur aus Schreien, Gebrüll, mechanischen Lauten, Schüssen und einem bedrohlichen Brummen, das Assoziationen an einen Verbrennungsofen weckt, untermalt die Bilder), euer Spiel, diese fast surreale Kameratechnik, die Märchenelemente - das ist ja wahrscheinlich in der Drehbuchfassung in dieser Intensität noch gar nicht so zu spüren gewesen.
Sandra Hüller: Für mich ist das im Drehbuch noch nicht merkbar gewesen. Es sollte so undramatisch, alltäglich und banal wie nur möglich sein, um das Leben dieser Leute so langweilig wie nur möglich einfangen. Die Elemente, die später dazu kommen, wurden uns aber schon mit kommuniziert. Wir wussten also, dass der Ton eine wichtige Rolle spielen wird, dass dieses Haus so gebaut und der Garten so angelegt werden würde.
Christian Friedel: Jonathan war von Anfang an sehr transparent. Wir wussten, dass es ein Sounddesign gibt und wir wussten, dass die Kameras rausretuschiert werden. Für mich ist das Sounddesign fast der Hauptdarsteller des Films. Im Grunde genommen ist das, was wir da sagen, doch eigentlich nur Makulatur. Das Spannungsfeld zwischen dem, was man nicht sieht und spürt und unserem Alltag als Kontrast, von dem wussten wir auch. Beim Dreh haben wir nie irgendwelche Geräusche gehört. Das war auch so gewollt, weil wir so in unserem Verhalten gar nicht so tun mussten, als ob wir irgendwas verdrängen.
"Es ist kein Historienfilm"
FILMSTARTS: In „The Zone Of Interest“ geht es ja auch stark um den Mechanismus des Ausblendens. Damit schlägt er natürlich auch den Bogen in die Gegenwart, denn wir blenden ja heutzutage auch eine Menge aus – allein wenn wir Nachrichten schauen. Was sind denn unsere Mauern, die wir uns heute erschaffen, gegen das Leid und das Elend, das uns alltäglich umgibt?
Sandra Hüller: Die Frage kann ich nicht beantworten, das muss jede*r für sich machen – aber diese Frage wird gestellt in diesem Film. Es ist kein Historienfilm, das war Jonathan von Anfang an wichtig, und das ist auch ein Grund, warum ich daran beteiligt bin. Warum soll ich einen historischen Film über diese Leute machen? Das ist einfach nicht interessant. Aber es ist ein Film, der sich auf die Gegenwart beziehen lässt und es wurde viel dafür gearbeitet, damit es sich so anfühlt. Die Klarheit der Bilder und Farben, die Kälte, das Licht, das neue Haus, die neuen Dinge im Garten: Alle diese Dinge haben damit zu tun, dass es sich anfühlen sollte wie jetzt und nicht wie damals und man sich nicht durch Patina irgendwie davon distanzieren kann.
FILMSTARTS: Man fühlt sich teilweise auch ein bisschen erwischt in gewissen Dingen. Gerade der Aspekt, Wohlstandsmauern aufzubauen und dadurch Leid und Probleme auszublenden, ist ein reales Thema.
Christian Friedel: Und zu sehen, wozu Menschen fähig sind und in welcher Dimension. Ich kann bis heute nicht verstehen, wie man so leben kann. Wie es möglich ist, solch eine Schuld in sich zu tragen. Das ist für mich unbegreiflich. Aber es ist ja eine Tatsache, dass Menschen so gelebt haben. Ich glaube, diese Dimensionen der Verdrängung, die in uns allen möglich wären – aus was für Gründen auch immer – das ist genau dieser Spiegel, der uns in dem Film vorgehalten wird.
Die unbequeme Wahrheit sollte ausgesprochen werden
FILMSTARTS: Wie seid ihr dann mit der Widersprüchlichkeit der Figuren umgegangen? Einerseits sind das Menschen, die aktiv oder passiv an der Ermordung von unzähligen Menschen beteiligt sind und andererseits gibt es Elemente in dem Film, wo ihnen eine gewisse Zärtlichkeit, eine menschliche Banalität zugestanden wird. Ich erinnere mich an die Szenen, in denen Rudolf Höss sein Pferd zärtlich liebkost oder eben die Märchenszenen, in denen er seinen Kindern Geschichten über Moral vorliest.
Christian Friedel: Ich habe gar nicht so oft über die Dimensionen nachgedacht. Mir war immer die Verantwortung bewusst und manchmal hat es mich dann doch sehr beschäftigt. Wie bekommt man diese oder jene Situation, beispielsweise die Pferdeszene, jetzt glaubhaft dargestellt? Und es ist ja eine unbequeme Wahrheit, dass das Menschen waren, die diese unmenschlichen Taten anderen Menschen angetan haben. Und wir vergessen immer, dass es Menschen waren, die diese Partei gewählt und sich mit dem System arrangiert, daran geglaubt und es dadurch auch gestützt haben. Das ist alles etwas, das man nicht vergessen darf. Weswegen ja auch heute in den Diskussionen immer wieder der viel zitierte Ausspruch „Wehret den Anfängen“ genutzt wird. Deswegen war es so wichtig, eben auch diese Momente zu haben, wo man plötzlich sagt „Oh Gott, das könnte jetzt auch ich sein.“ Man fühlt sich ertappt und ich glaube, das ist natürlich absolut gewollt gewesen.
Ich erinnere mich an ein paar Rollenangebote, in denen ich einen Nazi hätte spielen sollen. Da hat man schon in den Texten gemerkt, was für eine klischierte Form hier dargestellt werden sollte. Es ist teilweise ein Problem, dass diese Klischee-Darstellung ins kollektive Gedächtnis übergegangen ist, denn zu diesen Figuren kann man zu leicht auf Distanz gehen. Das sind die perfekten Bösewichte oder teilweise sogar Witzfiguren. Und dementsprechend ist es so wichtig, diese menschliche Komponente zuzugestehen und diese auch zu zeigen.
Sandra Hüller: Natürlich muss man immer bedenken, dass der Kontext im Hintergrund ja trotzdem bleibt. Ich kann mir beispielsweise nicht vorstellen, dass es komfortabel war, die Märchenvorlese-Szene zu drehen. Diese Szene ist ja nie unschuldig. Man behält immer im Hinterkopf, wer da vorliest und zu welchem Zeitpunkt.
Deswegen hat sich diese Widersprüchlichkeit permanent überlagert. Diese Szene, in der das Ehepaar Höss kichernd im Bett liegt – das ist unfassbar schwer herzustellen. Es gibt da einen ganz großen Widerstand, so was zu machen. Wir haben unglaublich viele Takes davon aufgenommen und die waren teilweise wirklich schlimm, weil man nicht glauben kann, dass es diese Leichtigkeit oder diese Anziehung zwischen diesen Figuren in diesem Setting wirklich geben kann. Aber das stimmt eben nicht.
Christian Friedel: Ich würde übrigens nie Kindern so vorlesen, wie ich in dem Film vorgelesen habe. Ich hatte das Gefühl, dass dieser Mensch nicht liebevoll vorlesen kann und das habe ich versucht, auch in den Betonungen auszudrücken. Der hat gelesen wie eine Maschine. Jonathan hat mich das ganze Märchen durchlesen lassen und ich habe Gänsehaut bekommen, als dann die Hexe in den Ofen geschoben wird. Denn ich wusste ja, dass das Lager nur 20 Meter entfernt ist. In dem Moment habe ich mich fast innerlich dagegen gewehrt.