Mittlerweile kennen wir „Blade Runner“ als umjubelten, einflussreichen Sci-Fi-Klassiker. Allerdings war der regnerische, nachdenkliche und atmosphärische Film mit Harrison Ford nicht immer so angesehen: Der Kinostart verlief 1982 ernüchternd und die Reaktion der Filmpresse war eher durchwachsen. Jedoch ist „Blade Runner“ bloß einer von vielen Fällen, in denen sich die Genialität eines Films dem Publikum erst später offenbarte.
Denn Ridley Scotts Sci-Fi-Thriller war nicht stets in der Form, die wir heute von ihm gewohnt sind: Die ursprüngliche Kinofassung wich in einigen, relevanten Aspekten vom heute geläufigen Final Cut ab. Obwohl Konsens herrscht, dass die Original-Kinofassung schwächer ist, ist sie nicht gänzlich uninteressant.
Denn scharfäugige Filmfans können in ihr Material erkennen, das für einen anderen Meilenstein gedreht wurde: Stanley Kubricks Horror-Meisterwerk „Shining“.
"Blade Runner": So anders ist die Kinofassung
In „Blade Runner“ geht es, lose nach einer Geschichte des Schriftstellers Philip K. Dick, um eine dystopische Zukunft: Die Menschheit fürchtet, dass Replikanten (künstlich erschaffene, besonders starke Menschen) nicht weiter ihr Dasein als reine Arbeitskräfte akzeptieren, sondern gegen ihre Ausbeuter zurückschlagen. Sogenannte Blade Runner, darunter Rick Deckard (Harrison Ford), haben die Aufgabe, abtrünnige Replikanten ausfindig zu machen und auszuschalten.
Im Zusammenspiel mit Ridley Scotts stylischer, doch karger, niederschmetternder Ästhetik und der hypnotischen Musik von Vangelis war dieser Stoff dem Studio zu verkopft: Man forderte einen erklärenden Erzählerkommentar durch Harrison Ford – und ein neues Ende.
4,57 von 5 Sternen! Das ist der beste Film von "Napoleon"-Regisseur Ridley Scott – laut den deutschen ZuschauernScotts Wunschfassung schloss den Film ambivalent, mit einer deutlichen Tendenz ins Dramatische ab. Warner Bros. verlangte dagegen, den Film mit neuem, optimistischem Ende einem Testpublikum vorzuführen. Da bis dahin von nichts dergleichen die Rede war, zeigte sich Scott entsprechend verwirrt, wie er Deadline Hollywood nacherzählt: „Ich sagte: ,Welches Happy End?' Sie meinten: ,In die Berge fahren oder so was.' Ich erwiderte: ,Wovon redet ihr?'“
So soll das Hin und Her weitergegangen sein, bis Scott erkannte, dass er diese Diskussion nicht mehr gewinnen wird und er sich ein Happy End aus der Nase ziehen muss, das zeigt, wie die Hauptfiguren in die Berge fahren. Und das, obwohl er kein entsprechendes Material zur Hand hatte!
Dann kam "Shining" ins Spiel
Also rief Ridley Scott in seiner Verzweiflung Stanley Kubrick an, der zuvor „Shining“ gedreht hatte. Scott erinnert sich an sein Telefonat mit der Regie-Ikone: „Du musst doch sechs Wochen an Helikopteraufnahmen von diesen Bergen haben – kann ich mir die borgen?“
Kubrick stimmte zu und schickte Scott am Folgetag „70 Stunden Gebirgsaufnahmen“, die der spätere „Napoleon“-Macher behelfsmäßig in „Blade Runner“ schneiden ließ. Scott konnte zu jenem Zeitpunkt noch nicht ahnen, dass das Studio durchsetzen sollte, diese Fassung beim regulären Kinostart zu verwenden.
Doch die Intuition des Regisseurs erwies sich auf lange Sicht als vernünftiger als die Mutmaßungen der Studiobosse: „Blade Runner“ schnitt im Kino verhalten ab und vielfach wurden Harrison Fords Erzählerkommentare sowie das aufgesetzte, völlig überraschend kommende Happy End in den Bergen kritisiert.
Erst im Heimkino, nach Veröffentlichung von Filmfassungen, bei denen Scott seinen ursprünglichen Plänen für „Blade Runner“ nachging, wurde der Film vollauf zu dem Kultklassiker, der er heute ist.
Ridley Scott findet einen seiner meistgehassten Filme "wirklich verdammt gut" – und vergleicht ihn mit einem Sci-Fi-Meisterwerk!