Christopher Nolan hat wiederholt erzählt, wie es dazu kam, dass er nun „Oppenheimer“ machte. Beim Dreh zu „Tenet“ beschäftigte er sich noch einmal ausführlicher mit dem Physiker, der ihn zuvor schon faszinierte. „Tenet“-Star Robert Pattinson schenkt ihm zum Abschluss der Dreharbeiten dann noch ein seltenes und besonderes Buch mit Zitaten von Oppenheimer – und nach und nach entwickelte sich davon ausgehend die Filmidee.
Doch im Internet kursierte zuletzt der Verdacht, dass Nolan vielleicht einen ganz anderen Zugang zu „Oppenheimer“ hat. Denn sein Bruder hat diesen Namen wohl in der Vergangenheit zur Tarnung genutzt. Und der sei sogar ein Auftragskiller. So wurde es zumindest auf der Social-Media-Plattform X (bis kürzlich noch Twitter) behauptet. Ein entsprechendes Posting dort ging schnell viral, wurde mittlerweile rund sieben Millionen Mal angezeigt:
Doch stimmt die in diesem Posting gemachte Behauptung? Ist Christopher Nolans Bruder wirklich ein flüchtiger Auftragskiller, der den Codenamen „Oppenheimer“ benutzt hat? Machen wir uns daran den wahren Kern dahinter zu ergründen. Ihr werdet eine ziemlich heftige, aber auch wilde Geschichte hören um verschwundene Millionen, eine Entführung, zwei tote Menschen und womöglich sogar einen versuchten Gefängnisausbruch.
Wir sprechen nicht über "Westworld"-Macher Jonathan Nolan, sondern über Matthew Nolan
Christopher Nolan hat zwei Brüder. Seinen jüngeren dürften viele Filmfans kennen: Jonathan Nolan arbeitete lange Zeit mit Christopher zusammen. Er entwickelte die Story zu „Memento“, war unter anderem an den Drehbüchern zur „Dark Knight“-Trilogie und „Interstellar“ beteiligt. Mittlerweile ist er ein erfolgreicher TV-Macher, verantwortlich für die Serien „Person Of Interest“ und gemeinsam mit seiner Frau Lisa Joy „Westworld“. Doch hier soll es nicht um Jonathan gehen.
Denn es gibt noch den ältesten der drei Nolan-Brüder: Matthew Nolan wurde zwei Jahre vor Christopher Nolan geboren. Alle drei kamen in London zur Welt. Ihr Vater ist Brite, ihre Mutter Amerikanerin, sodass sie schon in ihrer Jugend viel Zeit auf beiden Kontinenten verbrachten. Matthew Nolan zog nach einer Zeit bei einer Elite-Einheit des britischen Militärs, bei welcher er angeblich „besondere Fähigkeiten“ erworben hat, in die USA, schien in Chicago als Geschäftsmann erfolgreich zu sein und feierte 1999 dort eine sehr exklusive Hochzeit mit einer vermögenden Amerikanerin. Doch danach lief wohl eine Menge aus dem Ruder, was zu einer finanziellen Schieflage führte, die womöglich Ausgangspunkt der Geschehnisse in dieser Story ist.
Verschwundene Millionen setzen die Ereignisse in Gang ...
Im Mittelpunkt der verrückten Geschichte stehen neben Nolan der Diamantenhändler Robert Breska, dessen Buchhalter Robert Cohen, dessen costa-ricanischer Geschäftspartner Mario Quintana sowie ein Mann namens Luis Alonso Douglas Mejia, zu dem wir später kommen.
Es begann damit, dass Breska rund um das Jahr 2004 seinen Buchhalter Cohen verdächtigte, ihm über sechs Millionen Dollar gestohlen zu haben. Doch Cohen beschuldigte Quintana für den Diebstahl verantwortlich zu sein. Kurz danach wurde Quintana mit einer tödlichen Schusswunde gefunden. Obwohl die Behörden von einem Selbstmord ausgingen, war Cohen überzeugt, dass Breska Killer angeheuert hat, die nun auch hinter ihm her sind.
Der vergiftete Apfel in "Oppenheimer": Hat Christopher Nolan den Beinahe-Mord nur erfunden?Und hier kommt Matthew Nolan ins Spiel. Cohen lernte zu jener Zeit einen Mann kennen, der sich Matthew McCall Oppenheimer nannte. Dieser gehöre angeblich zu der südafrikanischen Oppenheimer-Dynastie, die mit Diamantenhandel zu den reichsten Menschen auf dem gesamten afrikanischen Kontinent wurde – und übrigens überhaupt nicht mit dem in „Oppenheimer“ porträtierten Physiker J. Robert Oppenheimer verwandt ist. Gemeinsam ist nur die deutsch-jüdische Herkunft beider Familien. Ihr habt es euch aber wahrscheinlich gedacht: Hinter Matthew Oppenheimer verbarg sich in Wirklichkeit Matthew Nolan, der unter einem falschen Namen agierte.
… mit einem Mord in Costa Rica geht es weiter
Zusammen unternahmen Nolan/Oppenheimer und Cohen eine Reise nach Lateinamerika. Am 2. März 2005 checkte Nolan in Costa Rica unter seinem falschen Namen in ein Hotel ein. Bekannt ist zudem, dass er und Cohen am 6. März 2005 gemeinsam in Costa Rica gesehen wurden. Anwesend war noch ein weiterer Mann – der bereits eingangs erwähnte Luis Alonso Douglas Mejia. Wie Gerichtsdokumente ausführen, zeigen Überwachungsbilder Nolan, Meija sowie Cohen auf einem Parkplatz in San Jose, Costa Rica – und nun wird es wild: Es sind die letzten Bilder, die den Buchhalter lebend zeigen, einen eigentlich für diesen Tag gebuchten Flug trat er nicht an. Am 10. März 2005 wurde seine Leiche gefunden. Aufgrund des Zustands gingen die Behörden davon aus, dass er über einen längeren Zeitraum geprügelt und gefoltert wurde.
Fluginformationen zeigen, dass Nolan selbst am 6. März wieder in die USA flog, nach einem Umweg über Europa aber am 9. März 2023 wieder in Costa Rica einreiste, am 11. März 2005 das Land dann erneut verließ.
Das ist der Verdacht der Behörden in Costa Rica
Luis Alonso Douglas Mejia wurde anschließend in Costa Rica verhaftet und in der Folgezeit zu 27 Jahren Gefängnis verurteilt. Das Gericht war überzeugt, dass er Cohen am 6. März entführt und über Tage gefangen gehalten hat. Dabei hat er den Buchhalter gefoltert, um herauszufinden, wo die verschwundenen Millionen von Diamantenhändler Breska sind. Am Ende habe er Cohen getötet.
Der Verdacht ist, dass Nolan mit Mejia zusammenarbeite. Beide hätten die Entführung am 6. März 2005 gemeinsam durchgeführt. Auch am Foltern und Mord sei Nolan trotz zwischenzeitlicher Abwesenheit womöglich beteiligt gewesen. Ob Nolan von Mejia angeheuert wurde oder umgekehrt den Costa-Ricaner als Gehilfen an Bord holte oder beide gleichberechtigte Komplizen waren, die vielleicht im Auftrag einer anderen Partei (Breska?) tätig waren, wollte man noch nicht entscheiden, ABER:
Das Gericht in Costa Rica sah genug Anhaltspunkte dafür, dass Nolan und Mejia gemeinsame Sache machten, um eine offizielle Anklage gegen den älteren Bruder des „The Dark Knight“-Regisseurs zuzulassen. Deswegen stellten die Behörden in Costa Rica einen Antrag in den USA, Nolan auszuliefern, um ihn in Lateinamerika vor Gericht stellen zu können.
In diesem Zusammenhang wurde Nolan im Februar 2009 vom FBI verhaftet – als er gerade Insolvenz anmeldete. Doch auch hier nimmt die Geschichte noch einmal eine Wendung.
Wollte Nolan auch aus dem Gefängnis ausbrechen?
Bis zu einer Entscheidung eines amerikanischen Gerichts über eine mögliche Auslieferung wurde er in einem Gefängnis in Chicago inhaftiert – und angeblich versuchte er aus diesem auszubrechen. Wie NBC Chicago im November 2009 berichtet, wurden in seiner Zelle mehrere verbotene Gegenstände gefunden: u. a. eine Rasierklinge, eine Art Harnisch, ein Metallclip, mit dem man sich aus Handschellen befreien könne und ein Seil aus zusammengeknüpften Bettlaken von über neun Metern Länge – also abgesehen von einer Feile für die Gitterstäbe alles, was man so für einen Old-School-Gefängisausbruch benötigt.
Allerdings waren die Erfolgsaussichten dafür nicht sonderlich hoch. Aus dem Gefängnis in Chicago soll noch nie jemand geflohen sein. Nolan war zudem im 11. Stock untergebracht. Er hätte so noch sehr lange Bettlaken sammeln und aneinander knüpfen müssen, wenn er sich wirklich abseilen wollte.
Am Ende entschied übrigens das amerikanische Gericht, welches über den Auslieferungsantrag zu befinden hatte, dass die von den costa-ricanischen Behörden übermittelnden Dokumente nicht ausreichen, um Nolan zu überstellen. Der Antrag aus Lateinamerika beinhalte unter anderem zu viele Spekulationen und Schreibfehler, sodass das US-Gericht nur raten könne, was Nolans wirkliche Rolle war.
Das US-Gericht sah es zwar als gesichert an, dass Nolan unter dem Fake-Namen Oppenheimer in Costa Rica unterwegs war. Dass er aber auch an Entführung, Folter und Mord beteiligt war, sei nicht genug bewiesen. Die sehr ausführliche Gerichtsentscheidung vom 31. August 2009 diente uns übrigens in erster Linie dazu, die Fakten und Vermutungen für diesen Artikel zusammentragen.
Eine interessante Nebennote noch: Obwohl Nolan damit nun nicht nach Costa Rica ausgeliefert wurde, verweilte er trotzdem erst einmal weiter im Gefängnis – und zwar wegen seines möglichen Ausbruchversuchs. Er blieb zwar nicht exakt wegen diesem inhaftiert, denn man konnte ihm ja nicht beweisen, dass er wirklich ausbrechen wollte. Aber er hat ja die oben gelisteten Dinge besessen, sodass eine Verurteilung wegen des Besitzes verbotener Gegenstände während einer Inhaftierung möglich war. Wie NBC Chicago berichtet, erfolgte diese im Juli 2010. Das Urteil: 14 Monaten Haft.
Entlassen wurde er trotzdem bereits kurz darauf im August 2010, da er ja schließlich bereits seit Februar 2009 inhaftiert war und so seine Haftstrafe abgesessen hat. Einige Jahre später verklagte Nolan übrigens wegen der Inhaftierung die USA, wie weitere Gerichtsdokumente belegen, wobei unbekannt ist, was aus der juristischen Auseinandersetzung wurde. Auch was Matthew Nolan heute macht, ist nicht überliefert (und Quell weiterer Spekulationen und Gerüchte).
Ist Matthew Nolan nun ein Auftragskilller?
Die Behauptung, dass Matthew Nolan ein Auftragskiller ist, ist so aber nicht zulässig. In Costa Rica gab es zwar weitere Bestrebungen, ihn ausliefern zu lassen und Matthew Nolan sollte dorthin (und auch sicher in viele andere Länder) nicht mehr reisen, weil er dann eine Verhaftung und einen anschließenden Gerichtsprozess riskieren würde. Aber es wurde bis heute nicht von einem Gericht festgestellt, dass er etwas mit dem Mord zu tun hat.
Ob er nur zu falschen Zeit am falschen Ort und in der Nähe eines Opfers und seines Mörders war oder wirklich an der Tat beteiligt war - zum Beispiel Mejia als seinen Gehilfen angeheuert hat, als dessen Gehilfe angeheuert wurde oder beide von Diamantenhändler Breska beauftragt wurden, Cohen zu foltern und zu töten, um das verschwundene Geld zu finden - wissen wir nicht.
Die Stars von "Oppenheimer" verzichteten auf eine Menge Geld – doch Matt Damon ging für Christopher Nolan sogar noch weiterEs gibt viele Leute, die dies glauben, aber ein US-Gericht sah nicht genug Beweise dafür. Was aus den Millionen von Breska wurde, ist übrigens auch unbekannt. Auch hier gibt es wildeste Theorien im Netz. So wird spekuliert, dass Cohen sie wirklich gestohlen hat, unter Folter sein Versteck verriet und Nolan zwischenzeitlich unterwegs war, um die Aussage des Buchhalters zu überprüfen und das Geld zu holen, nun Millionär ist und noch heute davon lebt. Doch auch das ist reine Spekulation.
Sicher ist, dass Christopher Nolan sich bislang nie deutlich zu seinem Bruder positioniert hat und über die Geschichte gesprochen hat. Die letzten gemeinsamen öffentlichen Bilder aller drei Nolan-Brüder stammen von der eingangs erwähnten exklusiven Hochzeit von Matthew Nolan in Chicago im Jahr 1999. Man darf aber davon ausgehen, dass Christopher Nolans Idee, „Oppenheimer“ zu machen, nichts damit zu tun hat, dass sein Bruder diesen Fake-Namen genutzt hat – zumal er dies in Bezug zu einer völlig anderen Oppenheimer-Familie getan hat. Eine interessante Geschichte ist es trotzdem - eigentlich wie gemacht für eine Netflix-True-Crime-Serie.