"...K-Billy`s Super Sounds of the 70s weekend just keep on... truckin`"
Acht Männer sitzen in einem Café und bereiten sich auf ihren viel versprechenden “Job” vor: Sie wollen einen Juwelenladen ausrauben. Noch plaudern die Gangster über den Sinn und Unsinn von Trinkgeldern und über Madonnas “Like A Virgin”, bevor sie den Laden verlassen und in Zeitlupe - ganz in Schwarz gekleidet, wie in den Filmen der französischen Nouvelle Vague - über die Straßen schlendern, fest entschlossen, ihr Ding durchzuziehen…
So beginnt “Reservoir Dogs”, Quentin Tarantinos Regiedebüt, mit dem der ehemalige Videothekenangestellte aus Knoxville, Tennessee, zum ersten Mal aufhorchen ließ. Sein Film, ein zunächst wenig beachtetes B-Movie, sollte sich erst im Laufe der Jahre - auch durch den Erfolg von Pulp Fiction- zum Independent-Dauerbrenner entwickeln. Eine Tatsache, die durchaus nachvollziehbar ist, da Tarantinos innovativer Stil in Bezug auf Dramaturgie, Inszenierung und Filmsprache doch ganz bewusst den Regeln des klassischen Mainstream-Kinos widerstrebte. Doch auch wenn diese häufig unterschätzte Fingerübung nur eine Art Warmlaufprozess für Tarantino bedeutete, der ihm die Metamorphose vom Experten-Geheimtipp zum Regie-Schwergewicht erst ermöglichte, beherrschte er schon hier sein Handwerk mit traumwandlerischer Sicherheit...
"Let`s go to work"
Nach der Café-Se
quenz stellt Tarantino seine kantigen (Anti-)Helden erst einmal vor. Sie haben Decknamen, die ihnen ihr Auftraggeber Joe Cabot (Lawrence Tierney) gegeben hat: Mr. White (Harvey Keitel), Mr. Blonde (Michael Madsen), Mr. Pink (Steve Buscemi), Mr. Blue (Eddie Bunker), Mr. Orange (Tim Roth), Mr. Brown (Quentin Tarantino) und Nice Guy Eddie (Chris Penn). Ihre kriminelle Vergangenheit qualifiziert sie für den Job. Allerdings verhindert ihre Erfahrung auch nicht, dass der Coup katastrophal schief läuft und in eine blutige Straßenschießerei mündet, bei der einer der Gangster draufgeht, ein anderer spurlos verschwindet. Mr. White kann zusammen mit dem Schwerverletzten Mr. Orange in eine karg ausgestattete Lagerhalle fliehen. Von dort aus beraten sie, was nun weiter geschehen soll. Schnell ist den Gaunern klar, dass sich unter ihnen ein Spitzel befinden muss, der den Rest der Gruppe an die Polizei verraten hat. Es entbrennen Diskussionen darüber, wer das denn nun sein könnte und wie man sich jetzt aus der Sache rausziehen kann - die Nerven der Überlebenden liegen blank…
“…and I don`t want any talk about yourself personally. That includes where you been, your wife`s name, where you might have done time, about a bank you robbed in St. Petersburg…”
(Joe Cabot mahnt seine Gangstertruppe)
“Reservoir Dogs” könnte als spitzfindiges `heist movie´ durchgehen, doch schon die inhaltliche Struktur der Geschichte ist zu verschachtelt, als dass man sie in diese Schublade stecken könnte. Bereits wie Tarantino den Plot nach dem Eröffnungstitel fortführt, überrascht. Der (missglückte) Coup wird gar nicht gezeigt, stattdessen ist die Szenerie zeitlich nach dem Scheitern des Juwelenraubs angesiedelt: Mr. Orange liegt schwer blutend auf dem Rücksitz eines Fluchtautos und wird von seinem Komplizen Mr. White durch die Straßen kutschiert. Dieser versucht immer wieder, den in Lebensgefahr schwebenden Verletzten, der Angst davor hat, zu verbluten, zu beschwichtigen. Die Durchführung des “Jobs”, die zu der Eskalation geführt hat, wird erst viel später in detaillierten Rückblenden beleuchtet.
Auch die Identität des Spitzels, der den Gangstern in die Suppe gespuckt hat, ist relativ schnell klar. Doch Tarantino legt eben keinen Wert auf ein herkömmliches “Who done it?”- Kriminalrätsel, lieber befasst er sich mit den Umständen der Einschleusung des Verräters in den Gangsterclan (inklusive einer als "Klogeschichte" bezeichneten Räuber-Anekdote). Dies und die Nominierung der sechs restlichen Gang-Mitglieder durch den grimmigen Cabot (übrigens in höchst amüsanter Haudegen-Manier von Lawrence Tierney gespielt) wird in zusätzlichen Flashbacks behandelt, die Tarantino kunstvoll in den Fluss der Haupthandlung integriert.
Die dichte Atmosphäre des fatalistischen Quasi-Kammerspiels konzentriert sich in dem als (Theater-)Bühne fungierenden maroden Lagerhaus, in dem das Treiben der Beteiligten in der Gegenwart gezeigt wird. Der cholerische Mr. White (Harvey Keitel), der trotz seiner aufbrausenden Art der einzige zu sein scheint, der noch halbwegs klar denken kann, der schüchterne Mr. Orange oder der mit seinem Namen unzufriedene Mr. Pink (Cabot zu ihm: “Sei froh, dass du nicht Mr. Yellow heißt”), der sich gerne ausgiebig mit seinen Kollegen kabbelt - sei es um das Trinkgeld oder um andere Dinge. Das entscheidende Zünglein an der Waage in der aufgeheizten Stimmung unter den noch lebenden Gangstern ist der zynische Mr. Blonde (genial: Michael Madsen), der in einer Schlüsselszene des Films einen entführten Polizisten, den er am Stuhl gefesselt hat, um Informationen aus ihm rauszupressen (später kristallisiert sich immer mehr heraus, dass es ihm vordergründig um den Spaß an der Freude ging - doch da hat er schon einen schwerwiegenden Fehler zu viel begangen), zu den Klängen von “Stuck in the Middle with you” foltert. Diese zugegeben nicht leicht bekömmliche Sequenz ließ erwartungsgemäß wieder mal die versammelte Schar der Moralapostel aus ihren Löchern kommen, die der Szene Gewaltverherrlichung attestieren wollten, dabei aber wohl übersahen, dass Tarantino beim eigentlichen Höhepunkt der Folter - nämlich das an Sergio Corbuccis "Django" gemahnende Abschneiden des Ohrs des Cops - mit der Kamera zur Seite schwenkte und die Grausamkeit den Köpfen der Zuschauer überließ. Ein Regisseur, dem es ernsthaft um die Verherrlichung von Gewalt gegangen wäre, hätte wohl eher voll mit der Linse draufgehalten. In diesem Zusammenhang sei noch erwähnt, dass “Reservoir Dogs” bis heute noch keine TV- Ausstrahlung bekommen hat, was doch sehr verwundert, da kein nahe liegender Grund dafür besteht.
Quentin Tarantino erwies sich schon hier als Vordenker seiner Generation. Sein ausgesprochen scharfer Sinn für kultverdächtige Dialoge, markante Charaktere, grandios getimte Popkultur-Zitate und umwerfende Soundtracks zeigt sich schon hier unverkennbar. "Reservoir Dogs" ist der manchmal noch ungeschliffene, lakonische Rohdiamant, der eine neue Epoche einleitete. Auch wenn es noch zwei weitere Jahre dauern sollte, bis Tarantino mit seinem Meisterwerk “Pulp Fiction” in den Regie-Olymp aufstieg, so war es doch sein 1992 gedrehtes, furioses Low Budget-Kleinod, mit dem er sich schon für höhere Aufgaben empfahl. Bleibt lediglich die Frage: Was legt der Genius mit seinem diesjährigen Kriegsdrama “Inglourious Basterds” vor? Wir sind jetzt schon gespannt…