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    Indochine
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Indochine
    Von Matthias Hopf

    Golden Globe und Oscar für den besten fremdsprachigen Film sowie fünf französische Filmpreise – sind all diese Auszeichnungen allein Grund genug, sich einen Film anzusehen oder vorschnell als Meisterwerk zu betiteln? Die Marketing-Agenturen werden freilich nicht müde, Filmplakate oder DVD-Cover mit Filmpreis-Siegeln in großen goldenen Lettern auszuschmücken. Dem potentiellen Publikum soll damit bereits im Vorfeld Geschmackssicherheit und Qualitätsbewusstsein zugesprochen werden – so etwas schmeichelt und lockt. Die Auszeichnungen können so auch die Rezeption eines Films beeinflussen – wer nicht überzeugt war, der ist möglicherweise dennoch verunsichert: War der Film tatsächlich so uninteressant, oder habe ich seine Qualitäten bloß verpasst? Das romantische Epos „Indochine" von Regisseur Régis Wargnier („Est-Ouest") hat diese nennenswert vielen Filmpreise gewonnen – aber hat er sie auch verdient?

    Indochina 1930: Eliane Devries (Catherine Deneuve) führt gemeinsam mit ihrem Vater eine der größten Kautschukplantagen in der französischen Kolonie. Neben ihrem Vater und dem Anwesen gibt es nichts, was Eliane mehr am Herzen liegt, als ihre Adoptivtochter, die Waise Camille (Linh-Dan Pham). Als der junge Marineoffizier Jean-Baptiste Le Guen (Vincent Perez) auf den Plan tritt, gerät das harmonische Leben der Französin gehörig durcheinander. Eliane weiß, dass eine Beziehung zu Jean-Baptiste keine Zukunft hätte. Ihre Adaptivtochter jedoch verliebt sich unsterblich in den schneidigen Offizier, dabei ist sie längst jemand anderem versprochen: Camille wird mit ihrem Cousin Than zwangsverheiratet – und verlässt mit ihm die ihr bekannte Welt. Viel später trifft sie ein weiteres Mal auf den inzwischen zwangsversetzten Jean-Baptiste – und es kommt zur Katastrophe. Camille erschießt einen französischen Soldaten, die Geliebten müssen fliehen...

    Große Liebesepen sind zeitlos. „Casablanca", „Doktor Schiwago" oder „Vom Winde verweht" bleiben unvergessen, während James CameronsTitanic" bald via 3D-Neustart ein neues, junges Publikum finden wird. Auch „Indochine"-Regisseur Wargnier erzählt eine solche Liebesgeschichte, bloß, bei ihm soll nebenher gleich auch noch die jüngere Historie eines ganzen Landes aufgearbeitet werden. So richtet er den Fokus immer wieder neu zwischen der von Elianes Off-Kommentar begleiteten Romanze und der Indochina-Erfahrung seiner Protagonisten aus. Die erst so behütete Kautschukplantage wird zunehmend zum Schauplatz der Gewalt und zur Kulisse eines Kolonialdramas. Mit seinen historisch orientierten Sequenzen lädt Wargnier die Romanze gekonnt zum Epos auf – kann die beiden Erzählebenen aber nur selten in Einklang bringen.

    Viel zu oft muss sich der kritische Blick auf das Treiben der Machthungrigen der Liebesgeschichte unterordnen und verkommt dabei gelegentlich zur bloßen Spannungsmaschinerie. Dabei stört keineswegs der Kitsch, ohnehin integraler Bestandteil derartiger Romanzen, sondern die fehlende Balance zwischen intimer Geschichte und schwieriger historischer Aufarbeitung. Immerhin, wunderbar anzuschauen ist der geduldig inszenierte und atmosphärisch fotografierte Film trotzdem. Patrick Doyles Soundtrack bringt lakonische Zwischentöne in Wargniers Komposition, die zwar nicht frei von Längen, wohl aber stets leinwandfüllend ist.

    Das Dreigespann von ausgezeichnet agierenden Darstellern wird vom französischen Schauspiel-Urgestein Catherine Deneuve („Das Schmuckstück") angeführt. Vincent Perez („The Crow - Die Rache der Krähe") überzeugt, die außergewöhnlich intensiv spielende Debütantin Linh-Dan Pham („Mr. Nobody") begeistert. Mit einem starken Cast und bombastischen Bildern hat Wargnier großes Liebeskino geschaffen, ein Meisterwerk ist „Indochine" allerdings nicht – dafür ist die Einbettung der Romanze in die Kolonialgeschichte Frankreichs zu flach; die Problemgeschichte Indochinas steht hinter der Kulisse Indochina zurück. Die französische Antwort auf „Vom Winde verweht" ist schwelgerisch und sehenswert – bloß perfekt, das ist „Indochine" trotz all der Auszeichnungen sicherlich nicht.

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