Es gab eine Zeit, als ich ein Teenager war, in den 1950ern, als du Fotos von nackten Frauen ausschließlich in einem Magazin namens „Health and Efficiency“ sehen konntest. (Regisseur Stephen Frears)
Auch zwanzig Jahre zuvor, in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, hätte man England nicht unbedingt als offenherzig bezeichnen können. Aber eine Institution stellte sich vehement gegen Prüderie und falschen Charme – das Windmill-Theater gelangte durch die Darstellung von nackten, aber kunstvoll in die Szenerie integrierten Frauen zu einer einzigartigen Berühmtheit in der Londoner Theaterszene. Schon häufig wurde dieses historische Ereignis auch auf der Leinwand aufgegriffen, zum Beispiel in Victor Savilles „Music Box Girls“ mit Rita Hayworth als Windmill-Mädchen, aber immer wurde der visionäre Direktor Vivian Van Damm als Hauptfigur gewählt. Regisseur Stephen Frears erzählt die Geschichte in seinem gelungenen Period-Drama „Lady Henderson präsentiert“ nun aus einer anderen Perspektive noch einmal neu: Er stellt die titelgebende Witwe, die sich halb aus Langeweile, halb aus Neugier, aber ohne zu wissen, worauf sie sich eigentlich einlässt, ein fast verfallendes Theater zulegte und so erst den Anstoß für dieses nahezu märchenhafte Geschehen gab.
London im Jahre 1937: Nach dem Tod ihres reichen Mannes weiß Lady Laura Henderson (Judy Dench) wenig mit sich und ihrem Vermögen anzufangen. Ihre gute Freundin Lady Conway (Thelma Barlow) rät ihr, sich schöne Dinge zu kaufen: Lady Hendersons Wahl fällt auf ein altes lehrstehendes Theater, das Windmill-Theater im Herzen von Soho. Mit ihren Beziehungen schafft sie es, Mr. Vivian van Damm (Bob Hoskins, Falsches Spiel mit Roger Rabbit, Stay) als Manager anzuheuern. Seine erste Idee, ein Non-Stop-Variété mit dem Titel „Revuedeville“ auf die Bühne zu bringen, entpuppt sich gleich als großer finanzieller Erfolg. Aber die neue Art der Unterhaltung wird schnell von anderen Häusern kopiert und das Windmill-Theater steht kurz vor dem Ruin. Da kommt Lady Henderson auf die einträgliche Idee, doch einfach die Kleider wegzulassen. Nach einigen Problemen mit dem zuständigen Ministerium, die Lady Henderson in ihrer unbeschreiblichen Art aus dem Weg räumt, feiert die erste Revue mit nackten Darstellerinnen auf englischem Boden ihre Uraufführung. Was zunächst als ökonomisch erfolgreiches Lustspiel beginnt, wird in Zeiten des Krieges zu einer wichtigen moralischen Stütze der britischen Armee…
Natürlich lebt der Film in erster Linie von seiner Hauptdarstellerin Judy Dench, der englischen Schauspielerin mit der vielleicht stärksten Ausstrahlung überhaupt. Wenn sie die Leinwand betritt, nimmt sie sie auf der Stelle komplett für sich ein, weshalb es auch nicht weiter verwunderlich ist, dass ihr in Shakespeare In Love gerade einmal sieben Minuten ausgereicht haben, um die Oscar-Jury von sich zu überzeugen. Frears hätte es sich leicht machen und Denchs Rolle einfach als leicht exzentrische, aber durchweg sympathische ältere Witwe anlegen können, stattdessen geht er aber einen wesentlich mutigeren Weg: Lady Henderson wird als durchaus fragwürdige Persönlichkeit mit äußerst rechten politischen Ansichten (Stephen Frears: „Lady Henderson ist die schrecklichste rechts-gesinnte Frau, der totale Schocker“) eingeführt. So ist das Spiel mit Sym- und Antipathien stets eine gefährliche Gratwanderung, die im Endeffekt nur funktioniert, weil Henderson sich zumindest nach Anbruch des Krieges als zwar unbedarft handelnde, aber immerhin besorgte Figur erweist. So schließt man die durchsetzungsstarke ältere Dame zwar trotz allem in sein Herz, bekommt aber auch einen hochkomplexen, sehr interessanten Charakter serviert.
Neben der toll aufspielenden „Grand Dame des englischen Theaters“ Judy Dench kann eigentlich kaum ein Darsteller bestehen, umso höher ist die Leistung von Bob Hoskins einzuschätzen, der der renitenten Lady Henderson einen gleichwertigen Part gegenüberzustellen versteht. Ansonsten hätten die zahlreichen, nicht gerade zahmen Streitereien zwischen den beiden auch nicht eine solche Spannung und gleichzeitig einen solchen Charme entwickeln können. Auch die Nebenrollen sind mehr als überzeugend besetzt. Bertie, der männliche Star des Windmill-Theaters, wird von Will Young verkörpert, der vor einigen Jahren durch die Casting-Show „Pop Idol“ über Nacht berühmt wurde und nun neben seinem Sanges- auch sein schauspielerisches Talent unter Beweis stellen kann. Ein heimliches Highlight ist die mit gewohnt subtiler Erotik auftrumpfende Kelly Reilly, die man zuletzt als sexy Engländerin in „L´Auberge Espagnol – Widersehen in St. Petersburg“ bewundern durfte und die nun die Rolle des aufreizenden Windmill-Mädchens Maureen übernommen hat.
Bei solch einem großartigen Cast bedarf es schon eines sehr erfahrenen Regisseurs, um dem tollen Schauspiel auch noch inszenatorische Glanzpunkte hinzuzufügen. Einen solchen haben die Produzenten in dem Engländer Stephen Frears zweifelsfrei gefunden. Er, der in seiner Karriere schon solch unterschiedliche Filme wie „Mein wunderbarer Waschsalon“, „Gefährliche Liebschaften“, High Fidelity oder zuletzt den düsteren Thriller „Kleine schmutzige Geschäfte“ abgedreht hat, schafft es auch „Lady Henderson präsentiert“ seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Die erste Hälfte setzt er als vielschichtige, ungemein unterhaltsame Sittenkomödie in Szene. Wenn dann die Bombenangriffe über London hereinbrechen, sieht man zwar beeindruckende Aufnahmen der brennenden Stadt und jede Sequenz ist mit einer Atmosphäre aus Bedrohung und Angst unterlegt, aber genau wie damals die wehrhafte Lady Henderson lässt auch Frears sich nicht von den Schrecken des Krieges in die Knie zwingen, sondern behält seinen Stil bei und inszeniert viele Szenen trotz aller Dramatik mit wunderbar-englischem Humor. So ist „Lady Henderson präsentiert“ großes Schauspiel-Kino und ein durchweg überzeugendes Period-Piece.