Reuben Feffer ist Riskmanager in einem Versicherungsunternehmen und, seinem Job entsprechend, geht er jedem Risiko so gut er nur kann aus dem Weg und lebt stattdessen ein von Vernunft und Prozentrechnungen bestimmtes Leben nach Plan. Frisch verheiratet mit seiner Traumfrau Lisa geht’s in die Flitterwochen, wo ihnen bereits am ersten Tag der schmucke Tauchlehrer Claude begegnet – und der Nudist hat scheinbar keine Mühe, Lisa in seine Kajüte zu kriegen. Desillusioniert kehrt Reuben nach New York zurück und auf einer Vernissage trifft er eine alte Schulbekanntschaft wieder: Polly Prince, impulsiv, chaotisch, planlos, das genaue Gegenteil von Reuben...
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„Ritter der Kokosnuss“: ein paar Kerle klappern mit Kokosnüssen und hoppeln durch den Wald. „Verrückt nach Mary“: alle Männer sind so verrückt nach Mary, dass sie einander rücksichtslos auszustechen versuchen. „Me, Myself & Irene“: Jim Carrey ist schizophren und schwankt zwischen zwei völlig verschiedenen Persönlichkeiten. „The Hangover“: nach durchzechter Nacht in Las Vegas versuchen drei Typen die Ereignisse der letzten Nacht zu rekonstruieren. Die Prämisse einer Komödie ist oft so simpel, wie sie, wenn konsequent umgesetzt, wie von selbst für die Komik sorgt. Auch bei „...und dann kam Polly“ wird es nicht kompliziert: verkrampft risikoscheuer Vorsichtsfanatiker trifft lebensfroh quirlige Sorgloschaotin, die sein von Ordnung dominiertes Leben auf den Kopf stellt. Doch obwohl mit Ben Stiller und Jennifer Aniston scheinbar ideal besetzt vertraut Autor und Regisseur John Hamburg seiner Prämisse letztlich zu wenig und verbaut den Weg zum gelungenen Gag immer wieder mit quergedachten Handlungssträngen und einer Art von Humor, die einfach nicht zum Ton seines Film passt.
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Reubens großspuriger Kumpel Sandy legt sich auf der Tanzfläche lang, Reubens Boss macht bei seiner Hochzeitsrede eine zweideutige Geste mit dem Mikrofon, Reuben lässt seine frisch angetraute Braut fallen, als im Hotelzimmer eine Echse von der Decke purzelt. Trotz Körper-, angedeutetem Genital- und Kreatureinsatz startet „...und dann kam Polly“ schon nicht gerade mit den 1st Class Gags, dafür kommen die Ereignisse flott in Gang. Reuben und seine Lisa werden ein bißchen beim glücklich sein auf der Flitterwocheninsel gezeigt, bis nach knapp sechs Minuten der Nudist und Tauchlehrer Claude dazu- und wenig später in Lisa stößt. Sein geplantes Glück ist Reuben also nicht lange vergönnt, zurück in New York steht er vor den Scherben seines Traums vom geordneten Leben. Der Film reitet mehrere Szenen lang auf dem Witz herum, dass bereits jeder in seiner Firma von den Ereignissen erfahren hat und während eines gemeinsam Urinalbesuchs mit seinem Boss muss Reuben nicht nur dessen Furzgeräusche und ungewaschene Finger an seinen Ohren über sich ergehen lassen, währenddessen wird auch noch ein Subplot um den extremsportlernden Geschäftsmann Leland Van Lew aufgebaut, dessen Versicherungswürdigkeit Reuben prüfen soll. Und dann kommt natürlich Polly.
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Tempo, Timing und Lacher allerdings sind irgendwie bei Claude und Lisa auf St. Barts geblieben. Das rein in und raus aus den Szenen macht mehrmals den Eindruck, als betrachte man einen Rohschnitt des Films, Reuben und Polly torkeln beide reichlich unbeholfen aufeinander zu und viel mehr, als dass Polly in ihrer Chaosbude ständig ihren Schlüssel verbaselt, fremdländische Kost zu schätzen weiß und Salsa tanzen geht fällt Hamburg als Kontrast zum konservativen Analytiker und am Reizmagensyndrom leidenen Reuben nicht ein. Das halbblinde Frettchen Rodolfo, das eindeutig zu wenig Screentime spendiert bekommt, macht da auch nicht wirklich den Unterschied. Hier ein kleines anmaßendes how it could have worked: statt des eher störenden, denn erheiternden Subplots um den skydivenden und mit Haien tauchenden Van Lew hätte Polly diese Figur sein sollen, für die Reuben die Möglichkeit eines Versicherungsabschlusses prüfen soll. Damit wäre „...und dann kam Polly“ wohl um weitere zehn Minuten kürzer geworden, aber das hätte dem alles andere als kurzweiligen Geschehen ebenfalls kaum schaden können und die Unterschiede der beiden hätten sehr viel drastischer, halsbrecherischer und mit ziemlicher Sicherheit unterhaltsamer ausfallen können, als Schweißausbrüche beim marokkanischen Essen und ungelenke Tanzeinlagen dies schaffen.
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Auch der eben nur scheinbar idealbesetzte Ben Stiller kann die Stärken seiner Komik hier nicht ausspielen. Sein Reuben kann nichts und traut sich nichts, das ist für Charaktere des Starkomikers so typisch, wie die irgendwann aufplöppenden Brustwarzen Jennifer Anistons, doch wirkte Stiller in seiner von einer Peinlichkeit in die nächste stolpernden Hilflosigkeit selten so uninspiriert. Alles läuft auf den Kontrollverlust und den Ausstoß von Körperflüssigkeiten hinaus und was in den Werken der Farrelly-Brüder meistens und deshalb funktioniert, weil diese einen ganzen Kosmos aus Anarchie, Absurdität und Geschmacklosigkeit entwerfen, in der der Gang unter die Gürtellinie ein selbstverständlicher ist, ist bei „...und dann kam Polly“ total fehl am Platz, da der Film beim Abgedrehtheitsfaktor nicht mal eine halbe Umdrehung schafft. Philip Seymour Hoffman spielt den ehemaligen Jugendstar Sandy Lyle, der vom längst verblasten Ruhm zerrt und wie immer, wenn Hoffman den spleenigen Dicken gibt, hat man nur die halbe Freude, die der Ausnahmemime für gewöhnlich bereiten kann. Zum Brüllen, wenn er beim Basketball großspurig jeden Wurf als Treffer ankündigt und den Ball dann doch wieder nur volles Mett gegen’s Brett nagelt, unlustig und nervend, wenn es auch bei ihm um Fekalien geht (»I tried to fart, and a little shit came out. I sharted«). Große klasse hingegen ist der französelnde (»Leuben. Look to be me in my eyeball«) und unverschämt muskulöse Hank Azaria als Tauchlehrer Claude.
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Durchaus und trotz überflüssigen Plotfüllern und langen Humoraussetzern Vergnügen bereitet Jennifer Aniston, die das, was Autor Hamburg für Abgedrehtheit hält, immerhin mit Charme und Lebendigkeit füllt. Zwar ist vieles an Anistons Spiel wieder einmal nur eine Variation ihrer Paraderolle der Rachel Green aus „Friends“, gekürzt um deren unselbstständige Quengeligkeit, und weder passt es zwischen ihr und Stiller als Typ noch zwischen den Figuren, dennoch sind sämtliche Szenen mit ihr besser als jene ohne sie. Und, auch wenn das nicht notwendigerweise Bestandteil einer Filmkritik sein muss, beim Salsatanzen legt sie gemeinsam mit Jsu Garcia eine enorm sexy Einlage hin. Davor, ein kompletter Reinfall zu sein, bewahrt „...und dann kam Polly“ Aniston damit am ehesten.
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Ein bißchen mehr Vertrauen und viel mehr Geschick in der Umsetzung seiner Prämisse und „...und dann kam Polly“ wäre wohl ein Selbstläufer geworden. In vielen Momenten geht Hamburg viel zu ernst an seine Themen vom Nachwirken einer schmerzhaften Trennung, den Hindernisse eines Neubeginns mit einer völlig anderen Person (und präsentiert dabei sogar in ein paar kurzen Sätzen eine tragische Erklärung für Pollys ungebundenes Verhalten), um an anderer Stelle auf billige Furz- und Klowitzchen setzen zu können und damit durchzukommen. Da passt ständig eines nicht ans andere und eine Szene nicht an die nächste und nur die Güte der Darsteller, die zwar längst nicht alles, aber wenigstens ein paar lichte Augenblicke den Tiefen der Gagkloake entreißen können, ermöglichen „...und dann kam Polly“ eine knapp statt weit unterdurchschnittliche Wertung. Für den Teil, der Komödie sein soll, vergreift sich der Film zu oft im Ton oder ist über zu lange Strecken schlicht nicht witzig, für das, was Romanze sein soll, fehlt es den Charakteren an Wärme und den auftretenden Konflikten an Relevanz, so dass man mit dem vor sich hin trottelnden Stiller irgendwann nicht mal mehr Mitleid hat. „...und dann kam Polly“ ist kein Film, bei dem man sich bis auf’s Blut über seine Existenz und die Zeit ärgert, die man an ihn verschwendet hat, aber einer, der ohne großen Verlust auch einfach hätte wegbleiben können.
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kompletter Review siehe: http://christiansfoyer.wordpress.com/2010/04/13/review-und-dann-kam-polly/